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Leslie Mandoki 2015 beim Soundtrack für das Open Air Konzert "Mandoki Soulmates" in Budapest (Ungarn).

© Ursula Düren/dpa

Musiker Leslie Mandoki: "Ein Rebell bin ich immer noch"

In seiner Heimat Ungarn wurde er 17 Mal verhaftet – nun designt er Autosounds und singt für Angela Merkel. Leslie Mandoki über seine gefährliche Flucht durch einen Tunnel voller Ratten.

Herr Mandoki, Sie waren Schlagzeuger und wollten Jazzrock spielen. Stattdessen sind Sie 1979 beim Produzenten Ralph Siegel und seiner Schlagerdisco-Formation Dschinghis Khan gelandet. Das war Ihnen …

… unglaublich unangenehm. Peinlich.

Was war daran so schlimm?

Alles. Nichts war nicht peinlich. Ich hatte Musik studiert und in Ungarn schon auf Festivals in Stadien gespielt, kam nach München, wo der Munich Sound gerade boomte, wo Elton John, Queen, Deep Purple und die Rolling Stones aufnahmen. Klaus Doldinger hatte mir geholfen, in die Studio-Szene einzusteigen. Auch meine Freundschaft mit Udo Lindenberg rührt aus dieser Zeit.

Und dann?

Dann bewarb ich mich bei Ralph Siegels Plattenlabel als Songschreiber und erzählte dort, dass ich gerne mein erstes Album aufnehmen würde. Er bot mir an, dass ich sein Studio 30 Tage lang benutzen dürfte, wenn ich dieses eine Lied mitaufnehmen würde: „Dschinghis Khan“.

Was wurde aus dem Versprechen?

Nichts. Aber um mal etwas Positives zu sagen: Über Dschinghis Khan lernte ich viele Leute kennen, die Freunde wurden oder mir halfen. Peter Maffay etwa oder den BMG-Gründer Monti Lüftner, der mich später in die USA brachte.

Sie traten mit nacktem Oberkörper und Steppenbart als wilder Mongole auf. War es schwer, auch noch synchrone Choreografien zu lernen?

Ich habe gelitten wie ein Hund. Musiker tanzen ja nicht, schon deshalb war ich eine Fehlbesetzung. Natürlich bekamen wir Unterricht, aber einen Ballerino hat das nicht aus mir gemacht.

Trotzdem war die Band sehr erfolgreich.

Wir holten 1979 beim Grand Prix mit „Dschinghis Khan“ den vierten Platz, und die Single ist bis heute der meistverkaufte Grand-Prix-Titel ever.

Muss man schon selber etwas getrunken haben, wenn man Zeilen singt wie „Auf Brüder! Sauft Brüder! Rauft Brüder! Immer wieder! / Lasst noch Wodka holen, Ho, Ho, Ho, Ho, Ho / Denn wir sind Mongolen, Ha, Ha, Ha, Ha, Ha“?

Nein. Besser ist es, wie ich Flüchtling zu sein und noch nicht richtig Deutsch zu können.

Sie sind 1975 mit zwei Freunden aus Ungarn über die slowenisch-österreichische Grenze geflohen. Abenteuer oder Horror?

Beides. Wir hatten unsere Dienstpässe als Musiker dabei, so kamen wir nach Jugoslawien. Ich besaß sogar eine staatliche Lizenz als Bandleader. Am Ende mussten wir durch den achteinhalb Kilometer langen Karawanken-Tunnel.

Es war ein Eisenbahn-Tunnel, der bewacht wurde. Ein Freund, der ein Jahr vorher abgehauen war, hatte uns per Brief geraten, Rohfleisch mitzunehmen, um die Wachhunde abzulenken.

Wir haben das Fleisch verteilt, die Hunde haben es gefressen – und trotzdem gebellt.

Der Musiker war am 21. August 1975 aus dem damals sozialistischen Ungarn nach Deutschland geflohen.
Der Musiker war am 21. August 1975 aus dem damals sozialistischen Ungarn nach Deutschland geflohen.

© Daniel Biskup/laif

Hatten Sie Todesangst?

