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Oskar Roehler im Interview: „Diese 68er waren Betonköpfe“

Sein Opa brachte die Gartenzwerge nach Deutschland, der Vater vernachlässigte ihn: Erst mit Bret Easton Ellis entdeckt Oskar Roehler sein Vorbild.

Herr Roehler, Ihre Filme wirken in letzter Zeit so, als würden Sie der Ausstattung eine besondere Bedeutung beimessen. Stimmt der Eindruck?

Ja, darauf lege ich mittlerweile größten Wert. Alles, was im Bild auftaucht, entscheidet darüber, ob der Zuschauer sagt: Da will ich tiefer reingehen. Das Paradebeispiel ist der Film „A Single Man“ von Tom Ford …

… das Regiedebüt des Modedesigners war dieses Jahr für den Oscar und viele Filmpreise nominiert.

In den ersten Minuten denkt man sofort: Puh, sieht das gut aus! Die Kamera bewegt sich kaum, erfasst magisch bestimmte Details: Schuhe, die Hemden in der Schublade. Tom Ford hat für die Kamera Bilder komponiert. Das ist ein Höchstmaß an visuellem Kitzel.

Ihr neuer Film „Jud Süß“ erzählt die Geschichte um die Verfilmung des berüchtigten Propagandafilms aus der Nazi-Ära. Was ist da der visuelle Kitzel?

Wenn man Nazi-Ästhetik darstellt, müssen die Smokings, das Make-up und die Haare stimmen. Das ist wie ein prachtvolles Gemälde der Nazi-Elite.

Damit der Zuschauer sagt: Mensch, der Goebbels hat aber einen schicken Anzug?

Klar, es geht auch über weite Phasen darum, dass alles gut aussieht. Natürlich überlege ich, wie ich meine Geschichte den Zuschauern schmackhaft mache – und dann besetze ich den Goebbels mit Moritz Bleibtreu.

Haben Sie sich mal kurz gefragt: Dürfen die Nazis überhaupt gut aussehen?

Ach, das finde ich engstirnig. Die politische Angelegenheit hat nichts mit dem Stil der Personen zu tun. Die einen waren schick wie Goebbels, der weiße Smokings, extrem kostspielig gebundene Fliegen, aufgesetzte Kragen und Schuhe mit Gamaschen getragen hat. Die anderen waren wie Hitler, der in seinen Opa-Anzügen herumlief. Auch Göring trug ja Fantasiekostüme, zum Beispiel einen Gehrock mit diamantenbesetzten Quasten. Das war eine Form von äußerster Drogendekadenz.

Was finden Sie an der Ästhetik der 40er Jahre so interessant?

Ich war fasziniert, wie sie damals Feste feierten. Wie der Regisseur von „Jud Süß“, Veit Harlan, sich gebärdet hat – wie ein 500-Pfund-Gorilla. Alle hatten dicke Bäuche, fette Zigarren und taten so, als könnte nichts und niemand sie erschüttern.

Sie stammen aus einem großbürgerlichen Haushalt. Haben Sie für die Nachforschung Familienfotos ausgegraben?

Ach Gott, meine Großeltern kamen aus anderen Verhältnissen. Die wären gerne wichtiger gewesen. Mein Großvater mütterlicherseits war Siemens-Vorstandsmitglied in der Provinz, mein anderer Fabrikantensohn aus dem Thüringer Wald. Als er 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, hatte er die absurde Idee, das Land mit Gartenzwergen zu überschwemmen. Mitte der 50er Jahre gründete er in Franken die Firma, einige Jahre später war er bereits Millionär. Ich weiß noch, als ich Kind war, wie wir damals mit dem Auto ganz langsam durch jedes Dorf gefahren sind, weil in jedem verdammten Garten acht von den beschissenen Zwergen standen.

Dieser Großvater war auch heimlicher Hitler-Verehrer?

