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Skifahrer in den Bergen um Serfaus.

© Serfaus-Fiss-Ladis

Skifahren in Serfaus: Privatstunde mit Girardelli

Abseits der Pisten, im Tiefschnee, liegt das wahre Glück des Skifahrers. Besonders, wenn ein Olympiasieger vorfährt. Unser Autor hat sich im österreichischen Serfaus einen Jugendtraum erfüllt.

Links die Zugspitze, rechts der Ortler, vor blauem Himmel und gleißender Sonne hat Serfaus ein Prachtpanorama aufgeboten. Wir sind aus dem Plansegg-Lift ausgestiegen, er sagt: „Nehmt’s heut ein bisserl Rücksicht auf mich“, schiebt sich die Brille vom Helm auf die Nase, „i hab die dünneren Ski“. Klackert hinter dem Rücken die Skistöcke zusammen, als müsste er sich selbst anfeuern – und schon ist er weg, rauscht in raschen, runden Bögen bergab. An der ersten Abzweigung, die wir eigentlich nehmen wollten, ist er schon vorbeigezischt. Wenn auf irgendwen keine Rücksicht zu nehmen ist, dann auf ihn.

„War das Marc Girardelli?“, fragt ein Mann an der Bergstation. Er hat einen Skianzug am Leib und Ski unter den Füßen aus ungefähr jener Zeit, als Marc Girardelli noch den internationalen Skisport dominiert hat. Und ja, das gerade war Marc Girardelli. Der heute 53-Jährige ist hierher, nach Serfaus im Westen Tirols, gekommen, um mit uns im Pulverschnee zu fahren. Eine einmalige Aktion – aber Girardelli bietet für Interessierte regelmäßig Ski-Privatstunden wie diese an.

Ich war Anfang der 90er Jahre ein extrem ehrgeiziger, extrem fleißiger und extrem unbegabter und daher extrem erfolgloser Skirennfahrer, meine jämmerliche Karriere endete in etwa zur gleichen Zeit wie die von Marc Girardelli. Nur hatte der damals alles gewonnen, was es im Skirennsport zu gewinnen gab, von der Abfahrt auf der Streif bis zum Slalom in Kranjska Gora. 46 Weltcupsiege, 13 Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympia, einer von ganz wenigen, die in allen fünf Skidisziplinen Rennen gewonnen haben, kurzum: Ein Held meiner Kindheit saß da gerade mit mir im Sessellift. Und wenn man einen Helden schon mal trifft, von Angesicht zu Angesicht, dann will man ihn auch beeindrucken. Also klackere ich hinter dem Rücken meine Skistöcke zusammen, und schon bin ich weg, rausche in halbwegs raschen, halbwegs runden Bögen bergab, ihm hinterher.

Serfaus hat sich als einer der ersten autofreien Orte in den Alpen autofrei erklärt

Man hört ein bisschen Holländisch (es sind gerade Krokusferien), man hört ein bisschen Russisch (es sind gerade orthodoxe Weihnachtsferien), aber ansonsten hat man viel Platz auf den Pisten. Und vor allem, das ist das Spannende – auch daneben!

„Schaut’s mal, da fahren wir nachher“, sagt Markus. Er steht neben Girardelli, er ist die Tage unser Guide und zeigt in einen unberührten Hang. Er kommt aus dem Bayerischen Wald, das hört man manchmal noch, aber er wohnt schon seit Jahren hier in Serfaus, das hört man vor allem. Das kehlige „Kch“, das man hier und in Vorarlberg und in der Schweiz spricht, spricht auch er. Im Sommer bohrt er Klettersteigrouten ein, im Winter fegt er mit seinen Gästen durch die Pulverhänge.

Star im Schnee. Marc Girardelli (weiße Jacke, rote Hose) gibt Tipps.
Star im Schnee. Marc Girardelli (weiße Jacke, rote Hose) gibt Tipps.

© Serfaus-Fiss-Ladis

Es ist ein ordentlicher Winterstart gewesen hier, die Schneekanonen konnten seit November quasi durchgehend an der Unterlage arbeiten und künstliches Weiß auf die Almwiesen und Ziehwege ausbreiten. Aber der letzte echte Schneefall ist eine Woche her, die Grate und Rippen sind abgeblasen oder freigeschmolzen. Finden wir da in den Mulden und Rinnen wirklich noch unverspurten, frischen Pulverschnee? Denn das ist ja das, was einem Tiefschneefahrer gefällt.