Klar. Es gab zwar keine Selbstschussanlagen, doch die Posten waren bewaffnet. Der Tunnel wurde zur Tortur. Wir trugen osteuropäische Sneakers, deren Sohlen sich im Schotter zwischen den Schienen langsam auflösten. Jeder Schritt war schmerzhaft. Von Ratten und Fledermäusen ganz zu schweigen. Wir wussten auch nicht, dass man in einem so engen Tunnel nur den Zug hört, der vorbeirauscht, aber nicht einen, der sich von hinten nähert. Wir waren zu dritt, doch es gab nur alle 40 Meter einen eingewölbten Unterstand für eine Person, den Gleisarbeiter. Hätten wir einen Zug zu spät bemerkt, wären wohl zwei von uns gestorben.

Sahen Sie das Licht am Ende des Tunnels nicht?

Viel schlimmer. Es gab ein Licht, das befand sich in der Mitte. Dort war die Grenze, zum Glück unbewacht. Danach mussten wir wieder ins Dunkel, noch mal vier Kilometer laufen. Als wir endlich rauskamen aus dem Tunnel, haben wir ein Transformatorenhäuschen umarmt. Was das Schild darauf bedeutete, begriffen wir erst später, als wir Deutsch gelernt hatten: „Vorsicht Lebensgefahr“.

"Was bei VW passiert ist, ist erschütternd"

Mit "Dschinghis Khan" wurde Leslie Mandoki berühmt. "Ich habe gelitten wie ein Hund", sagt er über die Auftritte von damals.
Mit "Dschinghis Khan" wurde Leslie Mandoki berühmt. "Ich habe gelitten wie ein Hund", sagt er über die Auftritte von damals.

© imago/United Archives

Was war das für ein Gefühl, im Westen zu sein?

Eine Mischung aus Glück, Triumph und Erschöpfung. Und dann gab es noch die innere Stimme, die uns antrieb: Weiter, wir dürfen nicht stehenbleiben. Österreich war damals neutral, hatte die UN-Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben. Man kam in ein Lager, dort suchten sich Amerikaner, Kanadier, Australier oder Schweden die bestausgebildeten Akademiker für ein Einwanderer-Visum aus. Musiker hatten da keine Chance. Also sind wir über Passau weiter nach Deutschland und Dänemark, über Stockholm wollten wir in die USA gelangen.

Passau wurde vor zwei Jahren für die Flüchtlinge aus Nahost zum Nadelöhr.

Ja. Ich bin auch ein illegaler Einwanderer. Erwischt wurden wir nachts auf einer Landstraße in Dänemark. Laut der Genfer Flüchtlingskonvention hätten wir nach Österreich abgeschoben werden müssen. Zum Glück trafen wir in Flensburg auf einen ehemaligen DDR-Kampfschwimmer als Grenzbeamten, der selber Flüchtling gewesen war und uns Bleiberecht und Zugang zum Zentrallager für Asylbewerber in Zirndorf besorgte.

Sie haben Ihren Vornamen von László zu Leslie verändert. Schon mal bereut?

Tausend Mal. Aber mein Freund aus Konservatoriumszeiten, mit dem ich bis heute musiziere, hieß auch László, und wir dachten, zwei Lászlós seien zu viel für die Münchner Musikszene. Also haben wir Kopf oder Zahl gespielt – mit unserem ersten D-Mark-Stück. Und ich verlor.

Inzwischen arbeiten Sie, ein Musiker, für Autokonzerne und ...

... dabei mit einem Team aus Ingenieuren und Akustikern zusammen, um den Klang von neuen Audi-Modellen zu entwickeln.

Wie soll sich so ein Wagen denn anhören?

Der Klang soll das Gefühl von Dynamik, aber auch Sicherheit vermitteln. Gerade arbeiten wir an einem Elektroauto. Der Motor macht kaum Geräusche, man würde den Wagen gar nicht mehr hören. Als bei einer Show des Pariser Autosalons, für die ich vor Jahren Musik gemacht habe, der e-tron vorgestellt wurde, Audis Elektromodell, ist während der Generalprobe ein Kameramann fast überrollt worden. Deshalb müssen E-Autos künstlich hörbar gemacht werden, mit einem kontinuierlichen Fahrgeräusch. Denkbar ist auch eines, das erst beginnt, wenn ein Mensch sich nähert. Ein anderes Problem: In neueren Autos gibt es kein Armaturenbrett im klassischen Sinne mehr, sondern einen Bildschirm. Der fährt vier Sekunden lang hoch, und diese Zeit sollte das Auto nutzen, um seinen Besitzer willkommen zu heißen.

Wie denn, bitte?

Mit ein paar Tönen oder einer Klangfläche, die das Gefühl vermittelt: „Ich bin jetzt angekommen in meinem fahrbaren Zuhause.“

Do re mi fa so la ti do?

Es ist ein wenig komplexer. Wir nennen das Soundscapes, also positive Klangästhetik. Da soll akustisch durchaus Beschleunigung zu spüren sein. Der Fahrer will selber fahren, nicht kutschiert werden wie im Fond einer Limousine.

Sie haben schon für VW, BMW und Mercedes gearbeitet. Der derzeit erfolgreichste VW-Werbeclip zeigt lachende Pferde und einen Fahrer, der versucht, seinen Tiguan mit Pferdeanhänger einzuparken. Soll die Abgas-Krise weggelacht werden?

In dieser Krise gibt es überhaupt nichts zu lachen. Was bei VW passiert ist, ist sozial, ökologisch, ökonomisch, politisch und ethisch erschütternd.

Weil gelogen wurde?

Nicht nur Behörden und Kunden wurden getäuscht, auch Hunderttausende von Mitarbeitern. Ich bin im Kommunismus aufgewachsen und dachte, mich mit Falschaussagen auszukennen. Als ich floh, glaubte ich, dass im Westen Regeln und Gesetze immer gelten. In Ungarn wurden mir „Aufsässigkeit und Anstiftung gegen die Staatsgewalt mit künstlerischen Mitteln“ vorgeworfen. Ein Rebell bin ich immer noch.

"Ich werde Angela Merkel wieder unterstützen"

Leslie Mandoki ist ein Unterstützer von Merkels Flüchtlingspolitik.
Leslie Mandoki ist ein Unterstützer von Merkels Flüchtlingspolitik.

© Kay Nietfeld/dpa

Der US-amerikanische Russland-Forscher Martin Malia schreibt: „Das System des Sozialismus ist kein Angriff auf den Kapitalismus, sondern einer auf die Realität. Es ist der Versuch, die wirkliche Welt abzuschaffen und durch eine surreale Welt zu ersetzen: Ineffizienz, Mangel und Gewalt werden als rechtmäßige Souveräne hingestellt.“

Es war eine Kulissenwelt. Im realsozialistischen Ungarn stand alles unter der Überschrift „Antikapitalismus“. Aber jeder wusste, dass solche Parolen haltlos waren.

Gehen wir mal die Begriffe durch: Ineffizienz.

Vom sechsten Lebensjahr an wurde ich als hochbegabtes Musikerkind gefördert, später besuchte ich das Konservatorium in Budapest. Der Nachwuchs ist gezüchtet worden, nicht nur im Sport. Sechs-Tage-Woche, nur zwei Wochen Schulferien im Jahr. Mit 15 Jahren machten wir Praktika in Fabriken, um Kontakt zu Werktätigen zu bekommen. Einmal wurden wir zur Luftmatratzenfabrik Palma geschickt. Ihre rot-blauen Luftmatratzen waren von Nordkorea über Kuba bis in die DDR bekannt, ein sozialistisches Monopol. Ich kam in die Entwicklungsabteilung, wo lauter gut ausgebildete Ingenieure saßen, die nichts entwickelten. Das Produkt für die kommenden 40 Jahre war ja dank Planwirtschaft schon da. Jeder Tisch war so gebaut, dass die Angestellten während der Arbeit in der Schublade ein Buch lesen konnten, ohne aufzufallen. Ungarn war ein kultiviertes Land. Lesen war Arbeit. Nebenbei schafften die Leute an eigenen Sachen. Einer stellte Gummifüße für Plattenspieler her, gesuchte Raritäten. Wir hatten zu Hause einen privat hergestellten Diaprojektor.

Haben Sie auch an Graumarktgeschäften verdient?