Er hatte Adolf noch in seinem Briefmarkenzimmer, als Foto in seiner Schublade. In das Zimmer zog er sich manchmal zurück. Als Junge habe ich ihn gefragt, wer das auf dem Bild sei – und er entgegnete, das sei die größte Liebe und Enttäuschung seines Lebens gewesen. Ich hab das natürlich gar nicht verstanden. Später war er Mitglied bei der SPD, da hat ihn mein Onkel wohl hineingedrängt.

Als kleiner Junge war Ihr Opa ein Vaterersatz für Sie?

Vor ein paar Tagen erinnerte ich mich an die Anekdote, wie ich als Sechsjähriger immer zum Bahnhof Friedrichstraße gelaufen bin. Weil ich wieder zu meinem Großvater zurückwollte. Als ich drei war, trennten sich meine Eltern, meine Mutter ließ mich bei meinem Vater – und der gab mich dann an meinen Großvater weiter.

Ihr Vater hat Sie dann mit sechs Jahren nach West-Berlin geholt.

Er wollte einen aufgeklärten Stadtjungen aus mir machen, ging aber lieber mit Rudi Dutschke demonstrieren und rannte dickbusigen Mädchen vom SDS hinterher. Ich war ein Schlüsselkind. Bachestraße in Steglitz, da haben wir gewohnt. So wenig gefiel mir das, dass ich heimlich vom Spielplatz abhaute und zur Friedrichstraße ging.

Zu Fuß?

Zuerst eine Dreiviertelstunde Fußmarsch den Ku’damm runter, bis zur Gedächtniskirche. Dort stieg ich in die U-Bahn, dann musste ich noch mal umsteigen. Am Bahnhof Friedrichstraße bin ich zu den DDR-Grenzern gegangen und hab gesagt: Mein Name ist Oskar Roehler, ich komme aus Reuth in Franken, dahin möchte ich wieder zurückgebracht werden. Die haben mich nur blöd angesehen. Ich traf auf eine Welle von Verständnislosigkeit für eine Sache, die mir ganz selbstverständlich erschien. Die fragten laufend: In welcher Straße wohnst du denn in Berlin? Und sobald ich sagte, Bachestraße 3, wurde ich wieder zurückverfrachtet zu meinem Vater.

Ihr Vater kümmerte sich nicht um Sie?

Das muss ich ihm und seinen Freunden ankreiden. Die hockten mit grimmigen Gesichtern in der Küche und diskutierten. Als Kind durfte ich nie dazwischenreden. Die waren richtig verbohrt.

Woran zeigte sich das denn noch?

Später durfte ich die „Bravo“ nicht lesen. Es hieß, das sei kleine Dreckskacke für Halbidioten. Dafür hat mein Alter mir Fotos von nackten Frauen aus der linken Zeitschrift „Konkret“ gezeigt – um sich dann selber daran aufzugeilen. Als ich acht oder neun war, kam er mit einem Koffer voller Hardcore-Pornos an. Mein Onkel sagte: Mensch, pack das Zeug weg, das interessiert doch deinen Sohn überhaupt nicht!

In Ihrer Wohnung ging Rudi Dutschke ein und aus.

Ach, diese 68er, das waren alles Betonköpfe und wahnsinnige Chauvinisten. Die strotzten vor Machtgelüsten und Testosteron. Alle kamen sie zu meinem Vater, um sich Rat zu holen. Er war zehn Jahre älter, so eine Art graue Eminenz, weil er mit Uwe Johnson, Günter Grass und Ingeborg Bachmann befreundet war.

Von den Besuchern Ihres Vaters werden Ihnen doch auch welche sympathisch gewesen sein.

Entschuldigung, das waren alles Arschlöcher. Total egomanische Typen. Außer dem einen oder anderen Dienstmädchen hat sich niemand um mich gekümmert.

Ein Dienstmädchen durften die 68er haben?

Haushälterin wurde die genannt. Na ja, mein Vater war ja kein Hippie, der kam eben aus einer anderen Generation. Für den waren solche Sachen erlaubt. Ansonsten lebte er recht spartanisch.

