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Wer schaut Fox & Friends? Donald Trump ist bekennender Fan.

© Jörg Carstensen/dpa

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Vergangenheit: Der neue irrsinnige Realismus

Müsste man die Ereignisse der vergangenen Wochen verfilmen, wäre es ein Irrsinnsdrehbuch.

Wenn man die letzten Wochen zu einem welterzählenden Drehbuch zusammenfassen müsste, dann wäre es ein irrsinniger Film. In einer Episode mietet sich ein junger Elektriker aus Tübingen, dem auf seiner Facebook-Seite eine Reggae-Band und eine kirchliche Pfingstgemeinde gefällt, im Hotel des BVB ein, um aus einem Zimmer mit Aussicht die Detonation des Mannschaftsbusses zu erleben, den er selbst mit drei Bomben, versteckt hinter Hecken, in die Luft jagen wollte. Vorher hatte er noch online 15 000 Put-Optionen erworben, mit denen er auf den Fall der Vereinsaktie setzte.

Bei Sat 1 oder RTL hätte man wahrscheinlich gesagt, so etwas nehme man selbst unserem Sender nicht ab. Bei Arte hätte man sich gewünscht, die Kapitalismuskritik wäre im Drehbuch etwas glaubwürdiger, nicht ganz so irrsinnig verpackt worden.

Dabei weiß ich nicht, was noch irrsinniger ist: die Tat selbst oder die Tatsache, dass es Put-Optionen gibt, dass sich in unserer Finanzwelt offenbar die Idee durchgesetzt hat, dass Gewinnstreben gesellschaftlich auch mit den wahnwitzigsten Optionen akzeptiert und gewünscht ist.

Und dass in dieser Welt alles irgendwie durch das Netz unheilvoll verbunden scheint, in diesem Fall: die irrsinnigen Träume eines Elektrikers, der große Finanzmarkt und der Sport als börsennotiertes Unternehmen. Wie in einer Eins-zu-Eins-Situation auf dem Fußballplatz knallte nun alles über dem BVB-Bus zusammen. (Vermutlich beginnt das verführte, irrsinnige Denken früher: Wenn man auf die Baisse anderer wettet, muss man auf alles Schlechte hoffen: Pleiten, Tragödien, Terror.)

Nächste Szene: Trump und die die Fox & Friends-Sendung

Weiter im Irrsinnsfilm! Eine andere Episode würde zeigen, wie ein amerikanischer Präsident das Fox & Friends-Frühstücksfernsehen schaut, emotional aufwühlende Bilder sieht und danach ins Weiße Haus fährt und 59 Marschflugkörper auf einen Luftwaffenstützpunkt in Syrien abfeuert, ohne UN-Resolution, ohne Absprachen in den Bündnissen.

In der nächsten Szene sieht man den Fox & Friends-Moderator – der mittlerweile weiß, dass ihm der Präsident zuschaut – wie er nun emotional Aufwühlendes über Diktator Kim Jong-un erzählt, dazu Bilder der Festnahme eines Amerikaners in Pjöngjang. Die Szene wird danach zu einer Nahaufnahme von Trumps Gesicht und seinen Händen. In einer Hand sein Telefon mit Twitter, in der anderen der Autorisierungscode zu den Nuklearwaffen, den Jimmy Carter einmal aus Versehen mit dem Anzug in der Reinigung abgegeben haben soll, wo er vermutlich sicherer war als nun im Jackett von Donald Trump, der die Fox & Friends-Sendung sieht.

Das Problem an diesem Drehbuch ist nur, dass alles wahr ist

Es gibt noch weitere Irrsinnsszenen. Zwischen dem twitternden Trump und der auf Europadämmerung unerschrocken Put-Optionen setzenden AfD bzw. Marine Le Pen, sieht man den türkischen Präsidenten. Er schreit und schreit und erklärt seinen in Deutschland lebenden Bürgern, dass sie leider in einem Naziland leben würden, worauf ein beachtlicher Teil dieser hier lebenden Türken voller Begeisterung die Demokratie in der Türkei abwählt und dem Präsidenten mehr Macht verleiht als dem amerikanischen und französischen Präsidenten zusammen – (oder der französischen Präsidentin … La prochaine Très fou-Irrsinn!?).

Die Schlussszene gibt es noch nicht. Das Problem an diesem Drehbuch ist nur, dass eigentlich alles wahr ist. Und dass man die Wirklichkeit nicht mehr abbilden kann, ohne für unseren Verstand übertrieben unrealistisch zu wirken. Das ist der neue irrsinnige Realismus.

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