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Tante Daan muss ran. So nennt Rocco (r.) seinen Babysitter Daan Löning – einen der wenigen Männer in der Kinderbetreuung.

© Björn Kietzmann

Gesellschaft: Spielgeld Ab jetzt nur noch

Daan Löning hatte einen gut bezahlten Job in einer Bank. Doch ihm fehlte das Abenteuer. Er kündigte und fand es: in der Kinderbetreuung.

Daan Löning schlendert durch Friedrichshain. Ein großer Typ, schlank, smart, 29 Jahre alt, der sich Zeit nimmt, die Auslagen in den Geschäften anzusehen. Simon-Dach-Straße, Karl-Marx-Allee, an diesem Abend entdeckt er Designgeschirr, eine alte Lampe in einem Second-Hand-Laden – könnte die in seine Küche passen?

Für so etwas hatte er früher kaum Zeit, als er für eine Privatbank in Frankfurt arbeitete. Drei Jahre voller Termine und Arbeitsberichte. Als Berater für Firmenfinanzierungen hatte er ständig Meetings, Unterredungen und Geschäftsessen. Er trug Schlips und Kragen, das Hemd fest zugeknöpft. Heute hat er ein offenes weißes Hemd an, darüber einen dunklen Baumwollpullover, er trägt dunkle Hose und schwarze Schuhe. Gepflegt, aber leger. Er atmet tief durch, die Nacht ist noch einmal kühl geworden. Er hat seinen Beruf gewechselt, sich nach der Finanzbranche für ein ganz anderes Metier entschieden: Er gründete ein Portal für Babysitterdienste und Kinderbetreuung.

Als Geschäftsführer des Onlinedienstes „Kinderfee“ geht er zweimal im Monat selbst als Kinderbetreuer los. In der Petersburger Straße klingelt er bei einer Familie. Der Türöffner surrt. Er steigt die Treppe hoch. Am Treppenabsatz im dritten Stock wartet bereits ungeduldig ein fünfjähriger Junge: „Kommt Tante Daan wirklich heute?“ Die Antwort aus der zweiten Etage: „Klaro, bin ja schon da!“

Daan Löning ist ein Exot. Das Metier Kinderbetreuung ist fest in weiblichen Händen. Von den zahlreichen Babysittern in Deutschland, meist Schülerinnen, Nachbarinnen und Studentinnen, ist nur ein Bruchteil männlich. Bei einem ähnlichen Beruf, dem des Erziehers, sind laut Statistischem Bundesamt nur 3,6 Prozent Männer. Demgegenüber steht die demografische Entwicklung in Großstädten. „Ich kenne viele alleinerziehende Eltern“, sagt Daan Löning. Seine Erfahrung in solchen Familien zeigt: Die Kinder wachsen bei der Mutter auf, jedes zweite Wochenende wird Papa besucht. „Vielen Jungs fehlen die Vaterfiguren“, glaubt Daan Löning. Vielleicht wird er deshalb häufig von Familien mit einem oder mehreren Jungs gebucht. Er ist ein Rollenvorbild für die Söhne.

Der fünfjährige Rocco umarmt den 29-Jährigen stürmisch, als dieser in die Wohnung kommt. Schnell rennt Rocco in die hinteren Zimmer. „Daan, wir spielen Eisenbahn“, ruft er. Der Babysitter begrüßt die Eltern. „Toll, dass es wieder geklappt hat“, sagt die Mutter. Sie ist zum Aufbruch bereit, will mit ihrem Mann zu einem Konzert. „Sei brav“, ermahnt Papa Heiko seinen Sohn. Küsse, Umarmung, „ich hab dich lieb“. Dann sind die Eltern weg.

Rocco wendet sich sofort seiner Eisenbahn zu und schmeißt eine Herde Spielzeugtiere um: „Peng! Peng! Alles kaputt! Jetzt musst du alles aufräumen!“ Daan Löning kontert: „Und Rocco hilft mir dabei.“ Der Zappelphilipp nickt.

