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Kurzurlaub in Havelberg: Vom Fluss umschlungen

Havelberg in Sachsen-Anhalt hat etwas Besonderes: Die hässlichen Seiten sind geschickt versteckt.

Von Andreas Austilat

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Von oben betrachtet hat sich Havelberg in den vergangenen 100 Jahren wahrscheinlich gar nicht verändert. Oben, das ist der Berg, der der Stadt den Namen gegeben hat. Eigentlich ist es nicht mehr als ein Hügel, rund 40 Meter hoch, aber die wollen über eine ziemlich steile Treppe erst einmal erklommen werden. Gekrönt vom Dom, ein wuchtiges Ziegelsteingebirge, dessen ältester Teil seit 900 Jahren mehr Burg als Kirche ist, mit Fensterschlitzen wie Schießscharten. Und dabei zeigt sich der Dom von innen doch so luftig mit seinen hoch aufragenden gotischen Spitzbögen.

Unten ducken sich die Dächer der Bürgerhäuser auf ihrer Insel zusammen, von der Havel umklammert, die sich teilt und unweit von hier in die Elbe mündet; entweder auf kurzen zwei Kilometern über den Elbe-Havel-Kanal oder auf verschlungenem Weg durchs Biosphärenreservat.

Jenseits des Flusses ist einfach Schluss, geht es nicht weiter mit dem üblichen Kordon aus Supermärkten und Einfamilienhäusern, der Städte heutzutage normalerweise umgibt. Natürlich hat Havelberg so etwas auch. Man sieht sie nur nicht, die Plattenbauten und die Supermärkte. Sie verstecken sich irgendwo jenseits des Domes. Das macht Havelberg so besonders.

Downtown Havelberg konnte nicht wachsen

Solche Städte gibt es sonst gar nicht mehr. Was nämlich lange ein Vorteil war: Fluss drum herum, Zugbrücke hoch und keiner kommt mehr rein, wurde irgendwann zum Problem. Downtown Havelberg, eine der ältesten Städte der Mark Brandenburg – auch wenn sie inzwischen in Sachsen-Anhalt liegt – konnte nie größer werden. 400 Meter im Durchmesser, dann steht man an einem Ufer und kann den Weiden beim Hängen zuschauen. Was auf all jene, denen gerade nicht nach Betriebsamkeit zumute ist, sehr entspannend wirkt. Und man ahnt, dass vielleicht der Tag nicht fern ist, wo Havelbergs Problem sich wieder auszahlen könnte.

Für die Geschäftsleute ist das natürlich schwierig. „Kommt doch kein Lieferwagen durch“, sagt die Blumenfrau in der Langen Straße. Solche engen Kopfsteinpflastergassen wurden einst für schmale Karren konzipiert. Heutzutage findet sogar der traditionsreiche Pferdemarkt drüben auf dem Festland statt. Das größte Fest am Ort. Wo die Bauernburschen der Umgebung sich nicht nur für Pferde interessierten, sondern auch nach ihrer Zukünftigen schauten.

Zum Glück gibt es Karina Boensch

Und so müsste man sich eigentlich Sorgen machen um die 6000-Einwohner- Stadt. Doch dann sind da Leute wie Karina Boensch, hier geboren, die sogar das Wort „Boom“ in den Mund nimmt, wenn sie von der Stadtinsel spricht. Die 42-Jährige im schwarzen T-Shirt findet die Stadt zwar immer noch ein wenig verschlafen. Aber das sei ja genau das Schöne.

Und ein bisschen erstaunlich ist es auch. Immerhin sollte Havelberg im vergangenen Jahr mit aller Macht geweckt werden. Da war Bundesgartenschau (Buga) im Havelland, verteilt auf fünf Standorte, von der Stadt Brandenburg im Süden bis nach Havelberg im Norden.

Offiziell war man dann ein wenig enttäuscht über die Bilanz im Herbst 2015, weil statt der erwarteten anderthalb Millionen nur eine Million Besucher kamen. War super, findet dagegen Karina Boensch, die eigens das alte Wasserwerk zur Pension umgerüstet hatte, „wir waren praktisch immer ausgebucht“.

Was vom Blumenschmuck blieb

Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.
Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.

