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Jördis Triebel, Schauspielerin

© Sven Darmer

Schauspielerin Jördis Triebel: „Sich verabschieden müssen, damit bin ich groß geworden“

Jördis Triebel wuchs in der DDR auf – in einer Zeit der Abschiede. Noch heute vermisst sie die Papierrollen an den Wohnungstüren.

Von

Frau Triebel, rauchen Sie?
Wie kommen Sie denn darauf?

Wir haben Sie in „Westen“ gesehen, für den Sie vergangenes Jahr die Goldene Lola als beste Schauspielerin bekommen haben. Da rauchen Sie eine nach der anderen, bis einem allein vom Zuschauen schon schwindlig wird.
Der Film spielt 1975, da war das so. Stimmt, Rauchen vor der Kamera ist immer schwer, da können Sie kaum so tun als ob. Mir wurde selbst richtig schlecht.

Sie geben offenbar immer alles. Obwohl Sie eine Tierhaarallergie haben, spielten Sie in „Emmas Glück“ an der Seite von Jürgen Vogel eine Schweinezüchterin.
Ich habe sogar vorher ein dreiwöchiges Praktikum in einem Schweinemastbetrieb gemacht. Ich hatte damals gelesen, dass es helfen würde, wenn man zum Beispiel Kinder, die zu Allergien neigen, einfach mal einen Sommer lang auf einen Bauernhof schickt. Also dachte ich, ich immunisiere mich selbst, indem ich mich da voll reinschmeiße.

Hat es geklappt?
Meine Allergie ist seitdem nicht mehr so stark.

Hatten Sie als Kind ein Haustier?
Eines? Ich und meine Schwester, wir hatten Kaninchen, Meerschweinchen, Mäuse, Papageien, eine Schildkröte, wir hatten alles.

Sie sind in der DDR groß geworden. Kaninchenzüchten war dort ein populäres Hobby, um die Tiere irgendwann zu schlachten.
Unsere Kaninchen waren zum Kuscheln da. Schlachten, das geht ja gar nicht. Obwohl, das Meerschweinchen ... das war allerdings eher ein Unfall. Und ich war noch ganz klein, höchstens drei. Ich wollte mit ihm Fangen spielen, mit einem Würfel, den das Meerschweinchen zurückwirft. Das hat nicht so gut geklappt.

In Ihrem neuen Film „Das Familienfest“ ist die Familie der Ort des größten Horrors.
Mir persönlich bedeutet Familie sehr viel, vor allem, seit ich eine eigene habe. Danach habe ich mich immer gesehnt, weil ich dann das Gefühl habe, im wirklichen Leben angekommen zu sein.

Im Film wird der 70. Geburtstag des Patriarchen gefeiert, eines echten Tyrannen, und die Sache läuft aus dem Ruder. Haben Sie solch einen Albtraum schon einmal erlebt?
Nicht einmal ansatzweise, Sie vielleicht?

Streit kommt in den besten Familien vor.
Also, meine Eltern sind getrennt, insofern muss ich immer alles doppelt feiern, was aber auch nicht so schlecht ist. Mein Vater hat eine große Familie, meine Mutter auch, da hat dann jeder seine eigenen Feste.

Ihre Filmfigur ist Krankenschwester und lässt sich von einem ihr bis dahin Unbekannten auf ein Familienfest mitnehmen. Der entpuppt sich als todkrank, das Fest ist grauenhaft, sie bleibt trotzdem. Ist das nicht seltsam?
Ich fand das faszinierend, dass sich Menschen in einen Sterbenskranken verlieben. Und vergessen Sie nicht, meine Figur ist Krankenschwester. Außerdem ist der Max, den Lars Eidinger spielt, ja auch ganz schön schnuckelig. Von einem interessanten Mann eingeladen zu werden, ich wünschte, das würde mir öfter passieren. Ich wäre da auch mitgegangen.

