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Zwischen Palmen und Kakteen. Der Weihnachtsmann kommt natürlich auch auf die Kanaren.

© imago

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Die rote Windjacke im Saharasturm

Unser Autor wollte auf Lanzarote den Weihnachtsmann spielen. Ein türkischer Junge fand die Aktion gar nicht lustig.

Hätte ich mich doch nie als Weihnachtsmann verkleidet! Wir trafen uns Weihnachten mit türkischen Freunden auf Lanzarote, und ich dachte, für das Luther-Jahr müsste ich ein christliches Zeichen setzen.

Ich hatte spanische Reinigungswatte aus dem Hiper-Dino-Supermarkt, eine rote Mütze aus einer Boutique und meine rote Windjacke sowie drei goldene Kugeln vom Lidl in Puerto del Carmen, das müsste ja reichen, dachte ich, für den Glauben, das Staunen, die großen Kinderaugen.

Mein Sohn ist erst zwei, das andere Kind war schon etwas älter, hatte aber in der Türkei noch nie von einem Weihnachtsmann gehört, geschweige denn einen gesehen. Meine Performance hatte es in sich. Ich schaute winkend durch ein Fenster ins Haus hinein, draußen fegte passenderweise der Calima, der rötliche Saharasturm, ich musste mir die Reinigungswatte festhalten, aber glaubhafter war ich nie! Die Augen meines Sohnes leuchteten wie der Abendstern. Der muslimische Junge stand, ohne sich zu bewegen, da, und starrte auf das Fenster.

Mein Sohn war begeistert, das andere Kind hatte Albträume

Einserseits, stellte ich mir vor, sei ich Martin Luther, der seinen Kindern den Weihnachtsmann vorspielt. Es war ja er, der seit dem Trienter Konzil den „Visitator“ einsetzte, einen Mann, der in die Familien kommt und guckt, ob die Kinder sich benehmen. Ich schaute also wie ein vom Trienter Konzil eingesetzter Visitator, mit rollenden, prüfenden Augen, einen Wimpernschlag von gerechtem Zorn legte ich sogar hinein. Andererseits schaute ich herzensweise, so wie ich mir den Heiligen Nikolaus von Myra vorstellte, der einem verarmten Mann, der seine drei Töchter zu Prostituierten machen wollte, drei Goldklumpen durchs Fenster warf, daher also meine drei ikonografischen Kugeln aus dem Lidl.

Laut der Mütter muss ich sensationell gewesen sein. Mein Sohn wollte, dass der Weihnachtsmann am nächsten Tag wiederkommt, das andere Kind hatte schlechte Träume. In der Nacht auf den Zweiten Weihnachtstag schrie es auf Türkisch, dass der Weihnachtsmann nicht kommen soll; in der nächsten Nacht stand es im Bett und schrie so laut, dass das Babyphone übersteuerte.

Wir entschieden, ein muslimisches Kind muss nicht an den Weihnachtsmann glauben, es hat das Bayram-Fest, das Zuckerfest, da muss es vorher fasten lernen, oder das Opferfest, da wird etwas geschlachtet, aber es kreuzen keine lutherhaft-augenrollenden Männer im Fenster auf, denen der Saharasturm durch den wilden Bart weht.

Ich könnte mich als Opferlamm verkleiden

Ich verkleidete mich wieder, erschien zur Guten Nacht noch einmal meinem Sohn, dann betrat ich das Zimmer des anderen Jungen. „Schau mal, Attila“, erklärte dessen Mutter, „nun zeigt dir der Mann da mal, was unter dem Bart ist.“ Ich riss die Watte ab, das Kind schrie. Mütze ab, Kind schrie. „Schau mal“, sagte ich, „der Bart ist gar kein Bart, das ist Watte, hier, zieh mal dran!“ Er schrie immer fürchterlicher.

„Vielleicht war es falsch“, sagte ich zu der Mutter, „dem Kind den christlichen Glauben aufzudrücken, aber vielleicht ist es viel falscher, es mit dem Making-of zu verstören. Vielleicht denkt es jetzt, es gibt zwei, einen echten Weihnachtsmann und einen mit dieser Watte? Ich könnte mich als Opferlamm verkleiden, wie viel von der Watte haben wir denn noch?“ – „Zieh sofort die scheißrote Windjacke aus!“, befahl die Mutter.

Ich stand nun ganz unchristlich da, sogar die drei Lidl-Kugeln hatte ich abgegeben, doch das Kind schrie weitere sieben Nächte durch. Mit denen treffe ich mich Weihnachten nie wieder.

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