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Der dänische Hollywoodstar Mads Mikkelsen

© AFP

Mads Mikkelsen im Interview: „Weltgrößter Sexappeal? Da gähnt meine Frau“

Bei Mads Mikkelsen muss es krachen. Obstfressende Gutmenschen spielt er nicht. Warum ihm seine Ausbildung zum Tänzer hilft und wie er James Bond aufmischen will.

Wow, das sieht man heutzutage selten: einen Schauspieler, der in seinem Hotelzimmer raucht.
Ja, ich genieße es, dass man hier in Marrakesch überall qualmen darf. Ich überlege schon, ob ich deswegen nicht hierherziehen soll.

Wo leben Sie denn derzeit? In Los Angeles?
Nein, in L. A. bin ich nur ab und zu, um irgendwelche Hände zu schütteln. Dort zu wohnen, würde mir gar nichts bringen, denn auch meine amerikanischen Filme wurden allesamt nicht in den USA gedreht, sondern in Kanada, Tschechien oder anderswo. Seit 2012 lebe ich sechs Monate pro Jahr in Toronto, wo die Fernsehserie „Hannibal“ produziert wird, und den Rest des Jahres in Kopenhagen – es sei denn, ich drehe gerade irgendwo einen Film.

Kann Ihre Familie Sie überallhin begleiten?
Das ist unser Ziel. Allerdings klappt das leider nicht immer. Beim Dreh der ersten „Hannibal“-Staffel war meine Familie beispielsweise mit mir in Toronto, doch bei der zweiten Staffel gab es Probleme wegen der Schule – da musste ich stattdessen öfters hin- und herjetten, wenn ich mal ein paar Tage freihatte. Alles nicht so einfach. Aber langsam werden meine Frau und ich Profis im Jonglieren mit Terminen.

Wie geht Ihre Frau mit der Tatsache um, dass sie mit einem Sexsymbol verheiratet ist?
Das ist ihr völlig schnurz. So sorgt sie dafür, dass ich nicht abhebe. Als sie vor einigen Jahren hörte, dass ein dänisches Klatschblatt mich zum Mann mit dem weltweit größten Sexappeal gewählt hatte, da gähnte sie erst mal herzhaft. Wir können beide darüber lachen, dass dieses Etikett seither an mir klebt – wir wissen, dass es nicht das Geringste bedeutet. Alle naselang wird doch wieder irgendein neuer „sexiest man“ ausgerufen. Es ist natürlich angenehmer, als wenn man zum hässlichsten Mann der Welt gekürt wird. Aber ich habe ja ganz bewusst viele Rollen gespielt, die dem Sexsymbol-Image völlig zuwiderlaufen.

Hat man Ihnen je nahegelegt, statt der knallharten Actiondramen mehr Liebesromanzen zu drehen?
Nein. Das würde auch nichts nützen: Bei der Auswahl meiner Filmprojekte lasse ich mir von niemandem dreinreden. Und ich stehe nun einmal auf Action – ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich schon mit acht Jahren künstlerisch wertvolle französische Filme reingezogen haben. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und bin mit Actionkrachern aufgewachsen: Die Helden meiner Kindheit waren Bruce Lee, Charles Bronson und der rote Korsar. Damals hatte ich noch überhaupt keine darstellerischen Ambitionen – ich wollte einfach genauso ein cooler Pirat sein, ein Ritter, ein Schwertkämpfer. Und jetzt, auf meine alten Tage, kann ich diese Kindheitsträume tatsächlich verwirklichen.

Vor Ihrem Wechsel ins Schauspielfach haben Sie Modern Dance studiert und acht Jahre als Profitänzer gearbeitet. Haben Sie sich auch auf den Tanzflächen der dänischen Clubs ausgetobt
Ich habe nie nur so zum Spaß getanzt. In Clubs fand man mich grundsätzlich am Billardtisch, meistens mit einem Bier in der Hand.

Hilft Ihnen die Tanzausbildung heute bei den körperlichen Herausforderungen mancher Rollen?
Sicher. Ich kenne meinen Körper sehr gut und kann ihn mühelos kontrollieren. Ich überlege mir bei jeder Filmfigur genau, wie sie sich bewegt: langsam und schwerfällig? Oder hektisch und ungeduldig? Meine Tänzererfahrung ermöglicht es mir zudem, meine Stunts selbst zu machen, worauf ich sehr stolz bin.

Haben Sie sich dabei nie verletzt?
Mehrmals sogar. Das gehört einfach dazu, wenn man Actionfilme dreht. Meine schlimmste Verletzung verdanke ich allerdings nicht einem gefährlichen Stunt, sondern meiner eigenen Dummheit: Während der Dreharbeiten zu dem Western „Salvation“ in Südafrika habe ich ein großes, schweres Messer auf meine Hand fallen lassen – und mir dabei fast einen Finger abgeschnitten. Die Wunde infizierte sich, und um ein Haar hätte man den Finger amputieren müsse

"Ich war reif für eine Sommerkomödie."

Üben Sie die Tanzfiguren von damals heute noch?
Ich würde vielleicht gerade noch einen Purzelbaum oder einen Flickflack hinkriegen. Aber ich glaube, dass ich mir die wichtigsten Figuren in einer Woche wieder draufschaffen könnte. Na ja, sagen wir vielleicht: in einem Monat.

Würden Sie gern einmal ein Musical drehen?
Es würde mir großen Spaß machen, in einem Film zu tanzen – aber nicht unbedingt in einem Musical. Ich fürchte, dann müsste zumindest jemand anderes meine Gesangsparts übernehmen. Ich könnte zwar singen, bezweifle jedoch, dass man dafür Geld verlangen dürfte. Außerdem würde ich nur ungern in einem klebrig-kitschigen Musical mitspielen, sondern lieber in einer raueren, moderneren Variante.

Wie wählen Sie Ihre Filmprojekte aus?
Nach Lust und Laune. Dabei ist mir die Abwechslung sehr wichtig: Wenn ich lauter ähnliche Figuren verkörpern müsste, würde mir mein Beruf bald zum Hals raushängen. Vor einiger Zeit habe ich mal den Fehler gemacht, gleich drei emotional auslaugende Dramen hintereinander zu drehen – danach war ich regelrecht reif für eine harmlose Disney-Sommerkomödie. Und spätestens nach vier Wochen gepflegtem Konversationsgeplänkel in gediegenen Kostümen verspüre ich den unbändigen Drang, mich mit einem Schwert in eine wilde Wikingerschlacht zu stürzen – oder James Bond die Hölle heißzumachen!

Hätten Sie Lust auf ein weiteres Bond-Abenteuer?
Na klar! Wäre es nicht toll, wenn ich mich mit Javier Bardem verbünden könnte? Wir waren beide schon so kurz davor, Daniel Craig fertigzumachen! Ich glaube, als Superschurken-Duo hätten wir eine Chance, oder? Im Ernst: Ich liebe es, Rollen zu spielen, die mich körperlich fordern – und ich möchte das möglichst ausnutzen, solange ich noch nicht zu alt dafür bin.

Machen Sie sich Gedanken übers Älterwerden?
Nein. Das grausame Filmbusiness meint es ja noch relativ gut mit uns Männern: Während Schauspielerinnen nach ihrem 30. Geburtstag im Prinzip warten müssen, bis sie 80 sind und Miss-Daisy-Figuren spielen dürfen, gibt es für reifere Männer durchaus interessante Rollen. Und wenn keine Angebote mehr ins Haus flattern, dann kann ich es auch nicht ändern. Ich habe immer alles auf mich zukommen lassen.

Sie haben sich nie aktiv um Jobs bemüht?
Klinkenputzen ist einfach nicht mein Ding. Im Gegensatz zu vielen Kollegen hatte ich allerdings auch das Glück, dass ich mich nie abstrampeln musste, um Angebote zu bekommen. Außerdem wäre ich viel zu stolz, jemanden um eine Rolle anzubetteln, auch wenn ich sie noch so gern spielen würde. Ich möchte stets das Gefühl haben, dass die Leute mich unbedingt wollen und mich nicht nur aus Mitleid engagieren.

In den vergangenen Jahren haben Sie kaum mehr in Dänemark gearbeitet, sondern in internationalen Produktionen – wegen der Abwechslung?
Das liegt eher daran, dass in meiner Heimat nur sehr wenige Filme produziert werden. Sobald ich erneut in einem dänischen Film zu sehen bin, schimpfen manche Leute: „Oh nein, nicht der schon wieder! Muss der Kerl seine blöde Visage wirklich in jede Kamera halten?“ Schuld daran ist vor allem die Klatschpresse, die sich wie besessen auf mich stürzt – ständig bin ich wegen irgendeinem Mist in den dänischen Medien. Insofern kann ich es gut verstehen, dass einem der Hype um manche Stars auf die Nerven geht. Um mehr als zwei Monate pro Jahr arbeiten zu können, musste ich mich also jenseits der Landesgrenzen umsehen.

Stört es Sie nicht, dass Sie in Hollywood fast nur als Bösewicht besetzt werden?
Ich sehe meine Filmfiguren gar nicht als Bösewichte – ich finde, das sind eigentlich ganz nette Kerle, die bloß missverstanden werden. Doch es stimmt schon, dass Hollywood-Bosse die Tendenz haben, zu uns Europäern zu sagen: „Höre ich da etwa einen kleinen Akzent? Alles klar – du spielst den Schurken!“ Allerdings scheint sich dieses Klischeedenken allmählich zu wandeln: Man hat mir auch schon andere Rollen angeboten. Sie waren nur leider ziemlich langweilig. Es reizt mich nicht, obstfressende Gutmenschen zu spielen. Weitaus interessanter finde ich widersprüchliche Figuren, die auf den ersten Blick unsympathisch wirken und viele Fehler machen. Damit kann ich mich eher identifizieren.

"Mit Werbung erkaufe ich mir die Freiheit"

Seit ein paar Jahren sind Sie in diversen Werbespots zu sehen, obwohl Sie doch zu Beginn Ihrer Karriere verkündet haben, Sie würden Werbung hassen und sich nie für so einen Schrott hergeben.
Ja, ich weiß. Damals war ich ein großer Idealist. Tja, was soll ich sagen? Es fällt Ihnen sicher nicht schwer, zu erraten, warum ich zehn Jahre später doch noch schwach wurde.

Hmm … Fängt das Wort zufällig mit „G“ an?
Genau. Die Summen, die ich mit Werbung verdienen kann, erlauben es mir, ungeliebte Filmprojekte abzulehnen, die ich sonst möglicherweise annehmen müsste, um meine Familie zu ernähren. So erkaufe ich mir die Freiheit, monatelang zu Hause bei meinen Kindern bleiben und auf vernünftige Filmangebote warten zu können. Ich drehe lieber einen netten Werbespot als einen miesen Film, für den ich mich hinterher schämen muss.

Sie haben mir vor einigen Jahren auch mal erzählt, es würde Sie nicht im Geringsten reizen, noch einmal in einer Fernsehserie mitzuspielen …
Ja, weil ich einst mit der dänischen TV-Serie „Unit One“ schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Zuvor hatte ich mit Filmen wie „Pusher“ entdeckt, dass das Kino die Möglichkeit bot, Grenzen zu überschreiten und verrückte, radikale Dinge zu tun. Doch beim Fernsehen musste alles glattgebügelt werden, weil der Sender keine potenziellen Zuschauer verschrecken wollte. Ich hätte jedes Mal kotzen können, wenn die TV-Regisseure zu mir sagten: „Ja, stimmt, du sollst in dieser Szene wütend sein. Aber bitte nicht gar so wütend!“ Oder: „Ja, blute, aber bloß nicht zu stark!“ Heutzutage ist das ganz anders: Da haben die Verantwortlichen in den Fernsehsendern sogar oft mehr Eier als die Hollywood-Bosse. Bei „Hannibal“ wird jedenfalls nichts geglättet – wir dürfen es richtig krachen lassen.

Wie haben Sie sich auf die berüchtigte Hannibal-Lecter-Rolle vorbereitet? Haben Sie viel recherchiert? Sich mit Anthony Hopkins unterhalten? Ein menschliches Herz verspeist?
Mister Hopkins habe ich leider nie getroffen. Ein Menschenherz konnte ich auch nicht auftreiben – da hätte ich bessere Karten gehabt, wenn ich wie Hannibal zugleich Chirurg, Serienkiller und Kannibale wäre. Aber ich bin halt nur ein kleiner Schauspieler – und übrigens auch kein großer Recherche-Fan. Ich glaube nicht, dass ich in Büchern etwas über Hannibal gefunden hätte, denn er ist überhaupt kein klassischer Psychopath: Es gibt in seiner Vergangenheit absolut nichts Unbewältigtes. Er ist völlig mit sich im Reinen – wahrscheinlich der glücklichste Mensch, den ich je verkörpert habe. Er hat eben nur ein etwas anderes Weltbild als wir.

Mögen Sie ihn?
Ich mag es, ihn zu spielen, diesen Feinschmecker und Feingeist. Ich mag die Art, wie er sich kleidet – ich selbst würde privat nie so rumlaufen. Normalerweise interessiere ich mich nicht die Bohne für Mode, aber ich finde es spannend, mich morgens aus meinen Adidas-Klamotten zu schälen und Hannibals Anzüge anzuziehen: Da schlüpfe ich buchstäblich in die Rolle. Das hilft mir sehr beim Spielen.

Können Sie auch so gut kochen wie er?
Ach was! Ich beherrsche bloß ein paar einfache Thai-Rezepte: Zeugs klein schnippeln, rein damit in den Wok, fertig ist die Laube! Ich kann auch eine scharfe, würzige Suppe mit Kokosmilch und Shrimps zubereiten – aber dazu brauche ich ungefähr fünf Stunden.

Fällt es Ihnen nach sechs Monaten Dreharbeiten schwer, die Hannibal-Rolle wieder abzulegen?
Nein. Ich habe immer versucht, so schnell wie möglich in eine Figur hineinzufinden und sie dann auch möglichst rasch wieder hinter mir zu lassen. Das gelingt mir eigentlich immer ganz gut. Ich gehöre auch nicht zu den Darstellern, die ihre Filmfiguren abends mit nach Hause schleppen und darauf bestehen, dass ihre Kinder sie mit ihrem Rollennamen ansprechen. Das finde ich, mit Verlaub, ziemlich pervers und prätentiös.

Haben Sie einen speziellen Rat für junge Kollegen?
Ja: Als Schauspieler solltest du unbedingt sicherstellen, dass du dich mit dem Regisseur verständigen kannst. Du musst nicht immer dieselbe Meinung haben wie er, aber du musst irgendwie in der Lage sein, mit ihm zu kommunizieren – sonst kannst du das ganze Projekt vergessen. Und noch was: Lass dich vom Regisseur oder von einem berühmten Spielpartner nicht einschüchtern. Trau dich, dir in jeder Szene die Zeit und den Freiraum zu nehmen, den deine Filmfigur braucht!

Wie schafft man das?
Da gibt es kein Rezept. Jeder Filmemacher ist anders. In einer idealen Welt wäre der Regisseur eine Art Psychologe, der individuell auf die verschiedenen Darsteller eingeht, sie formt und fördert und unterstützt. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die meisten Regisseure sind sehr seltsame Vögel mit riesigem Ego, oft noch dazu extrem introvertiert – und als Schauspieler muss man dann Psychologe spielen und mühsam herausfinden, wie man an diese Typen herankommt.

Glauben Sie, dass Regisseure Sie für schwierig halten?
Nein. Sicher, ich fordere viel und sage immer klipp und klar meine Meinung. Aber ich bin ziemlich gut darin, Drehbücher sehr genau zu lesen, die richtigen Fragen zu stellen und den Finger in die Wunden zu legen. Und ich denke, dass die meisten Filmemacher dafür dankbar sind.

Was treiben Sie in Ihrer Freizeit?
Ich bin der totale Sportfreak: immer in Bewegung, immer mit einem Ball in der Nähe. Unter anderem spiele ich Handball, Fußball und Tennis. Ich fahre möglichst viel mit dem Rad und versuche auch sonst, mich fit zu halten.

Und wie verträgt sich das mit dem Rauchen?
Ha! Sie haben mich erwischt! Da sehen Sie’s: Wir Menschen stecken voller Fehler und Widersprüche. Ich bin das beste Beispiel dafür!

Marco Schmidt

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