Sie kokettieren! Stimmt es, dass Sie schon als Kind Ihren ersten Schauspielpreis bekommen haben?
Naja, nicht ganz. Als ich klein war, fungierte mein Vater in der DDR als Ferienlagerleiter seines Betriebes, und ich durfte immer mit. Ich war allerdings jünger als die anderen Kinder und bei den Wettbewerben nicht wirklich konkurrenzfähig. Weil ich ständig tanzte, arrangierte mein Vater das so, dass ich einen Trostpreis als Tanzmaus bekam.

Zu welcher Musik tanzen Sie?
Damals war es Disco, heute eher Soul und Funk. Dazu tanze ich auch zu Hause durch die Wohnung. Und ich habe eine große Wohnung. Was stimmt: Ich wollte schon immer Schauspielerin werden, seit meiner Kindheit.

Sie haben im Schultheater brilliert.
Leider nicht. Ich war zwar recht aufmüpfig, sehr laut, sehr frech, aber auf der Bühne war ich furchtbar schüchtern. Damit habe ich heute manchmal noch Probleme. Obwohl mich meine Mutter immer wahnsinnig unterstützt hat.

Wie Jördis Triebel den Mauerfall erlebte

Jördis Triebel, Schauspielerin
Jördis Triebel, Schauspielerin

© Sven Darmer

Ihre Mutter kommt vom Theater. Hat sie Sie zum Casting geschickt?
Wir haben unsere Sommer praktisch immer auf Hiddensee verbracht, die Insel war in der DDR auch ein Künstlertreff. Einmal wurde dort ein Film gedreht, „Der Flug des Falken“, ich habe die Dreharbeiten gesehen und wollte unbedingt mitmachen. Meine Mutter hat alles in Gang gesetzt, bis ich als Statist in irgendeiner Ecke saß und wahnsinnig glücklich war.

Was genau hat Sie so gereizt?
Ich hatte ja tolle Vorbilder, diese ganzen DDR-Märchenfilme, die Schauspieler, das war alles mit viel Liebe zum Detail gemacht. Ich wollte ein Teil davon sein, mich verkleiden. In eine fremde Welt zu schlüpfen, das hat mich fasziniert.

Sie sind in der DDR in einer Zeit politischer Umwälzungen groß geworden. Auch Politik kann in Familien zum Streitthema werden.
Nie, zum Glück. Wenn es bei uns in der Familie Konflikte gab, dann, weil meine Eltern sehr jung geheiratet haben und Eltern geworden sind. Das ist nicht immer leicht. Wenn ich vorhin sagte, dass wir unsere Feste nicht mehr zusammen feiern, dann ist das eine Vorsichtsmaßnahme, weil auch bei uns nicht immer alles harmonisch war.

Sie waren elf, als die Mauer fiel. Was haben Sie am 9. November 1989 gemacht?
Wir saßen vor dem Fernseher. Das war hochemotional. Ich wusste, jetzt würde sich alles verändern.

Mit elf haben Sie das erkannt?
Ich habe ja schon in der Zeit davor einiges mitgekriegt. Meine Eltern haben mich auf Demonstrationen mitgenommen, es gab Diskussionen in der Schule, Lehrer drohten mit Verweis.

Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen?
Natürlich spielte das Thema eine Rolle, gerade in der Künstlerszene, die ja bei uns zu Hause präsent war. Als Kind war ich mit Christian Schwochow befreundet, dem Regisseur von „Westen“. Wir hatten zusammen Pantomimenunterricht. Und irgendwann sagte er mir, „wir gehen in den Westen.“ Ich habe gedacht, ich würde den nie mehr wiedersehen. Sich verabschieden müssen, damit bin ich groß geworden.

Haben Sie denn mal gesagt, der Christian geht rüber, können wir nicht auch dorthin?
Das war für mich keine Option. Ich liebte mein Zuhause, wollte da auf gar keinen Fall weg. Diese Zeit des großen Umbruchs hat ja nicht immer und überall die große Euphorie ausgelöst. Da waren auch Ängste mit verbunden, wie das jetzt weitergeht. Gerade in der Intellektuellenszene gab es Hoffnungen, wir könnten einen eigenen Weg gehen und gucken, wie wir das neu aufbauen.

