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Star-Architekt Shigeru Ban: Genialer Pappkamerad

Er erhielt gerade die höchste Auszeichnung für Architekten.  Shigeru Ban baut auch Häuser für Katastrophenopfer.

Der Mann ist zu gut, um wahr zu sein. Ein Stararchitekt ohne Starallüren, der keine Stararchitektur von der Stange macht, sondern mit jedem Projekt von Neuem verblüfft. Einer, der spektakuläre Villen baut und elegante Notunterkünfte, der von Katastrophengebiet zu Katastrophengebiet – rast wäre das falsche Wort, Shigeru Ban scheint eher zu hüpfen, von China nach Haiti nach Neuseeland... Egal, wie bedrückend und schwierig die Situation, es scheint den fröhlichen Japaner nur zu beflügeln. „Wo andere unüberwindbare Herausforderungen sehen mögen, sieht Ban einen Aufruf zum Handeln. Wo andere einen bewährten Pfad nehmen mögen, sieht er die Möglichkeit zur Innovation“, heißt es in der Begründung der Jury, die Ban dieses Jahr mit dem Pritzker-Preis auszeichnete, dem „Nobelpreis für Architektur“.

Aber er ist wahr, steht an diesem Abend im Berliner Pfefferberg: „Einer der aufregendsten Architekten der Gegenwart.“ („Spiegel“) Nicht mit Heiligenschein, sondern verschmitztem Lächeln im Gesicht und, fast das einzige Tribut ans Architektenklischee: schwarzem Outfit, das seine Mutter, eine Designerin, ihm entwirft. Als das Metropolitan Laboratorium von Aedes zu Bans Vortrag einlud, war dieser innerhalb weniger Stunden ausgebucht.

Architekten, erklärt er dem Berliner Publikum, bauen traditionell vor allem für die Privilegierten. „Geld und Macht sind unsichtbar, also sollen wir sie mit Monumenten sichtbar machen.“ Ban findet, das reicht nicht aus. Für ihn, der selber Boutiquen, Villen und Museen wie das Centre Pompidou in Metz baut (für das er von Kritikern viel Schelte erntete, das Publikum liebt’s), hat der Architekt eine gesellschaftliche Verantwortung.

Knapp 20 Jahre ist es her, dass der heute 57-Jährige Bilder des verheerenden Bürgerkriegs in Ruanda sah, dessen Opfer sich, obdachlos, frierend in Decken wickelten. Ohne einen Termin zu haben, marschierte Ban zur Uno in Genf und wurde als Berater angeheuert. Mit Sturheit und Pfiff gelangt der frühere Rugbyspieler von kleiner Gestalt meistens ans Ziel. Kurz darauf gründete er die NGO „Voluntary Architects’ Network“.

„Beautiful and comfortable“, so sein Mantra, müssen Unterkünfte gerade für Menschen in existenzieller Not sein. Mehr als ein Dach überm Kopf will er ihnen geben: ein Gefühl von Zuhause, egal wie primitiv. Als er sah, wie Hunderte von Menschen nach dem Tsunami in Japan in einer Turnhalle hausten, entwickelte er Stecksysteme, zum Befestigen von Vorhängen, so dass jede Familie, trotz aller Enge, eine Art Zimmer, ein Minimum an Privatsphäre hatte. Seine Konstruktionen, so Aedes-Direktorin Kristin Feireiss, „sind oft so verblüffend einfach, dass man denkt: Da könntest du doch selber drauf kommen! