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In Gauhati (Indien) praktizieren Sadhus ("heilige Männer") Yoga fast nackt. In Berlin tragen Männer lieber Shorts und T-Shirt.

© Anupam Nath/AP/dpa

Patricia Thielemann macht sich locker: Manspreading in der Froschposition

Sie tragen ausgeleierte Shorts und merken dabei nicht, wenn ein Ei aus der Hose quillt: Warum ich manche Yoga-Novizen vor sich selbst schützen muss.

Den Yoga-Anfänger erkenne ich daran, dass er sich während des Unterrichts nicht von seinen Socken trennen will.

Bitte ich ihn, den gemütlichen Kuschelflausch abzustreifen, schaut er mich ziemlich argwöhnisch an, etwa so, als würde ich ihn überreden wollen, mir sein letztes Hemd zu überreichen.

Meist lasse ich den noch unwissenden Neueinsteiger gewähren, denn spätestens im herabschauenden Hund wird er schon merken, dass er in seinen Söckchen wegrutscht, als würde er in nagelneuen Halbschuhen mit Ledersohle quer über eine Eisbahn laufen.

Manchmal komme ich allerdings wirklich nicht umhin, meine Novizen vor sich selbst zu schützen. Wenn sie zum Beispiel in einem Kapuzenpulli Yoga praktizieren und ihnen die Kapuze in jeder Vorbeuge im Gesicht baumelt, oder wenn der knubbelige Verschluss ihrer Haarspange in der Schlussentspannung fies in den Hinterkopf sticht. Vielleicht denken die, der bohrende Schmerz, den sie da zähneknirschend erdulden, ist fester Bestandteil der yogischen Läuterung? In der Sehnsucht nach Erlösung sind die Leute ja gern bereit, sich auf Extremsituationen einzulassen.

Ich versuche, zu helfen – und werde dabei missverstanden

Hin und wieder kommt es auch vor, dass einer der männlichen Neueinsteiger seine alten, ausgeleierten Shorts aus Unizeiten zur ersten Yogastunde trägt.

Was jetzt folgt, ist Manspreading extrem: Hochkonzentriert und selbstvergessen führt er meine Übungsanweisungen aus und merkt dabei gar nicht, wenn ihm in der Froschposition oder im glücklichen Kind ein Ei aus der Hose quillt. In dem Fall kann ich nicht einfach wegschauen.

Diskret versuche ich, die Situation wieder in den Griff zu bekommen – und werde dabei häufig leider missverstanden. Wenn ich mich also mit etwas besorgter Miene meinem verschwitzt-haarigen Gegenüber nähere, korrigiert er sich schnell selbst und reißt die Beine in vorauseilendem Gehorsam noch einen halben Meter weiter auseinander. Das hat unglücklicherweise zur Folge, dass der Rest seiner männlichen Ausstattung mir auch noch entgegenfällt.

Meinen angehenden Yoga-Lehrern rate ich, bei der Wahl ihrer Berufskleidung auf klischeehafte Indien-Nostalgie wie Tunikas mit Glitzer-Om-Zeichen oder viele bunte Mala-Ketten zu verzichten. In Yogakreisen erzeugen solche vordergründig spirituellen Verpackungen heutzutage eher Mitleid, denn die meisten Übenden durchschauen dieses lächerliche Ringen um Authentizität und Anerkennung sowieso.

Yoga ist ein Häutungsprozess

Wir leben in Europa. Tragt das, worin ihr euch wohlfühlt und was zu euch passt. Basta!

Andererseits: Letzte Woche hatte jemand ein Krümelmonster-Shirt an, und ein anderer übte mit „Fuck Trump!“ auf der Brust. Am besten, man verzichtet generell auf zu viel unnötigen Firlefanz. Yoga will verkörpert werden, deshalb ist schlichte, funktionale Kleidung immer noch am besten.

Yoga ist ein Häutungsprozess. Wenn es gut läuft, findet mit der Zeit ein Wandel statt. Dann definiert sich der Yoga-Übende immer weniger über Äußerlichkeiten und ruht vermehrt in sich selbst. Man muss nur aufpassen, dass dieser gewünschte Veränderungsprozess nicht zur Ideologie wird. Deshalb schreibe ich diese Kolumne im Flieger nach New York, wo ich mich drei Tage lang dem lauten Yoga-Konsum-Gewusel hingeben werde – inklusive Shopping.

Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de und vertritt Katja Demirci.

Patricia Thielemann

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