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Die nationale "King Fahad" Bibliothek in Riad - ähnlich ikonisch werden auch die Metro-Stationen aussehen.

© Büro Gerber

Saudi-Arabien bekommt eine Metro: Verkehrsrevolution in Riad

Sechs Millionen Bürger, kein Bus, keine Bahn. Nun bauen die Saudis im Eiltempo ein Metro-Netz – das wird Riads Gesellschaft umstülpen.

Mohammed Almogarry ist ein Mann der Zukunft, doch manchmal sehnt er sich nach der Vergangenheit. „Ich wurde in einem winzigen Ort 300 Kilometer entfernt von Riad geboren“, sagt er. „Damals in den 50er und 60er Jahren hat die ganze Familie auf der Farm mitgearbeitet, und die Nachbarn haben sich geholfen. Das war das Schöne dieser Zeit.“ Damals war auch Riad noch eine Kleinstadt.

Es ist ein Mittwochabend, das Thermometer draußen zeigt weit über 30 Grad. Almogarry sitzt, in ein traditionelles weißes Gewand gehüllt, im kühlen Madschlis seiner Villa, dem Empfangszimmer für männliche Gäste. Auf den Sofas und Sesseln, die den Raum einrahmen, haben zwei seiner erwachsenen Söhne und der Schwiegervater Platz genommen. Der Jüngste, vielleicht acht Jahre alt, reicht arabischen Kaffee und Datteln, während der Verkehrswissenschaftler Almogarry von einer Revolution zu erzählen beginnt. Fast sechs Millionen Einwohner machen Riad heute zur drittgrößten Metropole der arabischen Welt nach Kairo und Bagdad. Dennoch gibt es hier keinen öffentlichen Nahverkehr. Keine Busse. Keine Bahnen. Bis jetzt.

Das größte Bauprojekt des Landes

In kürzester Zeit sollen sechs Stadtbahnlinien mit mehr als 80 Stationen und einer Streckenlänge von 180 Kilometern gebaut werden. Die Arbeiten haben gerade angefangen, Ende 2018 soll alles fertig sein. Bekannte Architekten wie Zaha Hadid, Snöhetta und das deutsche Büro Gerber errichten Bahnhöfe. Die „Riad Metro“ ist das historisch größte Bauprojekt des Landes – und eines, das gesellschaftliche Nachwirkungen haben könnte.

Almogarrys Geschichte spiegelt die Saudi-Arabiens wider. Noch vor zwei oder drei Generationen war das Leben der Saudis eng verbunden mit der kargen Natur, die sie umgab. Damals waren die Leute mehrheitlich Beduinen. Heute sind sie Großstädter. 1902 maß Riad nur einen Quadratkilometer und hatte ein paar tausend Einwohner. Mit der Entdeckung des Öls in Saudi-Arabien Ende der 30er Jahre begann eine Entwicklung, die immer mehr Fahrt aufgenommen hat.

Kaum eine Stadt auf der Welt ist in den vergangenen hundert Jahren so stark gewachsen wie Riad. Das zweistöckige Haus des Verkehrswissenschaftlers ist ein Neubau, Teil einer Siedlung, die vor ein paar Jahren hochgezogen wurde. Es liegt im Norden von Riad – dort, wo sich die Metropole in die Wüste hinein ausdehnt.

Mehr als 12 Millionen Fahrzeuge

Noch steht die Villa am Stadtrand, bald wird sie umgeben von Leben sein. „Ich kam 1971 zum Studium hierher“, erinnert sich Almogarry. „Wo wir uns jetzt befinden, war damals Leere. In der Stadt gab es keine hohen Gebäude, viel weniger Autos, und eine Klimaanlage im Haus hatten wir auch nicht. Heute würde das ja keiner mehr aushalten.“

1951 wurde in Saudi-Arabien die erste geteerte Straße gebaut. Nun überzieht Riad, das mit einer Reihe von Wolkenkratzern und seiner ausgedehnten, flachen Struktur an Los Angeles erinnert, ein Netz von Autobahnen. Mehr als zwölf Millionen Fahrzeuge soll die saudi-arabische Hauptstadt insgesamt haben. Eine Katastrophe, findet Verkehrswissenschaftler Almogarry, der an der King Saud Universität forscht: „Das ist nicht nachhaltig, allein die Abgase!“

Was bedeutet die Metro für die Frauen?