Nein. Es wurde nicht verdient, sondern getauscht. Da gab’s viel Menschliches und Kreativität.

Stichwort Mangel.

Den fand man überall, etwa Mangel an Musikinstrumenten. Offiziell waren Schlagzeuge nur von Amati aus der Tschechoslowakei zu bekommen. Doch in Budapest existierten noch zwei Schlagzeugbauer. Man ging in einen Hinterhof und hat eines bestellt. Das war erlaubt, in Ungarn blieben, anders als in der DDR, kleine Handwerksbetriebe häufiger legal. Allerdings war mein Schlagzeug nicht ganz vollständig. Die Fußmaschine bekam ich ein halbes Jahr später von Bekannten, die einen emigrierten Verwandten im Westen hatten.

Dritter Punkt: Haben Sie Gewalt erlebt?

Subtil. Jazzrock galt als westlich und elitär. Michael Gorbatschow hat mir einmal bestätigt, dass Jazzrock im Ostblock als feindliche, oppositionelle Musikrichtung betrachtet wurde. Wer ein Jethro-Tull-Album auf Tonband besaß, konnte sich als König fühlen. 1973 stand ich auf der Bühne, als der Strom abgestellt wurde. Der Einsatzleiter der Geheimpolizei kam zu mir und entschuldigte sich: „László, ich wollte das Konzert ja zu Ende hören, aber meine Chefs sind unerbittlich.“

Wurden Sie auch verhaftet?

17 Mal, wenn ich richtig gezählt habe. Auf der Wache wurde mir der Kopf gewaschen, der Beamte sagte: Meine Kinder gehen zu deinen Konzerten, nur musst du immer so übertreiben!? Wenn ich dich noch mal erwische, gibt es drei Jahre Haft. Dann durfte ich wieder nach Hause gehen.

Disco à la „Dschinghis Khan“ ist in den USA eine Erfindung des schwulen Untergrunds gewesen. Hier wurde das Genre zum Fall von Schlagerproduzenten wie Ralph Siegel und Frank Farian.

Das stimmt nur, wenn man nach oben guckt, zu den Produzenten. Auch in Deutschland gab es viele Verbindungen zwischen Disco, Nachtleben und Homosexualität. Viele Disco-Musiker waren schwul. Louis Potgieter, der beste Tänzer von Dschinghis Khan, der kaum sang, war der Lebensgefährte von Freddie Mercury. Er starb leider 1994 an Aids.

Dschinghis Khan lösten sich 1982 auf, es gab dann noch eine Fernsehshow in Japan und Auftritte in Kasachstan, Ulan Bator und St. Petersburg. Woher kam diese Begeisterung in der ehemaligen UdSSR?

Keine Ahnung. Ich war zum Abschied bloß in Japan dabei, um meine neue Band Soulmates auf den Weg zu bringen. So lange ich Mitglied von Dschinghis Khan war, wollte ich immer möglichst schnell raus aus der Gruppe.

Sie haben zum letzten Bundestagswahlkampf den Song „An jedem neuen Tag“ geschrieben. Und nun?

Ich werde Angela Merkel wieder unterstützen, über ein Lied haben wir noch nicht konkret gesprochen. In der Flüchtlingsfrage hat die Kanzlerin human gehandelt, dafür zolle ich ihr als Flüchtling Respekt. Deutschland ist gerade so lebens- und liebenswert, weil Frauen gleichberechtigt sind, Religionsfreiheit herrscht, weil wir keinen Platz lassen für Homophobie, Rassismus und Antisemitismus. Die Herkulesaufgabe wird sein, die Attraktivität dieses Kanons auch gegen Hassprediger in Moscheen und gegen den braunen Sumpf zu verteidigen, wie ihn etwa Bernd Höcke personifiziert.

2013 waren Sie CSU-Kandidat für den bayrischen Landtag. Was haben Sie von der Politik gelernt?

Vor allem, dass ich dafür nicht gemacht bin. Ich bin Künstler. Für den langsamen Gang von Entscheidungen in Gremien und Parlamenten bin ich zu ungeduldig. Dabei habe ich, ohne Wahlkampf zu führen, ein Direktmandat nur um 800 Stimmen verpasst. Ein Glück, dass die gefehlt haben.

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