zum Hauptinhalt
Zwei Wochen nur mit Sharing-Angeboten durch Berlin, geht das?

© Kai-Uwe Heinrich

Selbstversuch mit Car2go, DriveNow, eMio & Co: Zwei Wochen mit Sharing-Angeboten durch Berlin

An jeder Ecke parkt in Berlins Zentrum ein Fahrzeug zum Ausleihen. Braucht man da noch ein eigenes? Unser Autor bewegte sich 14 Tage lang nur mit Smart, Mini, Fahrrad oder E-Roller fort.

Sonntag 19 Uhr, am Spreeufer des Hansaviertels. Jetzt schnell nach Friedrichshain, aber wie? Ein Klick auf die App von Car2go, oh weh, das nächste Leihauto steht 400 Meter entfernt, bisschen weit für zwei faule Menschen. Andere App auf, diesmal die von DriveNow. Deren Wagen wäre leider noch weiter weg.

Während man gerade die E-Roller ortet, fällt der Akkustand des Smartphones auf fünf Prozent, und der Bildschirm wird automatisch so dunkel, dass die Straßenkarte nicht mehr zu erkennen ist. „Okay“, sagt die Begleitung. „nehmen wir mein iPhone.“ Die Ahnungslose! Zuerst muss sie die passende App installieren. Dann wird im Stress das Passwort vergessen. Als es endlich einfällt, ist mit dem Wagen von Car2Go schon ein anderer losgefahren. „Extrem praktisch, dein Carsharing“, sagt die Begleitung. 

Es gilt als Fortbewegungsmittel moderner Großstadtmenschen. Wer wo hin will, nimmt sich das nächstbeste freie Fahrzeug am Straßenrand und stellt es am Ziel ab, ohne sich weiter kümmern zu müssen. Das sei praktisch für den Einzelnen und effizient, heißt es, weil die Wagen so nicht mehr die meiste Zeit des Tages ungenutzt auf Parkplätzen herumstünden.

In Berlin konkurrieren die Anbieter Car2go, DriveNow und Multicity, zudem gibt’s seit vorigem Jahr 300 E-Roller des Start-ups eMio. Plus die Fahrräder der Deutschen Bahn, die allerdings nach Fahrtende nicht wild in der Gegend abgestellt, sondern in einen der kniehohen Betonklötze gesteckt werden, die großflächig im Innenstadtbereich verteilt sind. Klingt nach riesiger Auswahl. Aber ist die Technik schon so ausgereift, dass man vollständig auf andere Verkehrsmittel verzichten kann?

2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller stehen in Berlin bereit. Wer alle Sharing-Angebote  nutzen möchte, muss zuerst eine Menge Apps installieren.
In Berlin stehen inzwischen 2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller bereit.

© Bartel; Illustration: Sonja Röhring

Zwei Wochen lang ausschließlich Sharing-Angebote nutzen. So lautet der Auftrag. Die Kollegen waren streng. BVG ist natürlich verboten, haben sie gesagt. Das wird sicher spannend und lehrreich, haben sie gesagt.

Das Anmelden strengt an

Zunächst ist es vor allem nervig. Der bürokratische Aufwand, sich bei sämtlichen Firmen anzumelden, gleicht dem einer Steuererklärung. Jeder Anbieter hat seinen eigenen Registrierungsprozess, erst füllt man online Bögen aus, dann muss man persönlich vorbeischauen und den Führerschein vorzeigen. Es gibt Apps zum Herunterladen, die man braucht, um freie Fahrzeuge zu finden. 110 Megabyte ergeben sie zusammen auf dem Smartphone. Die Apps, heißt es, können einen mithilfe von GPS auf den Meter genau orten. Präzisionstechnik also. Seltsamerweise grüßt die Car2go-App mit dem Hinweis, sie könne die derzeitige Position leider „nicht exakt bestimmen“, man solle doch bitte auswählen, in welcher Region man sich befinde: in Nordamerika, Europa oder gar China!

Umso schöner, wenn der Anfangsstress rum ist und man das erste Mal fährt. Diese Freiheit. Das leise Surren des Motors. Die schmeichelhafte Gewissheit, ab sofort zur Avantgarde zu gehören. Zu denen, die bereit sind für die Zukunft. An Kreuzungen begegnen einem andere Carsharer. Unter Seglern, Busfahrern und Hundebesitzern ist es üblich, sich zuzuwinken. Ob das auch für die Carsharing-Community gilt? Erste Tests zeigen: auf keinen Fall.

Warum sich Carsharing-Nutzer gegenseitig verpetzen

2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller stehen in Berlin bereit. Wer alle Sharing-Angebote  nutzen möchte, muss zuerst eine Menge Apps installieren.
In Berlin stehen inzwischen 2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller bereit.