Die nationale "King Fahad" Bibliothek in Riad - ähnlich ikonisch werden auch die Metro-Stationen aussehen.
Die nationale "King Fahad" Bibliothek in Riad - ähnlich ikonisch werden auch die Metro-Stationen aussehen.

© Büro Gerber

Umso enthusiastischer stimmt ihn die Revolution, die sich in Riad ankündigt. „Ich werde der Erste sein, der das Auto stehen lässt“, sagt er. Wann immer er im Ausland war, hat er öffentliche Verkehrsmittel benutzt und analysiert. In einem Buch vergleicht er die „Riad Metro“ mit Stadtbahnen anderer Metropolen. Das Projekt ist für ihn ein Schritt hin zu mehr Modernität in seiner Heimat.

„Die Metro wird alle Bereiche des Lebens verändern“, sagt er und berührt den Unterarm des greisen Schwiegervaters neben sich. „Um sich fortzubewegen, ist er bisher immer auf einen Fahrer angewiesen.“

Das betrifft viele in Saudi-Arabien. Ausländische Arbeiter, die ein Drittel der Bevölkerung stellen und sich oft kein Privatauto leisten können, Kinder und Jugendliche – und Frauen, denen es verboten ist, am Steuer zu sitzen. Sie alle könnten durch die Metro mobiler, unabhängiger werden.

Clubs sind erlaubt, Alkohol ist streng verboten

In Riads Stadtbild zeigen sich die Traditionen und die Politik Saudi-Arabiens. Das Land ist eine absolute Monarchie. Die Macht der Herrscherfamilie Al Saud beruht vor allem auf den Öleinnahmen, die jedem Saudi etwa kostenlose medizinische Versorgung garantieren. Aber auch auf dem mehr als 250 Jahre alten Bündnis mit den Wahhabiten, Vertreter einer strengen Auslegung des Islam.

Diriyya, eine Siedlung aus Lehmgebäuden vor den Toren Riads, gilt als Heimat der Al Sauds, die ganze Region um die Hauptstadt als konservatives Herz des Landes.

Zwar hat Riad viele Restaurants. Aber Clubs, Theater oder Kinos darf es nicht geben, Alkohol ist verboten. Ruft der Muezzin zum Gebet, müssen alle Geschäfte schließen. Wenn man dann vor einem Café sitzt, kann es passieren, dass ein weißer Wagen der Religionspolizei anhält und einen per Lautsprecher auffordert, beten zu gehen. Die Wächter achten auch darauf, dass Frauen verschleiert sind.

Frauen und Familien hier, Männer dort

Allein schon aufgrund der Hitze im Sommer bewegt sich kaum jemand zu Fuß. Öffentliche Plätze sind rar. Zu den bekanntesten gehört der Deera Platz im alten Stadtkern, neben der großen Moschee. Im Volksmund wird er Chop Chop Square genannt – wegen der öffentlichen Enthauptungen dort. Ein Großteil des Lebens spielt sich in der freien Sphäre der Wohnhäuser ab, die hohe Mauern umgeben. Und in den Einkaufszentren.

Zum Beispiel der „Riyadh Gallery“, einer Mall mit drei Ebenen. Ketten aus aller Welt sind hier vertreten: Footlocker, Gap, H&M, Banana Republic... Frauen, die bis auf einen Augenschlitz komplett in schwarz verhüllt sind, betrachten Schaufensterpuppen, die ärmellose Oberteile tragen.

