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Elena Senft schaltet nie ab: Ohne Smartphone finde ich nicht nach Hause

Vor vielen Jahren lieferte ich mir eine hässliche Streitszene während der Rotphase einer Berliner Ampel. Ich hatte gerade meine Führerscheinprüfung bestanden und saß auf dem Fahrersitz des neonfarbenen Kleinwagens meiner Mutter.

Neben mir thronte überheblich mein damaliger Freund. Ich fragte ihn hektisch und begleitet von den präventiven Schulterblicken eines Fahranfängers, ob ich zum Innsbrucker Platz nun links oder rechts abbiegen müsse. Die Ampel sprang auf grün, der Freund verschränkte bockig die Arme und sagte, das müsse ich nun wirklich alleine wissen, denn ich lebte ja nun seit 18 Jahren hier.

Frei von Koketterie muss ich sagen, dass ich ein Mensch ohne Orientierungssinn bin. Ich habe mich auf dem Schulweg in der fünften Klasse verlaufen und musste gesucht werden. Für mich ist das Smartphone schon allein deswegen überlebenswichtig, denn ich benutze das Fußgängernavigationssystem. Diese mediale Verseuchung führt dazu, dass ich für gewöhnlich wie Rainman durch die Straßen laufe (Fassade des Ullstein-Verlagshauses? Kenn ich nicht. Sonnenuntergang über Landwehrkanal? Nie gesehen.)

Ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt davon, wenn man sich ausschließlich aufs Handy verlässt, wird deutlich, wenn der Akku mal leer ist, man plötzlich wie ein kleines Kind aus einem Rolf-Zuckowski-Song auf der Straße steht und darauf angewiesen ist, sich bei echten Menschen nach dem Weg durchfragen zu müssen, die dann aber einfach nicht so reagieren, wie man es von dem Computer gewöhnt ist: In kurzen klaren Ansagen, meinetwegen noch mit Ignoranz aller Umlaute.

Fast kein Mensch will zugeben, dass er sich nicht auskennt. Schon mal jemanden getroffen, den man nach dem Weg fragt und der sofort sagt: „Weiß nicht. Sorry. Tschüß.“ Stattdessen weckt die Frage nach dem Weg bei fast allen Menschen den Ehrgeiz, helfen zu können und den Verlorenen zurück auf den rechten Weg zu schicken.

Erstes Indiz für versteckte Ahnungslosigkeit ist ein laut vernehmbares Ausatmen bei gleichzeitigem Schauen in verschiedene Richtungen mit in die Hüfte gestemmten Armen. Dann folgen gemurmelte Satzanfänge wie „Die Torstraße müsste doch eigentlich ...“. Dies ist der letzte Moment zur Flucht. Wartet man nun eine Sekunde zu lange, lässt es sich der Ahnungslose nicht nehmen, einen schmierigen Falk-Stadtplan aus seiner Tasche zu ziehen (oder aber gemeinsam den nächsten öffentlichen Plan der U-Bahn-Station aufzusuchen) und – munter weiter auf einer Käse-Schinken-Stange kauend – ganz langsam den Finger über das Glossar wandern zu lassen, während man selber seine Verabredung nun schon zehn Minuten in der Torstraße warten lässt. Also sieht man innerlich kochend dabei zu, wie fettige Finger den Stadtplan entlangfahren und dazu beschwörend geraunt wird („Wir sind ja jetzt hier in der Bornholmer, die zweite rechts müsste dann eigentlich die Greifswalder sein ... nee Quatsch, die läuft ja parallel ...“).

Wieso passiert es so oft, dass Menschen nicht wahrhaben wollen, den Weg selber nicht zu kennen? Einheimische wollen sich zumeist nicht eingestehen, ahnungslos zu sein, obwohl sie entweder a) schon seit 30 Jahren das Gebiet besiedeln oder b) zwar gerade erst zugezogen sind, aber binnen kürzester Zeit echte, ganz echte Berliner geworden sind. Ortsfremde wiederum wollen sich mit dem Fragenden verbünden: Wär doch gelacht, die Wilmersdorfer Straße nicht gemeinsam zu finden, wenn man sich doch von Hanoi bis Hildesheim bewegt wie ein Fisch im Wasser.

Wer von der Hilfsbereitschaft von Passanten wirklich profitieren will, sollte seine Frage ändern in: Wissen Sie, wo eine Steckdose ist?

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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