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Dr. WEWETZER: Endspiel für ein Lebervirus

Als ich Medizin studierte, gab es eine einfache Merkregel. Bakterien kann man mit Medikamenten behandeln, Viren nicht.

Bei Viren war man machtlos. Das hat sich zum Glück geändert, und ein überzeugendes Beispiel ist die Dauerinfektion der Leber mit Hepatitis C, einem Virus, das zu jener Zeit noch gar nicht entdeckt war. Erst 1989 konnte man den Erreger dingfest machen. Heute gibt es hochwirksame Arzneimittel, mit denen sich das Virus bei drei von vier Patienten vertreiben lässt. Erprobt werden zudem Substanzen, die noch besser helfen – bei weniger Nebenwirkungen. „Die Behandlung der Hepatitis C ist eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht“, sagt der Leberspezialist Thomas Poralla vom Berliner St-Joseph-Krankenhaus.

Übertragen wird das Virus hauptsächlich über Blut, etwa durch infizierte Spritzen bei Drogenmissbrauch oder über infizierte Blutkonserven – in früherer Zeit eine erhebliche Gefahr, weil es keinen Virustest gab. Auch unhygienisches Tattoostechen oder Piercing kann Hepatitis C verbreiten. Meist wird man den Erreger nicht mehr los, er nistet sich in der Leber ein und kann sich zunächst etwa durch Müdigkeit und Abgeschlagenheit bemerkbar machen. Auf die Dauer kann die Leber unumkehrbar geschädigt werden, schlimmstenfalls droht Leberkrebs. Für Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf etwa eine halbe Million geschätzt, weltweit sollen 170 Millionen Menschen infiziert sein.

Der erste Wirkstoff, mit dem man dem Lebervirus zu Leibe rückte, war Interferon. Das Eiweißmolekül stärkt die Körperabwehr im Kampf gegen den Erreger, allerdings lag die Erfolgsquote nur bei zehn Prozent. Das änderte sich, als mit Ribavirin ein weiteres Arzneimittel hinzukam. Plötzlich konnte man fast jeden zweiten Patienten von der in Europa häufigsten Virusvariante kurieren.

2011 wurden dann zwei Substanzen zugelassen, die ein Enzym des Erregers lahmlegen, die eiweißspaltende Protease. Mit der Dreifachtherapie sind die Heilungschancen auf 70 bis 75 Prozent gestiegen. Es ist also ratsam, das Virus von mehreren Seiten zu attackieren. Das gelingt natürlich nur, wenn man Aufbau und Vermehrung der Viren genau kennt – ohne moderne Molekularbiologie würde es keine Heilung von Hepatitis C geben.

Allerdings hat die Behandlung ihren Preis: erhebliche Nebenwirkungen. Vor allem das bisher unersetzliche Interferon ist berüchtigt, weil es unter die Haut gespritzt werden muss, eine Art Dauergrippe erzeugt und schwere Depressionen auslösen kann.

Doch es zeichnet sich ab, dass in Zukunft viele Patienten kein Interferon mehr benötigen. Dutzende von Wirkstoffen werden getestet, von denen etliche anscheinend besser verträglich sind. Zu ihnen gehören Mittel, die ein anderes Enzym des Virus mit Namen Polymerase blockieren, etwa die Substanz Sofosbuvir. Es sieht so aus, als ob die Behandlung künftig noch wirksamer, kürzer und vor allem nebenwirkungsärmer sein wird. Nur eine vorbeugende Impfung wäre noch besser. Leider ist sie nicht in Sicht.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

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