Haben Sie sich als Elfjährige nicht auch auf die neue Warenwelt gefreut?
Ich wollte unbedingt so einen komischen Amaro-Rucksack. Der hatte vorn ein Fach mit Reißverschluss, da war die Federtasche drin. Weil wir nie Westgeld hatten, einige in meiner Klasse aber schon so einen Rucksack besaßen, habe ich ihn mir selber genäht.

Haben Sie den noch?
Leider nicht. Ich habe mir dann ja den echten Amaro gekauft. Der Westen war für mich der Intershop: Man kam rein, und das war wie Disneyland. Bunt, glitzernd, es riecht nach Erdbeerkaugummi. Als die Mauer fiel, sind wir als Erstes rüber nach Kreuzberg. Da war kein Glitzer und kein Erdbeerkaugummi.

Es war ein Schock.
Aber wie. Ich hatte vorher noch nie einen Bettler gesehen. Ich fand Kreuzberg wahnsinnig dreckig und dachte, das soll jetzt der Westen sein? Hinzu kam noch diese überall spürbare Verunsicherung. In der Schule wussten die Lehrer schon bald nicht mehr, was sie unterrichten sollten. Meine Mutter verlor ihre Arbeit am Theater der Freundschaft.

Neben der Verunsicherung waren die frühen 90er Jahre gerade für junge Leute eine Zeit der großen Freiheiten.
Das passiert mir oft, dass Leute aus dem Westen davon ausgehen, wir müssten uns wahnsinnig gefreut haben. Ich war elf und das Land, aus dem ich kam, habe ich geliebt. Plötzlich war es nicht mehr da. Das können viele aus dem Westen gar nicht nachvollziehen.

Wir sind aus dem Ruhrgebiet und aus West-Berlin. Das Land unserer Kindheit, mit seinen Zechen, der Arbeiterkultur und der West-Berliner Laubenpiepergemütlichkeit, das ist auch verschwunden.
Selbst wenn die Straßen da sind, und die Orte, es ist nicht mehr das Land, aus dem ich komme. Und natürlich hat das was mit mir gemacht, dass der Westen den Osten total für sich eingenommen hat. Dass vieles weniger wert war, was aus dem Osten kam.

Mussten Sie als Schauspielerin je die Erfahrung machen, dass keiner kommt, um Sie zu sehen?

Jördis Triebel, Schauspielerin
Jördis Triebel, Schauspielerin

© Sven Darmer

Haben Sie irgendeinen persönlichen Gegenstand oder ein Möbel aus Ihrer Kindheit bewahrt?
Leider nicht. Meinen Pionierausweis habe ich noch, und mein Zeugnis, das ist sehr lustig.

Wieso?
Weil es noch Noten für Mitarbeit, Betragen und Fleiß gab. Reden wir nicht darüber. Dieser Frontalunterricht, dieses Auswendiglernen, das war nicht die Schule für mich, da haben es die Kinder heute besser. Was es da alles für besondere Schulen gibt, mit spielerischem Lernen.

Sie schicken Ihre Kinder auf besondere Schulen?
Was heißt besonders. Montessori eben, das ist hier im Friedrichshainer Kiez nichts Besonderes.

Gibt es irgendetwas von früher, bei dem Sie denken, das vermisse ich?
Zum Beispiel diese kleinen Papierrollen, die an den Türen hingen. Meist hatte man ja kein Telefon, also musste man sich besuchen, und wenn der andere nicht da war, hat man eine Nachricht hinterlassen.

Dafür gibt es heute Handys.
Ja, aber es ist auch unverbindlicher. Früher konnte man nicht anrufen und sagen, ich komme 15 Minuten später, oder gar nicht. Da musste man zu seinem Wort stehen, weil man wusste, der andere steht sonst ewig an der Litfaßsäule.

Sie können sich noch genau erinnern, was Sie am 9. November 1989 gemacht haben. Wissen Sie auch, wo Sie am 3. Oktober 1990 waren?
Nein, keine Ahnung.