Wo war eigentlich damals Ihre Mutter, die exzentrische und kommunistische Dichterin Gisela Elsner? Ihr haben Sie Ihren ersten Erfolgsfilm gewidmet: „Die Unberührbare“.

Die war wie ein abgesplitterter Teil von mir, lebte in München und war hochgradig mit sich selbst beschäftigt. Mein Kontakt war gleich null, zwischen meinem dritten und 20. Lebensjahr sah ich sie kaum – und wenn, dann war es wie der Besuch einer Fremden. Erst danach kam ein zögerlicher Kontakt zustande. Wir sahen uns sporadisch, vielleicht zwei Mal pro Jahr, bis sie 1992 starb.

Die Journalistin Anja Röhl, Tochter von Ulrike Meinhof, hat ihrem Vater Klaus Rainer Röhl vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben. Haben Sie so etwas in Ihrem Umfeld beobachtet?

Das nicht, ich war ab und zu Augenzeuge, wie mein Vater irgendwelche Frauen vom SDS angeschleppt hat. Ich weiß noch, wie sie morgens um sieben bei uns saßen, mit aufgescheuerten Knien, weil mein Vater sie auf dem Wohnzimmerteppich durchgenommen hatte. Dann mussten sich die Mädchen von meinem Alten, der unbarmherzig betrunken war, anhören, wie hart das Leben wirklich sei. Dass er Porzellandreher gewesen war und sie nur naive kleine Mäuschen seien. Da war er immer ganz stolz und hat sich über die erhoben.

Finden Sie die heutige Sicht auf die 68er romantisch verklärt?

Im Grunde haben die schon dafür gesorgt, dass endlich frischer Wind ins Land kam, das noch von lauter Nazis regiert wurde. Aber ich weiß bis heute nicht, wie die persönlichen Träume meines Vaters aussahen. Vielleicht ging es tatsächlich um politische Gerechtigkeit.

Was für ein Bild von den 68ern haben Sie sofort vor Augen?

Ich denke sofort an sexy Frauen, mit ein bisschen was an, zum Teil gucken die Brüste zwischen irgendwelchen Lammfellmänteln hervor. Diese natürliche Grazie, das fand und finde ich immer noch nett.

Es war nicht alles schlecht …?

Ich habe gemischte Gefühle, aber warum soll ich noch damit hadern? Meine schlimmste Zeit kam erst, als ich einsehen musste, dass ich jetzt erwachsen bin. Da fragte ich mich plötzlich: In welche Richtung marschiere ich jetzt? Soll ich vollkommen in den Drogen versacken, was ja viele gemacht haben?

Und welchen Weg sind Sie gegangen?

Ich hab zum Glück nie mitgemacht. Aber viele meiner Freunde haben Heroin genommen, auch bei mir zu Hause, morgens am Frühstückstisch, und ich habe daneben abgespült. Da hatte ich Angst vor: mich zu verlieren. Das war übrigens dieselbe Zeit, als ich zum ersten Mal „Jud Süß“ sah.

Welche Zeit meinen Sie?

Das war 1982, zu Punk- und New-Wave-Zeiten. Im „Ex ’n’ Pop“, einer Schöneberger Bar, gab es ein Hinterzimmer, den sogenannten Drogenraum. Da wurden mit Projektoren Filme ohne Ton an die Wand geworfen – und einer davon war „Jud Süß“. Schon schräg war das.

Passte der Film in die Zeit?

In Bars wie „Risiko“ und „Ex ’n’ Pop“ spielte man brutale Exorzismus-Krachmusik, man zeigte Schnipsel aus „Der ewige Jude“, herausgeschnittene Stellen aus dem „Exorzisten“ und auch Hitler-Aufnahmen. Alles, was im Giftschrank lag und den Ruf besaß, kein Mensch der Welt kennt das, so böse ist das. Und das musste gezeigt werden.

Mit dieser Szene haben Sie sich identifiziert?

