zum Hauptinhalt

Dr. Wewetzer: Fettkiller fürs Herz

Es ist lange her, dass Carnitin als „Vitamin BT“ bezeichnet wurde. Heute weiß man, dass die Substanz, ganz korrekt als L-Carnitin bezeichnet, vom Körper selbst aus den Aminosäuren Lysin und Methionin hergestellt wird, also kein unentbehrliches Vitamin ist.

Vor allem in Herz und Muskeln hat L-Carnitin große Bedeutung. „Wie ein unermüdlicher Heizer in einer Dampflok schaufelt es Fettsäuren in die winzigen Öfen der Muskelzellen, die Mitochondrien“, brachte der „Stern“ die Aufgabe des Carnitins auf den Punkt.

Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln kamen irgendwann auf die Idee, L-Carnitin in Pillenform anzubieten, um auf diese Weise die „Fettverbrennung“ im Organismus (und ihre Umsätze) anzufachen. Aber das ist wohl eine Illusion, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Zwar erweisen sich carnitinhaltige „Fettkiller“ oder „Fatburner“ als gewinnbringend für den Verkäufer. Leichter aber wird lediglich das Portemonnaie des Käufers. Die Fettpölsterchen bleiben, wo sie sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass Forscher der amerikanischen Cleveland-Klinik vor Kurzem bei Versuchen an Mäusen herausgefunden haben, dass Darmbakterien das in rotem Fleisch (Rind, Schwein, Lamm) reichlich vorkommende L-Carnitin zu TMAO verarbeiten. Dieser Substanz wird eine unrühmliche Rolle bei der Gefäßverkalkung zugeschrieben. So vermuten Robert Koeth und seine Kollegen im Fachblatt „Nature Medicine“, dass Carnitin der Grund dafür ist, dass zu viel rotes Fleisch das Risiko von Herz- und Gefäßleiden erhöht.

Diess Annahme ist jedoch beim Menschen noch nicht bewiesen. Zumal eine andere Studie dieser Tage zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt. Der Pharmazeut James DiNicolantonio von der Firma Wegmans Pharmacy im US-Bundesstaat New York hat zusammen mit einer Gruppe von Ärzten alle Studien ausgewertet, die in den Jahren von 1989 bis 2007 der Frage nachgingen, ob L-Carnitin nach einem Herzinfarkt als Medikament taugt. 153 Untersuchungen fanden die Forscher, 13 fanden ihre Gnade.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Mayo Clinic Proceedings“ berichten. L-Carnitin verringert danach das Risiko, nach einem Infarkt zu sterben, um ein Viertel. Die Gefahr von gefährlichen Herzrhythmusstörungen werde gar um zwei Drittel vermindert, daneben gibt es weitere positive Effekte wie ein kleineres Infarktareal im Herz. Vermutlich verbessert das Mittel unter anderem den Energiestoffwechsel in den Mitochondrien, erleichtert das Entfernen giftiger Fettsäurezwischenprodukte und ersetzt fehlendes Carnitin im gestressten Herzmuskel.

Wer hat nun recht, die kritischen Mäuse- oder die positiv eingestellten Menschenforscher? Ich neige eher Letzteren zu, weil sie mehr Untersuchungen in ihre Auswertung einbezogen haben. Allerdings sind viele der Studien nicht mehr auf dem neuesten Stand und haben Mängel. Am besten wäre es wohl, L-Carnitin noch einmal gründlich bei Herzpatienten zu prüfen. Schön, wenn der „Fettkiller“ doch noch zu etwas nütze wäre.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false