Uns fiel es früher gar nicht so leicht zu sagen, ich bin Deutscher. Man sagte lieber, ich bin Berliner oder aus dem Ruhrgebiet. Wie ist das bei Ihnen?
Ich sage auch immer, ich bin Berlinerin, das kommt überall gut an. Vor allem, wenn ich sage, ich bin Ost-Berlinerin.

Sie sprechen Berliner Dialekt, dabei kann man überall lesen, Sie berlinern gar nicht mehr.
Dadurch, dass ich mehrere Jahre in Bremen Theater gespielt habe, in Köln und Zürich, musste ich hochdeutsch sprechen. Da war mir das Berlinerische ein wenig abhanden gekommen. Aber ich will ja nicht, dass das ausstirbt.

Sie waren in Bremen am Stadttheater, so ein Ensemble ist ja auch ein bisschen wie eine Familie. In der „Zeit“ haben Sie mal gesagt, die Angst um Sie herum während der Wende, die hätte Sie geprägt. Noch heute vermissten Sie die Leichtigkeit, mit der andere durchs Leben gingen. Warum haben Sie die Sicherheit eines Ensembles aufgegeben?
Als ich mich entschloss, da nach drei Jahren aufzuhören, haben mich alle für verrückt erklärt oder für größenwahnsinnig. Es ist ja ein Trugschluss, zu glauben, so ein Ensemble ist wie eine Familie oder ein Zuhause. Ich will aber nicht so ins Detail gehen, weil ich in Bremen eine tolle Zeit hatte.

Mussten Sie als Schauspielerin je die Erfahrung machen, dass keiner kommt, um Sie zu sehen?
Nein, dass mal wenige kommen, gut, aber das ist nicht das Schlimmste. Viel schlimmer ist doch, wenn Sie merken, dass eine Inszenierung nicht funktioniert und man sich auf der Bühne schämt. Es ist hart zu wissen, du musst da jetzt raus und hast keine Ahnung, wie das irgendwie zu retten wäre.

Sie sind 2007 nach sechs Jahren Abwesenheit nach Berlin zurückgekehrt. Wie war das?
Am Anfang ziemlich schwer, weil ich gemerkt habe, dass viele Leute, die ich von früher kannte, inzwischen über ganz Deutschland verteilt waren. Ich habe mir vorgestellt, wie das für jemanden sein muss, der vollkommen von draußen kommt. Einerseits ist das toll, dass in Berlin nicht jeder gleich guckt, was macht denn der? Dafür kann man sehr schnell sehr einsam sein.

Sie sagten, das Land, aus dem Sie kommen, gibt es nicht mehr. Wo ist heute Ihre Heimat?
Dort, wo ich mit meinen Freunden zusammen bin, meiner Familie. Der Treptower Park, das ist einer der Orte, der noch so ist, wie er mal war, auch wenn er gerade umgebaut wird. Das ist immer noch ein wunderschöner, großer Park. Heimat ist für mich auch Brandenburg. Alles, was so ein bisschen sein Gesicht bewahrt. Berlin, auch wenn ich die Stadt sehr liebe, ist mir manchmal zu laut, zu schnell, stiehlt mir dann zu viel Energie. Dann fahre ich raus nach Brandenburg.

Heute fliehen sehr viele Menschen, die ihre Heimat verloren haben, zu uns.
Das ist eine Katastrophe, und im Grunde muss sich doch jeder damit identifizieren können, wenn er sich fragt, was, wenn mir das passieren würde, wer würde mir helfen? Ich bin hoffnungsvoll, wenn ich sehe, wie viele Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Ich hoffe, das hält an.

Wobei es den Anschein hat, dass der Widerstand dagegen, Schutzsuchende aufzunehmen, in Ostdeutschland eher größer ist.
Ich kann nur vermuten, dass dort viele nach der Wende es so empfunden haben, nicht willkommen zu sein. Und das schlägt nun in Aggressionen gegen Schwächere um. Ich heiße das nicht gut, will auch nicht dulden, dass sich jemand so verhält. Aber ich versuche nachzuvollziehen, wie hat das angefangen? Vielleicht hat es auch mit fehlender Kommunikation vonseiten der Politik zu tun.

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