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Dr. WEWETZER: Mehr Wunder, bitte!

Ein Wunder namens STI-571“ lautete die Überschrift einer meiner ersten Kolumnen an dieser Stelle.

Ein Wunder namens STI-571“ lautete die Überschrift einer meiner ersten Kolumnen an dieser Stelle. Sie erschien am 1. Juni 2003 und beschäftigte sich mit dem revolutionären neuen Arzneistoff STI-571. Er hilft unter anderem gegen eine Form von Blutkrebs, die chronisch-myeloische Leukämie. Später als „Glivec“ vermarktet, machte das Mittel aus einer unheilbaren eine chronische, eine behandelbare Krankheit. Das war in der Tat ein Wunder, wenn auch kein überirdisches. Sondern eines, das sich dem britischen Biochemiker Nicholas Lydon von der Pharmafirma Novartis und dem amerikanischen Krebsspezialisten Brian Druker verdankte. Lydon entwickelte Glivec, Druker erkannte das medizinische Potenzial.

Glivec ist bis heute das eindrucksvollste unter einer neuen Generation von „zielgerichteten“ Krebsmedikamenten. Sie sollen ausschließlich den Tumor attackieren, nicht auch gesundes Gewebe wie die herkömmliche Chemotherapie. Ohne große Fortschritte der Molekulargenetik wäre gezielte Therapie nicht denkbar. Erst die Kenntnis der genetischen Defekte und der Besonderheiten der Krebszelle ermöglicht das Design hochgenauer Wirkstoffe. Im Idealfall verschonen die Mittel das gesunde Gewebe weitgehend, sind also besser verträglich als die Standard-Chemotherapie.

Die Entwicklung in den letzten 15 Jahren verlief rasant. Neben Glivec sind mehr als drei Dutzend weiterer Krebsmedikamente auf den Markt gekommen. Viele Substanzen sind in der Entwicklung. Weltweit werdenWirkstoffe in Tausenden von Studien an Patienten erprobt. Nachdem die Krebsmedizin jahrzehntelang nur über eine Handvoll Arzneimittel verfügte, könnten es in nicht allzu ferner Zukunft 100 oder mehr sein.

Ist damit das Krebsproblem gelöst? Leider nicht. Ein wesentliches Problem der Behandlung von Tumoren sind Resistenzen. Krebszellen stumpfen oft gegen eine Behandlung ab, werden widerstandsfähig. Das ist leider auch bei zielgerichteten Wirkstoffen der Fall. Sie können Monate, manchmal Jahre an Lebenszeit herausholen. Aber ein anhaltender Erfolg, wie bei Glivec, ist noch immer die Ausnahme.

Das muss nicht so bleiben. Eine Lösung des Resistenzproblems könnte darin bestehen, mehrere neuartige Wirkstoffe kombiniert zu verabreichen, vielleicht auch gemeinsam mit Chemotherapie. Und zwar genau jene Präparate, die exakt für das individuelle molekulare Muster einer Krebszelle, gewissermaßen ihren genetischen Fingerabdruck, maßgeschneidert sind. Mit einem ähnlichen Ansatz ist es gelungen, das Aidsvirus HIV weitgehend in die Schranken zu weisen.

Zum Schluss noch eine Anmerkung in eigener Sache: Seit mehr als zehn Jahren ist diese Medizinkolumne nun hier im Sonntag erschienen. Höchste Zeit, eine Pause einzulegen. Meine Kollegen Kai Kupferschmidt, Jana Schlütter und ich möchten uns für Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Fragen und Anregungen bedanken. Gute Nachrichten aus der Medizin werden wir trotzdem nicht aus den Augen verlieren – und weiter über sie berichten.

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