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Erstes Treffen: Roland Korn (links) und Franco Stella zwischen Stellas Humboldtforum und Korns Staatsratsgebäude.

© Mike Wolff

Schlossplatz in Mitte: Gipfeltreffen der Baumeister

Franco Stella rekonstruiert das Stadtschloss. Roland Korn, einst Ost-Berlins Chefarchitekt, hat am selben Platz das Staatsratsgebäude gebaut. Beide Männer verbindet etwas: das Portal IV.

Die ganze neuere deutsche Geschichte lässt sich erzählen, nur anhand dieser zwei Gebäude. Vom Aufstieg und Fall Preußens kann man sprechen, von der Novemberrevolution, von Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau, Kommunismus und Kapitalismus, Irrtümern und Rückbesinnung.

Sie sind Nachbarn, beide stehen am Schlossplatz in Berlin-Mitte. Im Staatsratsgebäude, ein Klassiker der DDR-Moderne und einst Sitz des kollektiven Staatsoberhaupts im sozialistischen Deutschland, residiert nun ausgerechnet die „European School of Management and Technology“. Nebenan, eingerahmt von Kränen, wächst das Humboldtforum in die Höhe. Zu großen Teilen wird es eine Rekonstruktion des alten Stadtschlosses mit seinen Barockfassaden sein, das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und dann auf Geheiß der DDR-Führung gesprengt wurde.

Diese auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen Bauten verbindet etwas; es wirkt fast wie ein Wink der Geschichte. Wenn das Humboldtforum eröffnet, 2019 soll es soweit sein, wird es eines der sechs ursprünglichen Schlossportale – Portal IV – gleich zweimal geben. Am selben Platz, ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Einmal das Original vom Beginn des 18. Jahrhunderts, dessen Überreste ins heute denkmalgeschützte Staatsratsgebäude integriert wurden. Und einmal eine historisch exakte Nachbildung als Teil des neuen, alten Schlosses.

Korn entwarf auch das Haus des Reisens und das jetzige Hotel Park Inn

So gegensätzlich wie die beiden Gebäude sind auch die Männer, die für sie verantwortlich sind. Auf Einladung des Tagesspiegel haben sie sich nun das erste Mal getroffen, haben sich über ihr Werk und über Architektur unterhalten.

Franco Stella, der Mann, der das Stadtschloss wiederaufbaut, pendelt jede Woche zwischen seiner Heimat Venetien und Berlin. Kein großes Problem, sagt er, die Flugverbindung sei gut. Bevor er den Zuschlag für das prestigeträchtige Projekt bekam, war der 71-Jährige eher unbekannt; er trat vor allem als Forscher, weniger als Architekt in Erscheinung. Zur deutschen Hauptstadt habe er eine enge Verbindung, erzählt der Italiener. Nicht nur, weil er nach der Wende unter anderem in der Jury des Wettbewerbs für die Gestaltung der Spreeinsel saß. Schon in den 70er Jahren ist Stella nach Berlin gereist, in den West- wie in den Ostteil.

Damals hatte Roland Korn, mittlerweile 84 Jahre alt, seine große Zeit. Er stammt aus Thüringen, wegen des Kriegs konnte er seinen Schulabschluss nicht machen, wurde erst Maurer, dann Bauzeichner, Bauingenieur und schließlich einer der wichtigsten Architekten der DDR. Korn war ein Macher. Nach dem Staatsratsgebäude, von 1962 bis 1964 erbaut, entwarf er unter anderem das Haus des Reisens und das jetzige Hotel Park Inn am Alexanderplatz, besuchte Bagdad und arbeitete in Chile. 1973 ernannte man ihn zum Chefarchitekten von Ost-Berlin, er blieb es bis zur Wende, verantwortete den Aufbau des Plattenbauquartiers Marzahn ebenso wie den des Nikolaiviertels. Nach ein paar Jahren als Selbstständiger ist Korn heute Rentner, er lebt im ausgebauten Wochenendhaus südöstlich von Berlin. Zum Treffen mit Franco Stella am Schlossplatz kommt er mit der S-Bahn, sein Auto hat er am Stadtrand geparkt.

