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Typisch Dubai. Sunny Rahbar studierte in den USA und lebt im Emirat.

© The Third Gallery

Kunst in Dubai: Generation Golf

In Dubai wächst eine junge Kunstszene heran. Vor allem Frauen prägen das Geschehen. Zum Beispiel Sunny Rahbar von der Third Line. Nun wird die Galerie sogar Gast bei der Art Basel.

Wieso eigentlich? Da stutzt Sunny Rahbar. Die 35-Jährige schaut auf einen imaginären Punkt links oben, hier in Dubai in einem Möbelhaus-Café, die Attraktion in einem Niemandsland von Werkstätten, Staub und ewig langen Autobahnauffahrten. Rahbars Stirn legt sich in Falten, das sieht sehr fotogen aus, weißes Hemd, schwarze Hose, zwischendurch ein Lachen, und das Gesicht verwandelt sich mit seinen Grübchen in das der amerikanischen Schauspielerin Drew Barrymore, nur dass die Iranerin kastanienbraune anstatt blonde Haare hat.

Sunny Rahbar denkt nach: Wieso sind es vor allem Frauen, die in Dubai die Kunstszene der Golf-Metropole vorwärts treiben? Die Vernissagen organisieren, auf der jährlichen Messe Art Dubai ihre Galeriestände aufbauen, Künstler aus der Region entdecken. Die Iranerin ist Mitgründerin der Third Line Gallery, spezialisiert auf zeitgenössische Kunst aus dem Nahen Osten. Vor acht Jahren gegründet, hat diese als erste Galerie Videokunst in der Stadt ausgestellt, fuhr auf internationale Messen nach Miami, Berlin und London – und hat nun Sammler, die in den Emiraten und in Europa sitzen. Dieses Jahr kam der endgültige Ritterschlag. Die wichtigste Kunstmesse der Welt, die am 13. Juni beginnende Art Basel, hat die Third Line Gallery eingeladen – als dritte Galerie überhaupt aus Dubai.

Fünf Jahre lang hat sie sich für das Schweizer Kunst-Event beworben. „Wir müssen uns um die Künstler wie um Kinder kümmern, bis sie groß sind“, sagt Sunny Rahbar. „Das braucht Zeit.“ Darin seien Frauen besser als Männer, findet sie. Ein Grund, warum im Emirat weibliche Gesichter die Kunstszene dominieren. Und: „Wahrscheinlich glaubt man, Kunst ist ein Geschäft für Frauen.“ Arabische Männer sind in Dubai Beamte, Manager, Entwickler. Zeitgenössische Kunst kann man nicht planen.

Die Galeristin öffnet die Tür ihres weißen Geländewagens, angestaute Hitze drückt nach draußen wie aus einem Backofen. Lange hat sie dafür gekämpft, als Kunstbesessene in und Vermittlerin aus Dubai ernst genommen zu werden. Ihre Geschichte ist die einer Generation zwischen 30 und 40, die in der Hafenstadt aufgewachsen ist, in der Welt studiert hat und nun einen Platz am Persischen Golf für sich finden muss. Ihrer ist der hinter dem Einkaufszentrum Times Square, wo der Eingang der Galerie liegt. An einer Straße, an der sich Betonmischtürme und Wellblechhallen abwechseln, wo der 830 Meter hohe Turm des Burj Khalifa nur in der Ferne glitzert und sonst alles grau ist.

Begonnen hat Rahbars Faszination für Kunst zu Hause. Der Vater, ein Architekt, die Mutter, eine Inneneinrichterin, zogen 1980 nach Dubai. Die Eltern kamen aus den USA, dort hatte sie die Iranische Revolution 1979 während ihres Studiums überrascht – und da sich ein Teil der Familie in das Emirat abgesetzt hatte, zogen die jungen Eltern nach. Sie schickten ihre Tochter auf die Britische Schule, wo sie zeichnen und viel über den romantischen Maler J.M.W. Turner lernte („Das Licht!“, rief Sunnys Lehrerin.). Eine Burka tragen, sich verschleiern, musste sie nie.

Jeden Sommer fuhr die Familie in die USA, um Verwandte und Museen zu besuchen. Die gab es in Dubai nicht. Einmal, da war Sunny zehn Jahre alt, reisten sie nach Paris, zum ersten Mal sah sie den Louvre von innen – „die riesigen Räume, die langen Gänge, alles für die Kunst, das war ein beinahe spirituelles Erlebnis“.