© Hansestadt Havelberg

Die Buga hat die Stadt für viele erst auf die Landkarte gesetzt. Ein Jahr später ist der Blumenschmuck nicht mehr ganz so üppig, dafür sind auch die Zäune weg, alles, was damals Eintritt kostete, ist frei zugänglich, einschließlich des Blicks über das Havelland.

Wenn man zum Beispiel von der Domstadt aus die Stadt zu Fuß entlang des Flusses verlässt, ist immer noch Buga, eine der kleineren, ganz unaufgeregten Art. Links schaut man in die hübschen Privatgärten der Anwohner, darunter den Autokennzeichen nach zu urteilen einige Exil-Berliner, rechts ist das offene Havelland, macht der Fluss eine malerische Kurve und schon ist die Stadt im Rücken fast außer Sicht.

Zuzug der 40-Jährigen

Boensch registriert immer mehr junge Leute, womit sie ihre Generation um die 40 meint, deren Kinder gerade schulpflichtig werden und die die Häuser auf der Stadtinsel attraktiv finden. Man finde dort richtige Altbauwohnungen. Was in Havelberg nicht zwangsläufig Mittelalter bedeutet, mit Butzenscheibe und Minizimmern, die gibt es auch. Aber die Unterstadt ist, bedingt durch ihre Enge auf der Insel, in den vergangenen 500 Jahren ein paar Mal abgebrannt, zuletzt 1870. Da wurde sogar die Feuerwehr aus Berlin gerufen, mit dem Telegrafen, zwölf Stunden später war sie da, leider ein bisschen spät. Die Havelberger Entschleunigung führte zu einem massiven Großbrand. Heute säumen deshalb neben den alten Fachwerkbauten auch eine ganze Reihe Gründerzeithäuser die Gassen, was ihnen einen Hauch Charlottenburg verleiht.

Einer der Neu-Havelberger ist Henrik Hempelmann. Der Softwareentwickler aus Berlin pendelt zwar noch regelmäßig, denkt aber darüber nach, ganz herzuziehen. Seine Frau Ute Schröder hat das schon getan und eine Töpferei gleich gegenüber vom Dom eröffnet, in einem Haus, in dem wahrscheinlich einst Domhandwerker lebten und das 15 Jahre lang leer stand.

Die kleinste Kulturhauptstadt Europas?

Und wenn Hempelmann nicht gerade durch das Biosphärenreservat zieht, einmalige Landschaft, wie er versichert, engagiert er sich im Verein „denkMal und Leben“, der gleich um die Ecke in der Domherrenstraße die einstige Domkurie restauriert hat.

Das Haus beherbergt heute ein Café, Werkstätten und eine Bücherei. Nicht die einzige, auf der Stadtinsel betreibt der Verein Kultur-Projekte, der Havelberg so gern zur kleinsten Kulturhauptstadt Europas machen würde, ebenfalls eine Leihbücherei und zwei Galerien. Der Ort stemmt sich mit Kultur gegen den Niedergang der Geschäftswelt, der ist nicht zu übersehen, Boom hin oder her. „Finaler Schlussverkauf“ liest man auf den Fenstern eines Bekleidungsgeschäftes, auf anderen steht "zu vermieten". Es gibt aber auch noch Traditionsbetriebe, Eisen-Kühn existiert seit 160 Jahren, gerade hat der Laden Geschäftsjubiläum gefeiert.

Die Stadt, die ziemlich in der Mitte auf dem Wasserweg von Hamburg nach Berlin liegt, könnte also ein paar Zuwanderer vertragen. Wie schon einmal, als der Große Kurfürst vor 350 Jahren maritime Ambitionen hatte und sein nach dem 30-Jährigen Krieg verarmtes Fürstentum Brandenburg zur Seemacht hochrüsten wollte. Er warb damals einen holländischen Freibeuter an. Benjamin Raule sollte ihm zu einer Flotte verhelfen. Aus der Stadt im Winkel zwischen Elbe und Havel wurde ein Standort für Werften. Und holländische Schiffsbauer folgten.

Die Holländer sind wieder da

Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.
Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.