Vom Hotel geht es per U-Bahn zur Talstation. Als einer der ersten Orte in den Alpen hat sich Serfaus in den 70er Jahren als autofrei erklärt. An der Talstation leihen wir uns extrabreite Ski aus, sie haben mehr Auftrieb als die normalen Pistenbretter und lassen einen deshalb im Gelände abseits der präparierten Hänge weniger einsinken. Einen Helm hat auch jeder aufzusetzen. Und Markus hängt jedem noch einen kleinen Kasten um den Hals, etwas größer als eine Zigarettenschachtel und unter die Jacke zu ziehen: „Das ist der Lawinenpiepser, damit wir euch auf jeden Fall finden, wenn ihr euch im Schnee verirrt.“

Der Schneeflüsterer Markus hat das richtige Timing

Ein, zwei Fahrten kurven wir uns auf der Piste warm, gewöhnen uns an die breiteren Kurvenradien der Tiefschneelatten. „Läuft eh super bei euch!“, meint Markus. Ein guter Skiführer ist halt auch und vor allem ein Gute-Laune-Macher, ein Motivierer. Und selbst Girardelli, der früher als Rennläufer immer so bärbeißig, so grimmig wirkte, lässt sich anstecken von Sonne, Himmelblau und Prachtpanorama. Erzählt im Lift Apothekerwitze, plaudert mit diesem, befragt jenen. Er kommt ursprünglich aus Vorarlberg, ein paar Täler weiter, wohnt heute in der Schweiz. Er wollte Serfaus mal kennenlernen, damit er dort mit seinen Kunden – er arbeitet jetzt unter anderem als Berater – Skifahren gehen kann.

Dann geht es zum ersten Mal ins Gelände, jenseits der markierten Piste. Es lockt ein steiler Hang, vom Masnerkopf auf fast 3000 Metern nach Südosten ausgerichtet. Hat die Sonne den in der Nacht gefrorenen Harschdeckel schon aufgeschmolzen, oder sind wir noch zu früh dran? Dann würde man immer wieder einbrechen, „Lernschnee“, wie das bei Skilehrern heißt.

Aber Schneeflüsterer Markus hat das richtige Timing gehabt, der Hang ist butterweich, noch keiner ist ihn heute gefahren, wir dürfen die ersten Spuren hineinfräsen. Genauer gesagt: die ab der zweiten, denn vorneweg ist natürlich der Mann in dem rot-weißen Skidress, mit dem silbernen Helm, alles für den Fall, dass ihn einer nicht gleich erkennt, mit dem eigenen Namenszug beschriftet: Marc Girardelli. Er hatte sich ja schon in Jugendtagen mit dem österreichischen Skiverband verkracht, hatte deshalb alle seine Siege und Medaillen für Luxemburg geholt. Ein Einzelkämpfer. Den Körper kompakt nach unten und vorne gedrängt, pest er durch den Schnee, als wäre es 1992, als müsste er gerade den zweiten Lauf im Riesenslalom von Alta Badia gewinnen. Schluss mit dem Tagtraum, ich stürze mich hinterher. Die schweren, breiten Tiefschneelatten tun ihre Arbeit und tragen mich in sanften Schwüngen ins Tal.

"Und jetzt genießt es, bitte schön!"

Girardelli als Profi.
Girardelli als Profi.

© imago/Baering

„Ich kenne Serfaus bisher nur aus dem Helikopter, aber es gefällt mir gut, da werde ich mit meinen Kunden öfters herkommen.“ Die meisten Menschen machen Reha und legen die Beine hoch, wenn sie einen Kreuzbandriss haben. Marc Girardelli machte in der Zeit seinen Heliführerschein. So kommt er schneller an sein Ziel und muss sich beim Kreuzundqueren der Alpenautobahnen nicht an die lästigen Tempolimits (110 in Tirol, 130 in der Schweiz) halten. Gestern war er in Garmisch-Partenkirchen, am Klinikum, wo es in der Notaufnahme Schließfächer für Ski und Snowboard gibt. Er hat dort den Orthopäden ein Therapiegerät vorgestellt, das ihm das Knie geheilt hat und jetzt dem Rest der Menschheit dabei helfen soll. Es geht um magnetische Wellen.

Demnächst ist er in Frankfurt, um sein Buch „Abfahrt in den Tod“ vorzustellen, ein Krimi um einen Skirennfahrer. Er macht Werbung für zwei Skigebiete in Bulgarien. Er hält Motivationsvorträge vor Jungunternehmern, Tankstellenbetreibern und Waschmittelherstellern für eine renommierte Redner-Agentur, auf Deutsch, Englisch und Italienisch. Und er hat eine Webseite, auf der man sich eine individuelle Farbkombination für einen Skianzug zusammenstellen kann.