© Bartel; Illustration: Sonja Röhring

Insgesamt 2700 Autos stehen in Berlin derzeit zur Ausleihe bereit. Marktführer sind DriveNow mit 1150 Minis und BMW in der Flotte sowie Car2go mit 1100 Smarts und bald 300 A-Klasse-Viertürern. Das durchschnittliche Berliner Carsharing-Mobil wird täglich 6,4 Mal bewegt. Von wem, lässt sich nur erahnen. Etwa anhand der hinterlassenen Spuren. Die Sitzstellung gibt Hinweise auf die Körpergröße des Vornutzers, der zuletzt gehörte Radiosender auf Musikgeschmäcker. Car2go-Nutzer scheinen eine Vorliebe für Jazzmusik und 80er-Jahre-Hits zu haben. Gutes Zeichen?

DriveNow verlangt vor Fahrtbeginn, die Sauberkeit des Innenraums zu bewerten – von „sehr sauber“ über „geht so“ bis „schmutzig“. Jetzt könnte man sich um eine faire Beurteilung bemühen. Aber was, wenn der nächste Nutzer die Sauberkeit schlechter bewertet? Man selbst stünde plötzlich als der große Verschmutzer da. Das System verführt einen also nicht nur zum Petzen, sondern auch zu gezielten Falschanschuldigungen. Nun gut. Nichts leichter als das.

Welche Macken hat das Auto schon?

Damit Nutzer später nicht für Schäden verantwortlich gemacht werden, die schon da waren, sollen sie vor dem Start auch kontrollieren, ob die sichtbaren Macken mit den bereits gemeldeten übereinstimmen. Clevere Idee. In der Praxis sieht das dann so aus: Der DriveNow-Mini in der Stresemannstraße hat bereits drei Einträge zur vorderen Stoßstange, drei Stück zur hinteren, drei zur Tür vorne links. Je einen Eintrag zur Tür hinten links, zur hinteren Alufelge, zum hinteren Kotflügel und zur Motorhaube... Soll man wirklich aussteigen und kontrollieren, ob sämtliche Vorschäden dokumentiert sind? Natürlich nicht. Man macht es wie mit den Geschäftsbedingungen halbseidener Internetanbieter. Einfach auf Okay klicken.

Die Bequemlichkeit des Carsharings ist unbestreitbar. Um was man sich alles nicht kümmern muss: Tanken, Kraftfahrzeugsteuer, Wartung, Abschreibung, Roststellen, Vogelkot auf dem Dach. Oder jetzt im Sommer den schmierigen Blütenstaub am Lack. Natürlich sind die Carsharing-Mobile auch versichert – aber nicht gegen jeden Blödsinn. Der Nutzer, der seinen Car2go-Smart im Dezember am Kreuzberger Urbanhafen nachts in den Landwehrkanal rollen ließ, muss den Schlamassel selbst bezahlen.

Überhaupt sind Carsharing-Fahrten nicht billig. Günstiger als Taxi, aber deutlich teurer als die BVG. Car2go berechnet je nach Fahrzeugtyp mindestens 24 Cent die Minute, DriveNow sogar 31. Dafür hat dieser Anbieter den Vorteil, dass Fahrer ihre Wagen überall dort abstellen dürfen, wo zu keiner Zeit Halteverbot gilt. Also auch neben eine Parkuhr. Die Gebühren zahlt das Unternehmen. Sogar wenn es wie am Gendarmenmarkt drei Euro die Stunde kostet.

Wer dagegen in einem Konkurrenzauto partout keinen kostenlosen Parkplatz findet, wird bald wahnsinnig. Nicht nur, dass man womöglich einen Termin verpasst, viel schlimmer: Die Kostenuhr läuft weiter.

Die Legende vom Smart-Querstellen

Es heißt ja, das Praktische am Smart sei, dass er sich noch in den kleinsten Spalt quetschen lässt – indem man einfach quer in einer Längslücke parkt. Sieht man auch ständig. Die Wahrheit ist leider: Querstellen in Längslücken ist grundsätzlich verboten, egal wie winzig der Wagen ist. Und ja, Knöllchen werden von Car2go an den Fahrer weitergereicht.

Der zweite Nachteil sind die Gebietsbeschränkungen. Alle Anbieter begrenzen ihre Geschäftsfelder auf die zentralen Viertel Berlins – ganz grob gesagt innerhalb des S-Bahnrings plus Ausbeulung nach Südwesten. Wer die imaginäre Linie überquert, kann den Wagen so lange nicht abmelden, bis er sich wieder innerhalb der Fahrzone befindet. Es gibt kleine Abweichungen. Wer zum Tierpark will, kann mit DriveNow in Sichtweite parken, bei Car2go nur ein paar hundert Meter entfernt, weil der Ort jenseits der Grenze liegt. Car2go hat sein Gebiet voriges Jahr sogar verkleinert, nahm Teile von Zehlendorf und Marienfelde raus. Dort wurden die Wagen zu selten benutzt.

Wer bitte lässt seine Röntgenbilder im Wagen liegen?