„Viele Jungen im Kindergarten- und Vorschulalter suchen ein Vorbild in mir, an dem sie sich messen können.“ An dem sie auch ausprobieren, wie weit sie gehen dürfen. „Das ist hier ein richtiges Abenteuer“, sagt Löning. Über ihm hängt eine Leselampe mit Lightning McQueen, einer Figur aus dem Zeichentrickfilm „Cars“, vor ihm hat Rocco bereits den Playmobil-Bahnhof aufgebaut. Und ermahnt seinen Babysitter: „Hey, du musst weiterspielen!“ Der Kleine will beschäftigt werden.

Daan Löning hat sich bewusst dafür entschieden – für Plastikkitsch und Holzklötze, gegen Zahlenkolonnen und Aktendeckel. Während seine ehemaligen Kollegen nach der Bankenkrise weiter versuchen, die wackelige Karriereleiter hinaufzusteigen, baut Löning in aller Seelenruhe eine Eisenbahnstrecke aus Holz. Der fünfjährige Rocco wirft ein paar niedliche Hartplastiktiere um: „Zack!“

Gelernt hat Löning etwas ganz anderes. In London studierte er Mathematik. In Frankfurt verhandelte er mit Geschäftsführern und Gründern. Er bekam gutes Gehalt, Boni und eine leitende Position. Ihm gefielen die schicken Designeranzüge, aber nicht das Due Dillingence, also die Risikoprüfung vor einer Firmeninvestition. Löning verbrachte dann zwei Wochen im sogenannten Datenraum. Einem fensterlosen Lager, in dem die Akten mit Urkunden, Belegen und Kontoauszügen stehen. „Eine staubige Arbeit“, erinnert er sich.

Mit 25 Jahren kündigte er seinen Vertrag. „Weil ich etwas anderes wollte. Ich suchte das Abenteuer.“ Er wünschte sich eine sinnlichere Tätigkeit, keine Aktenberge mehr, sondern mit Menschen, die ihm direkt sagen konnten, ob er seinen Job gut oder schlecht erledigt. Als Student hatte er sich ein Zubrot verdient, als er auf die Kinder anderer Menschen aufpasste. „Ich erlebte die Freude der Kinder beim Spielen und die Erleichterung der Eltern, wenn sie mal wieder als Paar Zeit miteinander verbringen konnten.“

Daan Löning kam schließlich auf die Idee, einen Internetdienst einzurichten, als sich sein damaliger Chef zähneknirschend auf einer Party um 23 Uhr mit den Worten verabschiedete: „Tut mir leid. Unser Babysitter kann nur bis halb zwölf, und ich muss sie nach Hause fahren.“ Löning war überrascht, dass diese wichtige Dienstleistung in deutschen Großstädten so wenig professionell ausgeübt wurde. Das wollte er ändern.

Er verließ die Bank und machte sich Gedanken. Wie sieht das Zusammenleben heutzutage aus? „Die Konstellation der Familie in unserer modernen Gesellschaft erschien mir wichtig, aber der Alltag von jungen Eltern unverhältnismäßig schwierig.“ Daan Löning möchte selbst einmal Kinder haben. „Ich möchte aber nie ein Feierabendpapa sein, der für Frau und Kinder zu einem Fremden wird.“ Als er sich umschaute, bemerkte er, wie schwer das zu realisieren schien, weil Arbeitszeiten und Betreuungsmöglichkeiten nicht immer aufeinander abgestimmt sind. „Was machen Eltern, die im Schichtdienst arbeiten?“

Mit einem ehemaligen Arbeitskollegen gründete er eine deutschlandweite Onlinevermittlung für geprüfte Babysitter und Kinderbetreuer. Mitten in Berlin bezog „Kinderfee“ ein Büro. Startkapital bekamen sie von Business-Angels – Kapitalinvestoren, die nicht in der Firma mitarbeiten.