Mittagspause im „Monte Mare“, einem futuristischen Skirestaurant im Masner-Gebiet. Stefan, der zweite Skiguide, arbeitet im Sommer als Hirte und erzählt bei Weißbier, Surf & Turf und Sonnenschein wilde Geschichten von Unwettern, verfallenen Hütten und Kühen, die sich in Felswänden verlaufen haben. Die Guides nehmen durch ihre Gletscherbrillen die Westhänge in den Blick: Haben sie inzwischen genügend Sonne abbekommen, sodass die Gefahr größerer Schneebrettlawinen gebannt wäre? Die andere Gruppe, die da gerade mühsam den Berg hinaufstapft, klauen die uns unsere Spur? Marc Girardelli hängt am Handy, er muss ein Kundengespräch führen.

Es geht den Hang hinab, jeder Bogen ein kleiner Kick

Noch einen Espresso, und dann geht es los. Wir nehmen die Pezid-Bahn, die Sonne im Gesicht, dann stapfen wir einen Grat entlang. Es fühlt sich an wie eine hochalpine Expedition, dabei sind wir nur ein paar Höhenmeter von den Pisten entfernt. Ein paar Minuten lang schieben wir uns am Grat entlang – und dann der Blick in die Tiefe: Ein weitgehend unberührter Hang eröffnet sich uns, die andere Gruppe hat noch genügend übrig gelassen. Ein unverspurter Hang, eine Woche nach dem letzten Schneefall? „Am Arlberg könntest du das vergessen“, sagt Girardelli entzückt. In den bekannten Tiefschneegebieten wäre nach zwei Stunden schon der letzte Winkel Neuschnee zerfahren, hier kann man auch noch nachmittags Glück haben.

Kurze Einweisung von Markus, dem Tiefschneeguide: „Lasst’s ein bisserl Abstand zur Vorderfrau oder zum Vordermann. Keiner fährt links von meiner Spur. Und jetzt genießt es, bitte schön!“ Alle halten sich daran. Alle bis auf Girardelli, der natürlich die allerlinkeste, allersteilste und damit allerschönste Spur für sich beansprucht. Aber auch uns ist das Tiefschneeglück hold. In weiten Kurven geht es den Hang hinab, jeder Bogen ein kleiner Kick. Der Schnee staubt bis übers Knie, die Sonne leuchtet uns ins Gesicht. Das Glück des Skifahrens, es wird kübelweise über uns ausgeschüttet.

Außer Puste stehen wir am Hangfuß, machen High Fives mit unseren dicken Handschuhen, analysieren die Spuren, fahren mit den Fingern die Abfahrt noch mal nach: „Das war meine.“ – „Da wurde der Schnee ein bisschen fester.“ – „Das war der schönste Teil, oder?“ Auch Marc Girardelli macht High Fives, auch ihn hat der Tiefschneerausch entzückt.

Panorama-Sauna, Dreigang-Menü, und ab aufs Zimmer

Nach so einer Abfahrt kann es keine Steigerung geben, also ab ins Tal. Dennoch findet Markus, häufig keine zehn Meter neben der Piste, kleine Abschneider und Nebenwege, um für uns hier noch mal fünf und dort noch mal drei Pulverschwünge herauszuschlagen. Es ist schon fast vier, die Sonne verschwindet bald hinter den Zacken im Westen. Und die Kondition ist dahin. Außer beim x-fachen Weltmeister, der reiht weiter einen makellosen Schwung an den nächsten.

Noch mal in die U-Bahn, zurück zum Hotel, am Weg einen Après-Drink in einer der Bars, wo Marc Girardelli mit großem Hallo begrüßt, für ein Autogramm und ein Foto in Haft genommen und zum Schnaps genötigt wird. Panorama-Sauna, Dreigang-Menü, und ab aufs Zimmer.

Marc Girardelli – heute ohne Helikopter – fährt jetzt noch lässig nach Hause, quer durch die Alpen. Wahrscheinlich jenseits des Tempolimits.

Reisetipps für Serfaus

ANREISE

Das Skigebiet Serfaus-Fiss-Ladis im Westen Tirols befindet sich rund eine Autostunde entfernt von Innsbruck. Es bietet Schneesicherheit bis mindestens Ostern. serfaus-fiss-ladis.at

UNTERKUNFT

In der „Wellness-Residenz Schalber“ kostet das Doppelzimmer in den nächsten Wochen zwischen 235 und 275 Euro pro Nacht. schalber.at

SKIAUSFLUG

Beim Erlebnis-Anbieter „Jochen Schweizer“ kann man für 580 Euro einen Skiausflug mit Girardelli buchen, jedoch nicht in Serfaus. jochen-schweizer.de

Christian Thiele

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