In der obersten Etage reiht sich ein Schnellimbiss an den nächsten. Chinesisch oder Indisch, Frozen Yoghurt oder Burger. Kassen und Sitzbereiche sind wie im ganzen Land unterteilt, hier Frauen und Familien, dort Männer. Hinter den Tresen sieht man ausschließlich Ausländer, etwa Pakistaner und Philippinos. Auch das ist überall so. Asiatische, arabische und afrikanische Gastarbeiter verrichten vermeintlich niedere Tätigkeiten.

Jan Raschke gehört zu der anderen, kleineren Gruppe von Ausländern: den Hochqualifizierten, die Wissen mitbringen. Der 41-Jährige arbeitet für das Büro Gerber Architekten, das in Dortmund und Berlin ansässig ist. Jeden Monat verbringt er etwa zwei Wochen in Saudi-Arabien, um die zahlreichen Projekte zu betreuen, die Gerber dort hat. Nicht zuletzt einen der vier Metro-Bahnhöfe, die architektonische „Ikonen“ werden sollen.

Eine Sanddüne mit Palmendach

Raschke wohnt wie die meisten Westler in einem Compound, einer bewachten Siedlung. Durch sein Küchenfenster schaut man auf einen mit Palmen bestandenen Pool. „Frauen können sich hier unverschleiert bewegen“, sagt der Architekt, „in manchem Compound wird angeblich Bier gebraut.“

Wenn er in Riad ist, eilt Raschke von Termin zu Termin – und steht oft im Stau. „Alles ist verstopft, und die Leute fahren riskant. Dass es eine Metro braucht, ist offensichtlich.“ Auch anderswo soll es künftig Stadtbahnen geben, etwa in Mekka, wohin jährlich mehr als 2,5 Millionen Muslime pilgern.

Drei internationale Konsortien, zu denen  Firmen aus den USA, Frankreich und Südkorea gehören, kümmern sich um den Bau der Linien in Riad. Das Büro Albert Speer & Partner, seit Langem in Saudi-Arabien aktiv, hat Konzepte entwickelt, wie man die Umgebung von Bahnhöfen lebenswerter gestalten kann. Kurzfristig haben Metro-Bauarbeiten die Verkehrsprobleme verschärft.

Überall sind nun Straßen gesperrt: Dort, wo Stationen gebaut, Tunnelbohrmaschinen eingesetzt oder Betonstelzen für die oberirdischen Strecken errichtet werden.

Gerbers spektakulärer Bahnhof erinnert an eine Sanddüne, auf dem Dach wird ein Park aus Palmen wachsen. Noch gibt es außer dem Bauzaun und einem Loch im Boden jedoch wenig zu sehen.

Raschke kennt Saudi-Arabien nun ein paar Jahre und erzählt nüchtern von seinen Erfahrungen: vom Anspruchsdenken vieler Saudis, von den zusätzlichen Wellblechen auf den Grundstücksmauern, mit denen sich die Leute noch mehr Privatsphäre verschaffen, von Reformern und Hardlinern. Gerbers Engagement im autokratischen Königreich sieht er als Beitrag zur Modernisierung. „Wir bauen hier keine Gefängnisse.“ Sondern Bibliotheken und Wissenschaftszentren.

Ein kostenloser Taxi-Shuttle ist geplant

Die nationale "King Fahad" Bibliothek in Riad - ähnlich ikonisch werden auch die Metro-Stationen aussehen.
Die nationale "King Fahad" Bibliothek in Riad - ähnlich ikonisch werden auch die Metro-Stationen aussehen.

© Büro Gerber

Viel Lob hat Raschke – und nicht nur er – für eine Behörde: das Stadtplanungsamt ADA. „Ein sehr motiviertes Team, jung, gut ausgebildet, international erfahren.“ Die ADA ist auch für die Metro verantwortlich. Vorangetrieben wurde das Projekt vom ehemaligen König Abdullah, der im Januar gestorben ist. Er galt als Reformer. Unter ihm wurde in Bildung investiert, besonders in die der Frauen. Hunderttausende Saudis gingen zum Studium ins Ausland.