„Herr Stella, ich kenne Sie aus der Literatur“, sagt Korn herzlich, als die beiden Männer sich die Hand geben; sein thüringischer Dialekt ist leicht herauszuhören. „Ich Sie auch!“, erwidert Stella lächelnd. Er spricht Deutsch, tastet sich in der fremden Sprache bedächtig vor, unterbrochen von italienischen Einsprengseln: „no?“, „come?“, „eh?“.

Franco Stella hat seinen Entwurf fürs Portal IV mitgebracht, Maßstab 1:100. Um die Ecke, im Café des Auswärtigen Amts, breitet er ihn auf dem Tisch aus. Sein Humboldtforum wird an drei Seiten die historischen Fassaden des Schlosses besitzen, außerdem die alte Kuppel, nur gen Osten gibt es einen modernen Riegel. Das Portal IV wird sich auf der Nordseite befinden, Richtung Lustgarten – genau dort, wo es ursprünglich stand. Errichtet wurde das Original ab 1706 von Johann Friedrich Eosander von Göthe, dessen bekanntestes Werk das Schloss Charlottenburg ist.

Die Ursprünge des Stadtschlosses liegen im 15. Jahrhundert, als an derselben Stelle die Residenz der brandenburgischen Kurfürsten errichtet wurde. Diese wich einem Renaissancebau, den Eosander und dessen Vorgänger Andreas Schlüter im Stil des Barock veränderten und erweiterten. Im 19. Jahrhundert kam die Kuppel hinzu, sonst gab es nur noch wenige Umbauten.

Als Roland Korn das Stadtschloss zum ersten Mal sah, war es bloß noch eine Ruine. 1951 kam er zu den Weltfestspielen nach Ost-Berlin und erkundete aufgeregt die große Stadt, die er später so stark prägen sollte. Der Bau der Elbeschwimmhalle in Magdeburg Ende der 50er Jahre war sein beruflicher Durchbruch. Nach Stalins Tod 1953 gab es im Ostblock eine Wende hin zum moderneren Bauen, wie es auch dem jungen Architekten gefiel. Weg vom Zuckerbäckerstil, „weg von dem, was wir ,Kulinatra’ nannten: die kulturelle nationale Traditionsarchitektur“, erinnert sich Korn.

Die Idee stammte von Walter Ulrbicht

Erstes Treffen: Roland Korn (links) und Franco Stella zwischen Stellas Humboldtforum und Korns Staatsratsgebäude.
Erstes Treffen: Roland Korn (links) und Franco Stella zwischen Stellas Humboldtforum und Korns Staatsratsgebäude.

© Mike Wolff

Die Idee, das Portal IV abzutragen und in ein zeitgenössisches Gebäude zu integrieren, stammt von Walter Ulbricht. Es sollte der sichtbare Triumph der neuen über die alte Zeit sein. Denn vor dem Portal hatte Karl Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen. Zunächst war das Portal für die Fassade des Instituts für Marxismus-Leninismus vorgesehen. Erst als 1960 Präsident Wilhelm Pieck starb, wanderte es in einen anderen Entwurf. Anstelle eines Präsidenten bekam die DDR nun nach sowjetischem Vorbild einen Staatsrat, dem mehr als 20 Personen angehörten, und der brauchte ein repräsentatives Gebäude. „Genosse Korn“ und Kollegen arbeiteten unter Hochdruck daran, zum 15. Jahrestag der DDR 1964 musste alles fertig sein. Immerhin öffneten sich die Firmentore für dieses besondere Projekt überall schnell. Ulbricht, gelernter Tischler, wollte nur bei den Stühlen mitreden.

Nach Korns Willen sollten Alt und Neu „zu einer Einheit verschmelzen“. Und so übertrug er die Proportionen des Portals auf die moderne Fassade. Sein 27,5 Meter hohes Staatsratsgebäude orientierte sich sogar im Inneren am Schloss: mit Festsälen im zweiten Stock, den Arbeits- und Sitzungsräumen in der Beletage und Profanerem im Erdgeschoss.