2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller stehen in Berlin bereit. Wer alle Sharing-Angebote  nutzen möchte, muss zuerst eine Menge Apps installieren.
In Berlin stehen inzwischen 2700 Autos, 1500 Fahrräder und 300 Roller bereit.

© Bartel; Illustration: Sonja Röhring

Wichtigste Lektion nach Woche eins: nie wieder dicke Schlitten. Smarts und Minis sind fürs Großstadtgewusel ideal. Und Wenden in sieben Zügen ist abgeschafft. Zweitwichtigste Lektion: Man fühlt sich schnell zu Hause in so einem Wagen. Vielleicht werden deshalb ständig Habseligkeiten vergessen. Bei Car2go heißt es auf Nachfrage, es seien schon Yoga-Matten, Schminktaschen, Röntgenbilder, Bewerbungsmappen und ein anderthalb Meter großer Plüschelefant liegen geblieben. Geht alles ans Fundbüro.

Und was, wenn man einfach seinen Müll zurücklässt? Das muss getestet werden mithilfe von leeren Kaffeebechern, einer Red-Bull-Dose, ordentlich Grashalmen und diversen zusammengeknäulten Zeitungen. Zwei Wochen lang gibt es keine Reaktion, weder Ermahnungen oder Putzrechnung. Die Firma scheint sehr nachsichtig zu sein.

Wen die Parkplatzsuche nervt, kann aufs gesharte Fahrrad wechseln. Die Deutsche Bahn hat 1500 Stück im Stadtgebiet, Konkurrent Nextbike stellt bald 5000 Räder dazu. Die Modelle der Bahn verfügen über extrabreite Reifen, mit denen man nicht so leicht in Tramschienen rutscht. Mit so dicker Gummibeschichtung, dass keine Bierflaschenscherbe durchkommt. Phänotyp Panzer. Absolut berlintauglich.

Wenn sich das Rad nicht entscheiden kann

Trotz Deutsche-Bahn-Logo kommen die Räder ohne technische Mängel oder Verspätung aus. Auf mehr als 30 Testfahrten gibt es nur einen einzigen Zwischenfall: Nach kurzer Pause beim Bäcker geht das Schloss nicht wieder auf. Anruf bei der Hotline. Wie blöd, sagt die Frau am anderen Ende, der Bäcker liege etwa 100 Meter Luftlinie von der nächsten Parkstation entfernt. „Ihr Rad kann sich nicht entscheiden, ob es sich bereits im Parkzustand befindet oder noch unterwegs ist.“ Da könne man jetzt nichts machen. „Es ist einfach überfordert.“ Die Frau schickt einen Techniker, man selbst darf sich ein anderes Rad suchen.

Oder den Ritt auf dem E-Roller von eMio wagen. So rot ist er, so retrostylisch. Hintendrauf befindet sich eine Box, in der gleich zwei Helme sind, falls mal jemand mitgenommen werden möchte. In einer kleinen Seitentasche liegen dünne weiße Einweghaarnetze. Ein Hygieneschutz, bevor man den Helm aufsetzt. Sieht verboten aus. Doch wenn sie schon angeboten werden, wird es einen guten Grund dafür geben, oder nicht? Die Kurzrecherche im Internet verschafft keine Klarheit, durch Helmsharing übertragbare Krankheiten: unbekannt. Je länger man drüber nachdenkt, desto unhygienischer kommt einem die Sache vor. Man legt sich ja auch keinen alten Spülschwamm auf den Kopf. Also Haarnetz auf. Passanten gucken.

Die Schrecksekunden zwischendurch

Die erste Fahrt wird zur Offenbarung. Warmer Sommerwind umweht einen, den Elektromotor hört man praktisch nicht. Der Roller ist wendig wie ein Fahrrad, beim Abbiegen möchte man glatt den Arm ausstrecken, was natürlich eine dumme und gefährliche Idee wäre. Zwischendurch Schrecksekunden, weil jemand mehrfach aus nächster Nähe hupt. Man beruhigt sich, als man merkt, dass man es selbst war. Die Hupe ist bei eMio direkt unter dem Blinker angebracht.

eMio macht süchtig. Vermutlich sieht man beim Fahren auf dem Roller auch ziemlich cool aus, es sei denn, das Haarnetz lugt unter dem Helm hervor. In den nächsten Tagen erwischt man sich vermehrt beim Gedanken, welche Besorgungen es noch zu tätigen gäbe, die eine Rollerleihe rechtfertigten. Oder ob man, wenn kein Roller in der Nähe steht, sich nicht kurz ein Rad der Deutschen Bahn ausleihen sollte, um damit zum nächsten verfügbaren Roller zu fahren, um dann die eigentliche Wegstrecke zu beginnen.

Je öfter man fährt, desto träger wird man. Man kann die Fettringe förmlich wachsen fühlen. Zum Glück sitzt es sich mit ein bisschen mehr Polstern am Hintern noch bequemer auf dem Roller.

Zur Startseite