© Hansestadt Havelberg

Irgendwie war es dann aber doch zu weit zum Meer. Und so wäre die Werftgeschichte wahrscheinlich längst zu Ende, wenn nicht in den 1980er Jahren ein Möbeltischler gekommen wäre und eine Werkstatt für didaktisches Holzspielzeug eingerichtet hätte, in der DDR ein rares Gut. Das Unternehmen wuchs, heute gehört wieder eine Werft dazu, laufen Jachten vom Stapel, ist die Kiebitzberg-Gruppe, deren Logo unübersehbar am Havelufer prangt, einer der größten Arbeitgeber. Sogar ein ambitioniertes Hotel ist inzwischen Teil des Unternehmens.

Und auch die Holländer sind wieder da. 350 Jahre nach Benjamin Raule stehen auf der Spülinsel vor den Toren der Stadt eine ganze Reihe Wohnwagen mit den gelb-schwarzen Kennzeichen. Die Insel verdankt ihren Namen der Tatsache, dass sie erst in den 1930er Jahren entstand, als der Kanal gebaggert wurde, um den Weg zur Elbe zu verkürzen. Heute ist hier der Campingplatz. Warum aber kommen Holländer gerade nach Havelberg?

„Wir lieben Flüsse und Radfahren“, sagt ein Mann aus Utrecht, während die Elbfähre nach Räbel sich langsam dem Ufer nähert. Er und seine Frau seien neulich in den Abruzzen gewesen, ganz unmöglich für Radfahrer, sagt sie. Aber hier? Der Elbe-Havel-Winkel ist an das Elbe-Radwegenetz angeschlossen, Autofahrer muss man selbst auf größeren Wegen kaum fürchten. Es gibt weit und breit keine Brücke über die Elbe, nur zwei Fähren, was den Verkehr enorm verlangsamt.

Ein wenig genutzter Geheimtipp

Auf der Fähre erklärt der Fährmann, dass die Deichkronen befestigt und für Radfahrer befahrbar sind, selbst wenn das auf der Karte nicht so ausgewiesen ist. Ein Schild auf der Deichkrone erlaubt das ausdrücklich, sofern man ohne Motorkraft unterwegs ist. Der Weg von Räbel über Berge nach Büttnershof erweist sich deshalb selbst in der Hochsaison als wenig genutzter Geheimtipp.

Die Route führt erst entlang der Elbe mit ihren Auen, vorbei am verschlafenen Dorf Berge, dann durch einen Mischwald und streift die Tümpel im Naturschutzgebiet Alte Elbe. Büttnershof ist ein guter Platz für einen Zwischenstopp (siehe Tipps). Zurück geht es über die Elbfähre bei Sandau.

Am Abend erzählt der Campingplatzwirt, dass das mit den Holländern kein Zufall sei, sondern wahrscheinlich ein Verdienst des inzwischen pensionierten Chefs der Havelberger Touristeninformation. Der Mann habe – die Zukunft fest im Blick – bereits in den 90er Jahren regelmäßig auf holländischen Campingmessen für seine Stadt mit Wasseranschluss geworben.

Sozusagen eine zeitgemäße Version des Großen Kurfürsten.

Reisetipps und Adressen

Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.
Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.

© Hansestadt Havelberg

ÜBERNACHTEN

Direkt am Dom hat der Verein „denkMal und Leben“ das Kurienhaus restauriert, dort gibt es eine Ferienwohnung (ab 60 Euro), Domherrnstraße 8, 39539 Havelberg,

Telefon: 039387 79025; domherrn8.de.

Im Alten Wasserwerk vermietet Karina Boensch entweder das Haus komplett oder drei einzelne Zimmer, Weinbergstraße 64 a; alteswasserwerk-havelberg.de. Auf einer Havelinsel mit Blick auf die Stadt liegt der Campingplatz; campinginsel-havelberg.de – von dieser Webseite aus landet man bei der Havelberger Inseltouristik, die auch Zimmer vermittelt.

ESSEN
Nett sitzt man im „BilderbuchCafé“ direkt am Markt, Markt 7; dasbilderbuchcafe.de. Ambitioniert isst man im Schmokenberg Restaurant; arthotel-kiebitzberg.de. Gut für Picknick oder zum Einkehren bei der Radtour: Büttnershof; gutshaus-buettnershof.de.

DAS HAUS DER FLÜSSE
... ist ein Informationszentrum des Biosphärenreservats, man kann es gut mit Kindern besichtigen; haus-der-fluesse.de.

Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.
Idyll mit Wucht: Blick auf Havelberg, im Hintergrund schaut der Dom heraus.

© Hansestadt Havelberg

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