Um weitere Reformen wird die Herrscherfamilie nicht herumkommen, wenn sie ihre Macht behalten will. Die Probleme, die sich abzeichnen, sind gewaltig. Die Bevölkerung wächst stark, heute gibt es 30 Millionen Einwohner, 2050 könnten es 45 Millionen sein. Schon jetzt ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Wenn das Öl in Zukunft weniger Geld einspielen sollte, das auf immer mehr Menschen verteilt werden muss, wäre auch Riad in seiner jetzigen Form dysfunktional.

Die Saudis wollen Dubai übertreffen

Neben dem Öl soll es neue Industrien und Dienstleistungen geben. Nach dem Willen der Reformer muss das Potenzial der Frauen stärker ausgeschöpft werden. Ein Teil von ihnen geht schon einem Beruf nach, viele sind Lehrerinnen oder arbeiten in Krankenhäusern. Die kleinen, liberaleren Golfstaaten haben vorgemacht, wie eine solche Modernisierung aussehen kann. In Dubai gibt es auch schon eine Metro. Mit bloß 2,1 Millionen Einwohnern hat die Stadt jedoch kleinere Herausforderungen zu meistern. „Den Saudis geht es auch darum, Dubai zu übertreffen“, sagt ein Ex-Mitarbeiter eines Metro-Konsortiums.

Mit der Stadtbahn wird zugleich ein flächendeckendes Busnetz eingeführt. Außerdem ist ein Taxi-Service geplant: Ist die nächste Bus- oder Metrohaltestelle mehr als 500 Meter entfernt, kann man sich kostenlos abholen lassen. In den Zügen wird es nicht nur die Trennung in einen Familien- und einen Männerbereich, sondern auch eine sehr komfortable erste Klasse geben

Helle Stationen für besorgte Väter

All das soll Bedenken gegen die Bahn, die der saudischen Lebensart von Luxus und Privatheit zuwiderläuft, abbauen. Um möglichst viele Bahnhöfe herum entstehen Einkaufsmöglichkeiten. Innen sind die Stationen hell gehalten – ohne Ecken, in denen Gefährliches oder Unanständiges passieren könnte. Das soll besorgte Väter beruhigen.

Und was wird sich ändern, wenn das passiert? An einem anderen Abend in Riad sitzen zwei Frauen um einen Couchtisch herum, auf dem teure Schokolade ausgebreitet ist. Die Abaya, die schwarze Ganzkörperverhüllung, haben sie abgelegt. Abwechselnd ziehen sie an einer Wasserpfeife. Beide sind in ihren Zwanzigern und arbeiten in einem Krankenhaus. Unter ihren Kollegen gibt es viele Westler – mit einem von ihnen treffen sie sich gerade. Um hierher zu kommen, haben sie ihre Familien belogen, Eine Zusammenkunft mit fremden Männern ist eigentlich undenkbar.

Die neue Generation wehrt sich

Eine der Frauen hat in den USA ein College besucht. Auch die andere spricht sehr gut Englisch. Sie hat es sich selbst beigebracht, gerade lernt sie mit einer App Deutsch. Ihr Humor ist schwarz, ihr Lachen laut. Sie erzählt von der besonderen erotischen Bedeutung, die Frauenaugen in Saudi-Arabien hätten. „Vor Kurzem habe ich übrigens erfolgreich meine Scheidung ausgefochten“, sagt sie dann; ihre Generation akzeptiere nicht mehr alles einfach so. Nun ist sie allein mit den zwei kleinen Kindern. „Weil mich mein Vater in die Ehe gedrängt hat, hat er ein schlechtes Gewissen. Als Wiedergutmachung schenkte er mir ein Kindermädchen und einen Fahrer.“ Die Metro findet sie überfällig und denkt dabei an das Chaos auf den Straßen. Was die Bahn gesellschaftlich bewirken kann? Sie weiß es nicht.

Dann der Aufbruch. Der Journalist aus Deutschland müsse ein bisschen früher gehen als sie, sagt die geschiedene Frau. Auf keinen Fall dürfe man das Haus gemeinsam verlassen. Niemand soll sie mit dem fremden Mann sehen.

Auch nicht ihr Fahrer.

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