Mit den Musikern, doch doch. Aber ich hinkte den anderen wie ein Groupie ohne Selbstvertrauen hinterher. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass das Jahrzehnt kulturpolitisch keine Relevanz in West-Berlin hatte. Das war Narzissmus, eine Selbstbespiegelung des eigenen Größenwahns – und man hat sich ruiniert. Wir standen jede Nacht bis morgens um neun im „Risiko“ und haben die Zeit totgeschlagen.

Was haben Sie getrunken?

Wodka, oh ja. Dann kam die Zeit von Whiskey-Cola in Bechern, groß wie Pokale.

Haben Sie sich als Teil einer Avantgarde gefühlt und so gekleidet?

Ich hab gedacht, was ich trage, das ist das Nonplusultra. Nur schwarze Röhrenjeans und T-Shirts. Der Existenzialisten-Look hat sich lange gehalten. Der kam erst aus der Mode, als die Mauer aufging – es war, als wäre die Szene zu Staub zerfallen. Wir waren wie Vampire, wenn plötzlich das Licht angeht. Ich glaube, bis dahin hatte ich noch das Leitbild meiner Eltern vor Augen.

Das verwundert nach den Geschichten, die Sie gerade erzählt haben.

Ich hatte einen Minderwertigkeitskomplex. Meine Eltern haben mir, da war ich 14, vorgehalten, ich sei ein verwöhnter Internatsjunge und richtiger Bourgeois. Lange Zeit habe ich danach den Fehler begangen, meinen Eltern nachzueifern.

Und zwar wie?

Ich habe die bürgerlichen Werte abgelehnt. Was ein Irrweg war. Erst heute weiß ich, dass ich ein anderer Mensch bin und das normale bürgerliche Leben mag.

Wann haben Sie diese Erkenntnis gewonnen?

Mit 26 Jahren fing ich an, kleine Drehbücher zu schreiben, relativ diszipliniert – und seitdem gehe ich meinen Weg. Irgendwann merkte ich auch, dass die Sprüche meines Vaters mir nicht mehr viel bedeuteten. Er wirkte auf mich zunehmend verloren und einsam. Die 80er und 90er Jahre, das war nicht mehr seine Zeit, er hat nicht verstanden, was los war. Als ich 1992 das Buch „American Psycho“ von Bret Easton Ellis las …

… in dem Roman geht es um einen Banker, der zum Serienkiller wird. Das Buch wurde wegen seiner drastischen Gewaltdarstellung zwischen 1995 und 2001 in Deutschland indiziert …

… da habe ich auch bemerkt, wie meine Mutter richtiggehend Angst bekam. Sie hat immer das Schlechte im Menschen gesucht, aber plötzlich tauchte da ein junger Schreiber auf, der viel besser darin war als sie.

Bret Easton Ellis ist auch ein Meister der seitenlangen Beschreibungen über kleine Details wie richtige Hemden oder die Technik des Nassrasierens.

Das hat mich wahnsinnig fasziniert. Ich glaube, „American Psycho“ war der Schlüsselroman für mich. Mit welcher unglaublichen Chuzpe er diesen Massenmörder, mit welcher diabolischen Detailfreude er die Schlachterei beschrieb.

Das Böse hat Sie fasziniert.

Ja, und dabei ist Bret Easton Ellis ein Moralist, das geht bis ins Ästhetische. Ich habe nach dem Lesen auch sofort gedacht: Jetzt kannst du aber nicht mehr in den alten Schuhen herumlaufen. Bis heute hat sich so ein einfaches System in meinem Kleiderschrank durchgesetzt: Ich brauche nur eine notwendige Anzahl von Schuhen und Hemden – auf gar keinen Fall T-Shirts.

Und einen Anzug von Tom Ford?

Ich habe bereits einige Anzüge von ihm. Die Kragen sind so schön breit, schmale sehen einfach spießig aus. Und das Innenfutter ist handgenäht, da sitzt der Anzug viel besser. Neulich habe ich einen Smoking von Ford gesehen, um die 5000 Euro, der war einfach zu teuer. Ihn nicht zu kaufen, hat richtig wehgetan.

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