Das war vor vier Jahren. Seitdem prüfen die zwei ehemaligen Banker mit zehn Angestellten jede Bewerbung, bevor sie neue Profile freischalten. Jeder Anwärter muss 18 Jahre alt sein, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, ein Bankkonto und ein Handy haben – sowie eine Kopie des Personalausweises einreichen. Referenzen aus anderen Betreuerjobs sind gern gesehen.

Eltern können sich über das Profil der Babysitter ein von „Kinderfee“ geführtes Interview mit dem Kandidaten anhören. Vor der ersten Betreuungsstunde findet zusätzlich ein Kennenlerntermin mit den Eltern statt. Anschließend befragen die Mitarbeiter die Familien und erstellen Beurteilungen der Babysitter. 25 000 zertifizierte Profile hat der Onlinedienst auf diese Weise erstellt, nur fünf Prozent davon sind von Männern. Allein in Berlin hat „Kinderfee“ mehr als 2000 Babysitter im System, der Stundenlohn liegt hier bei zehn Euro und ist damit Durchschnitt. In Hamburg und München gibt es elf, manchmal sogar zwölf Euro, in Duisburg und Dresden nur 8,50 Euro.

Für zehn Euro pro Stunde spielt Daan Löning heute Abend Feuerwehrmann in Friedrichshain. Um den Kontakt zur „Straße“ nicht zu verlieren, wie er sagt. „Ich muss wissen, was bei den Familien aktuell wichtig ist.“ Der direkte Kontakt mit Menschen – ein Händedruck, ein Lachen, auch Kindergeschrei – hat ihm in der Bank gefehlt. „Die Arbeit mit Kindern und deren Familien ist nie langweilig und viel kreativer.“ Man wisse nie, was im nächsten Moment passiert.

Alarm im Kinderzimmer. „Eins, eins, zwei. Hallo! Feuerwehr!“ Rocco, inzwischen mit zerwühlter Frisur, schiebt einen Löschzug vor den Bauch seines Aufpassers, der auf dem Boden kniet. „Du musst jetzt Feuerwehrmann sein, Daan!“ Roccos Eltern, beide voll berufstätig, ließen vor ein paar Wochen den Kleinen zwischen drei Babysittern entscheiden. Zwei Frauen und Daan Löning. Rocco entschied: „Tante Daan soll wiederkommen.“

Auf dem bunten Ikea-Spielteppich liegen jetzt Tiere, Lokomotiven und Plastikfiguren kreuz und quer. „Jetzt wollen wir uns mal die Gute-Nacht-Geschichte aussuchen.“ Löning geht langsam zum schwierigen Teil über – das Zubettgehen. Rocco tut so, als hätte er es nicht gehört. Er baut gerade einen Turm aus Playmobil-Blumen. „Den muss ich Mama zeigen.“ Plötzlich fällt ihm ein, dass sie heute Abend gar nicht da ist, er hält kurz inne und sagt dann zu Daan: „Aber du bist ja da.“

Der Junge drückt seinen Babysitter. Dann geht sie weiter, die wilde Fahrt mit der Eisenbahn – bis alle Waggons aus den Schienen fliegen und Rocco mit seinem Betreuer schallend lacht. Nur wie soll Daan Löning dem aufgedrehten Kerl erst den Pyjama anziehen und ihn dann ins Bett bekommen? Lönings goldene Babysitterregel: „Hinschauen, lernen und versuchen, es genauso gut zu machen.“ Bei Roccos Eltern hat er sich das Einschlafritual abgeguckt. „Als die Tiere den Wald verließen“ ist das Lieblingsbuch des Jungen. Er liest Rocco erst daraus vor, wenn er im Bett liegt, dafür aber so lange, wie er möchte. Respektive wie lange der Kleine durchhält.

Nach zwei Seiten fallen zwei müde Kinderaugen zu. Daan Löning legt das Buch weg, geht auf Zehenspitzen über den knarrenden Holzboden und lehnt leise die Kinderzimmertür so an, dass kein Licht stört, aber ängstliche Rufe im Wohnzimmer zu hören wären. Er hat jetzt Zeit für seinen Lesestoff: Bewerbungen von Babysittern.

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