Als sie 16 war, belegte sie an der Seine einen Sommerkurs. Eineinhalb Monate ging sie in Museen, zeichnete Picassos „Weinende Frau“ nach und kostete abends Rotwein. Eine Zeit des Erwachens, in der die Kunst wie ein Ausweg erschien. Denn Dubai war in den frühen 90er Jahren langweilig. „Es gab nur ein Kino, in dem nur ein Film lief“, erinnert sich Sunny Rahbar. „Ich brauchte eine Umgebung, die mich stimulierte.“

So überzeugte die Teenagerin ihren Vater, ein Studium in London und New York zu unterstützen. Englisch war neben Iranisch ihre Muttersprache, Arabisch sprach sie kaum. Selbst die jungen Emirati plapperten lieber Englisch.

In New York jobbt sie in kleinen Galerien und arbeitet als Praktikantin im renommierten Guggenheim Museum. Dutzende Ausstellungen, hunderte Künstler und doch: „Ich fragte mich, wo die Künstler aus dem Nahen Osten waren, was sie machen, wer sie ausstellt?“ Erst 1998 sieht sie zum ersten Mal eine ägyptische Künstlerin, Ghada Amer, die in Soho großformatige Leinwände mit pornografischen Bildern bestickt. Eine Frau, wahrscheinlich Muslimin, die Vaginas zeigt! Sunny Rahbar ist fasziniert. „Eine Offenbarung“, sagt sie. Ghada Amer zeigt ihr: Es gibt Künstler aus dem Nahen Osten.

Nach dem 11. September 2001 kehrt Sunny Rahbar an den Golf zurück. Beinahe sechs Jahre ist sie fort gewesen, und die 23-Jährige erkennt ihre Stadt nicht mehr. Im gesamten Gebiet am Südüfer des Creek, wo früher nur einzelne Villen standen, reckten sich nun gläserne Wolkenkratzer in den Himmel. „In den Geschäften hingen Schilder auf Russisch, ich hatte das Gefühl, die Stadt sei von Fremden eingenommen.“ Mit ihr tauchen plötzlich all jene Menschen wieder auf, die nach dem 11. September keinen Job mehr im Westen finden, die hochausgebildet sind und dort nicht mehr gebraucht werden. Junge Menschen, die westliche Subkultur kennen und lieben gelernt hatten. „Auf einmal gab es in Dubai 50 statt fünf Nachtclubs, 50 statt einem Kino – aber nichts war cool.“

Die Dubai Kids, so nennt Sunny Rahbar Menschen wie sie, die nicht in die Clubs hineinkamen, weil sie Sneakers und keine Loafers trugen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich einige dieser Kids 2002 zusammentaten, einen belgischen Nachtclubbesitzer mit langen blonden Haaren überredeten, ihnen für eine Nacht mal den Club im Edel-Hotel La Mirage zu überlassen, um dort Musik, Mode und Kunst auf drei Etagen zu bündeln. Sunny Rahbar stellte eine libanesische Künstlerin aus: Rana Salam, die Pop-Art-Bilder mit Motiven der arabischen Welt verknüpfte. „Der Laden war voll, wir begriffen, dass es da draußen Menschen gab, die wie wir durstig nach neuen Impulsen waren.“

Trotzdem: Eine Karriere konnte sie daraus nicht machen. Und so fand sich Sunny Rahbar Anfang 2005 auf der Terrasse eines Hotels wieder. Sie war vom Sekt beschwipst, rauchte und dachte über ihre Zukunft nach. Drinnen heiratete eine Freundin, Sunny bekam den Blues: Sollte sie bleiben, weiterhin Hotelmanager anbetteln, ihr einen Raum für Ausstellungen zur Verfügung zu stellen, um Kunst zu zeigen? Oder das Geld als zugegeben halbherzige Stylistin verdienen: Morgens um sechs aufstehen, Kleider von Bügeln reißen und sie Models über den Körper drapieren? Und was wollte diese Kunstlehrerin von ihr, deren Telefonate sie konsequent ignorierte?