Wenn man das Portal des Hauses als Original bezeichnet, ist das nur die halbe Wahrheit. Roland Korn schätzt, dass etwa 40 Prozent erhalten waren, den Rest mussten Bildhauer und Steinmetze rekonstruieren; Denkmalpfleger haben bislang 20 Prozent nachgewiesen. Aus der Fassade ragt das Portal – beides ist in Sandstein gehalten – wie eine Brosche hervor. „Das war auch eine technische Frage. Das Gebäude selbst ist eine Stahlbetonkonstruktion, an die die Steine angehängt wurden. Die sind nicht aufeinandergeschichtet“, erklärt Korn und wendet sich an Stella: „Wie machen Sie das?“

Am Portal des Staatsratsgebäude fehlen die preußischen Insignien

„Wir rekonstruieren die Schlossbaukörper in drei Dimensionen, das heißt auch in der Tiefe. Insbesondere ist die Fassade keine vorgehängte Verkleidung, sondern ein massives und fugenloses Mauerwerk“, sagt der Italiener. Er streicht die Unterschiede zwischen beiden Bauten heraus. Bei der Rekonstruktion des Portals IV in der DDR habe der „urbane und künstlerische Wert der Architektur“ kaum eine Rolle gespielt, es ging eben um politische Symbolik. Das, wie manche meinen, schönere Portal V von Schlüter wurde vergessen. Stella deutet auf seinen Entwurf: Die preußischen Insignien – etwa die Krone –, die am Staatsratsgebäude aus ideologischen Gründen fehlen, werden bei ihm wieder vorhanden sein. Mit dem Humboldtforum entsteht das Portal IV an seiner angestammten Stelle und im ursprünglichen Zusammenhang neu. „Man kann sagen, dass wir das Portal dem Original getreuer – wenn auch ohne originale Fragmente – rekonstruieren“, erklärt Stella.

Roland Korn lauscht den Ausführungen des Italieners und lacht. „Man merkt, dass er Professor ist“, sagt er. Korn wirkt nicht wie einer, den die Wende bitter gemacht hat. Er kann von Bauten unterschiedlichster Epochen schwärmen, fast wie ein kleiner Junge. Notre Dame nennt er „eine Offenbarung“, Oscar Niemeyer sein größtes Idol. Den Wiederaufbau des Schlosses verfolgt er aufmerksam, die Euphorie teile er aber „ehrlich gesagt“ nicht.

Dabei geht es wohl um die Verteidigung seines Lebenswerks. Viele Bauten aus der DDR wurden inzwischen abgerissen, auch solche von Korn. Bei ihm zu Hause hängen Malereien, auf denen er die verschwundenen Häuser festgehalten hat. Selbst ums Staatsratsgebäude, in dem nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin zwischenzeitlich Kanzler Schröder residierte, sorgte er sich. Doch der Denkmalschutz hat Bestand. Zu Recht, wie auch Franco Stella findet. Den Umbau zum Uni-Campus durch HG Merz loben beide Architekten.

Über den Palast der Republik, an dessen Entstehung er nur anfangs beteiligt war, sagt Korn: „Die Fassade war vielleicht ein bisschen zu eintönig. Innen fand ich ihn gelungen.“ Franco Stella hat eine andere Sicht auf die Dinge, klar. Obwohl er nicht sicher ist, ob das Ensemble am Schlossplatz unter anderen politischen Vorzeichen erhalten geblieben wäre: Im Westen habe es schließlich auch die Idee gegeben, die Moderne sei allem Althergebrachten überlegen. Die städtebauliche Struktur um den Platz herum, die Gebäude Unter den Linden – alles beziehe sich doch auf das Schloss, den „Hauptdarsteller und Regisseur“ dieser Bühne. „Man könnte sagen, dass das wiederaufgebaute Schloss ,nach Hause’ kommt, aber auch, dass die Stadt mit dem Schloss ,nach Hause’ kommt, verständlicher und erlebbarer wird“, sagt Stella. Er verweist darauf, dass sein Portal IV, anders als das ein paar hundert Meter weiter, kein Gebäudeeingang ist, sondern ein „Stadttor“. Ein Durchgang, der von den Plätzen außerhalb zu den öffentlichen Höfen des Schlosses führe.

Roland Korn gefällt das. Er wünscht dem neuen Bau vor allem: Leben. Und erzählt eine Geschichte. Neulich hat er sich die Bildhauerarbeiten fürs Schloss angesehen. Da sprach ihn einer der Arbeiter an. „Woher kennen Sie mich?“, fragte Korn. „Ich habe doch damals Ihr Portal gemacht“, antwortete der Mann.

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