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Dr. WEWETZER: Ich schau dir auf die Finger

Chirurgie ist buchstäblich Handwerk. Der Chirurg lebt von seinen goldenen Händen, und nicht selten hängt auch die Existenz des Patienten von deren Geschick ab.

Die meisten Kranken würden vermutlich einen fähigen, aber unsympathischen Operateur seinem netten, jedoch weniger begabten Kollegen vorziehen. Doch wie findet man den begnadeten Chirurgen? Eine kleine Wissenschaft ist um diese Frage entstanden. Einen ganz besonderen Eignungstest haben nun amerikanische Mediziner erprobt. Sie ließen Chirurgen die Arbeit ihrer Kollegen bewerten – eine offenbar zukunftsträchtige Methode.

Im US-Bundesstaat Michigan willigten 20 Bauchchirurgen ein, Videoaufzeichnungen einer von ihnen geleiteten Operation durch zehn etablierte Fachleute ihrer Disziplin anonym begutachten zu lassen. Bei dem Eingriff handelte es sich um eine Magen-Umgehung (Bypass) bei extrem fettsüchtigen Patienten, die mit Schlüssellochtechnik (laparoskopisch) vorgenommen wurde. Eine anspruchsvolle Operation, die Geschick und Erfahrung verlangt und bei der manches schiefgehen kann. Bewertet wurden Behutsamkeit, Gewebeschonung, Umgang mit Instrumenten, Zeitbedarf und Beweglichkeit, dazu gab es eine Talent-Gesamtnote.

Anhand eines Punktesystems wurden die Ärzte in drei Gruppen eingeteilt, dann zog man die Operationsergebnisse der Chirurgen aus den letzten sechs Jahren hinzu. In der unteren Gruppe waren Komplikationen deutlich häufiger als in der besten (14 im Vergleich zu fünf Prozent), auch die Sterberate der Patienten lag um das Fünffache höher (0,25 zu 0,05 Prozent). Außerdem dauerten die Operationen länger und es musste öfter erneut operiert werden.

Je häufiger die Chirurgen einen Magen-Bypass operierten, umso besser waren ihre Ergebnisse, berichtet Studienleiter John Birkmeyer von der Uni Michigan im Fachblatt „New England Journal of Medicine“. Erfahrung zahlt sich aus, auch für den Patienten. Das gilt vor allem für komplizierte Eingriffe. Dagegen war die Zahl der Dienstjahre ebenso zweitrangig wie akademische Würden.

Die Untersuchung ist die erste ihrer Art. Daher werfe sie mehr Fragen als Antworten auf, kritisiert der texanische Chirurg Danny Jacobs die Studie. War es wirklich nur chirurgisches Geschick oder nicht eher doch größeres Wissen, was den guten Operateur ausmachte? Welche Rolle spielte die Ausbildung, wie verändert sich die Leistung mit den Jahren? Vieles muss noch geklärt werden.

Trotzdem, die kollegiale Videokontrolle weist in die Zukunft. Es kann Chirurgen helfen, durch erfahrene Chirurgen begutachtet zu werden oder sich gegenseitig beim Operieren einmal auf die Finger zu sehen. Um niemanden zu kränken, könnte eine solche Bewertung auch anonym erfolgen. Wie viel auf dem Spiel steht, zeigt die Studie aus Michigan. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, die Operationsergebnisse zu verbessern. Natürlich, in der Chirurgie zählt nicht nur Training, sondern auch Talent. Mancher Chirurg ist fast ein Künstler. Aber das spricht nicht gegen gutes Handwerk.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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