Eine etwas ältere Amerikanerin stellte sich zu ihr. „Braut oder Bräutigam?“, fragte Sunny Rahbar. „Weder noch, mich hat eine Freundin mitgeschleppt“, antwortete die Frau. „Eine Hochzeits-Crasherin, toll! Ich bin Sunny.“ – „Sie sind Sunny? Ich versuche Sie seit einer Woche zu erreichen.“ – „Sind Sie die Kunstlehrerin?“ – „Lehrerin? Ich habe zwei Galerien in Singapur aufgebaut und habe das Gefühl, in Dubai passiert gerade etwas in der Kunst.“ – „Langsam verliere ich den Glauben daran. Vielleicht gehe ich nach New York zurück.“ – „Unter welchen Umständen würden Sie bleiben?“ – „Wenn ich eine Galerie eröffnen könnte.“ – „Sollen wir es zusammen wagen?“ – „What?“

Claudia Cellini, eine Amerikanerin, und Sunny Rahbar besiegelten diese Idee nicht sofort. Im März 2005 gründeten sie endlich die Third Line Gallery, ein paar Wochen nach diesem denkwürdigen Treffen und nachdem sie mit Omar Ghobasch einen Investor gefunden hatten. Der Emirati war Diplomat, Intellektueller und auf der Suche, wie er die schönen Künste im Land unterstützen könnte. „Bei unserem ersten Treffen sagte er mir, dass er seinen beiden Söhnen einmal die Künstler seiner Generation zeigen wollte – nur wo waren sie zu sehen?“

Das Trio hatte klare Vorstellungen: Die Galerie sollte weder in einer Shoppingmall noch in einem Hotel sein. Was?, fragten die Behörden, so etwas Verrücktes hatten sie noch nie gehört. Cellini und Rahbar fanden eine Industriehalle in Al Quoz. Im November 2005 veranstalteten sie die erste Vernissage, eine Gruppenausstellung iranischer Künstler. „Wir mussten einen Generator kaufen, der draußen so laut ratterte, dass ich die Musik aufdrehte, um ihn zu übertönen“, erinnert sich Sunny Rahbar heute. „Aber jeder, der kam, sagte: Wie New York!“

Zur selben Zeit öffneten auch andere Frauen Galerien. Maliha Tabari aus Saudi-Arabien gründete Artspace, die Syrerin Yasmin Atassi zog mit der Green Art Gallery aus einem Shoppingcenter nach Al Quoz um, Isabelle Van den Eynde öffnete um die Ecke.

Warum in Dubai? „Ich weiß nicht, ob ich in Saudi-Arabien eine Galerie eröffnen könnte“, sagt Sunny Rahbar und spielt auf die strengeren Gesetze für Frauen an. Dort dürfen sie nicht einmal Auto fahren, für die Besitzerin der Third Line Gallery sicher undenkbar. „Dubai ist eine Insel“, sagt sie. „Ein sehr liberaler Ort in einem weniger liberalen Umfeld.“

Was gut funktioniert, sind Malereien, sagt Sunny Rahbar. Natürlich könnte sie jene Bilder von Ghada Amer, die sie in Manhattan so beeindruckt haben, nicht zeigen. Darstellung von Nacktheit ist verboten. Aber es ändert sich was. In Abu Dhabi zum Beispiel wurde im April ein Teil der Sammlung vorgestellt, die im dortigen Louvre-Ableger zu sehen sein wird. Darunter sind Klassiker wie die Statue einer Nackten aus dem Mittelalter und ein Yves-Klein-Gemälde, das Nacktheit andeutet.

Es scheint so, als trüge die Arbeit von Sunny Rahbar und ihren Mitstreiterinnen Früchte. Kunst ist nicht nur das Geld, das man damit verdient, sondern auch der Genuss, den man daraus zieht. Das hat Rahbar geschafft, sie hat die Szene maßgeblich mitbestimmt, nun muss sie dafür kämpfen, dass sie diese auch langfristig beobachten darf. Als gebürtige Iranerin besitzt sie kein permanentes Aufenthaltsrecht, sollte sie aufhören zu arbeiten, muss sie das Land verlassen. „Das ist eine andere Geschichte“, winkt sie ab. Jetzt braucht sie erst mal Alltag: E-Mails beantworten, sich in ihrer Wohnung mit Sicht auf den Burj Khalifa ausruhen und vielleicht heute Abend einen Drink gönnen. Ein Glück, dass sie in Dubai lebt.

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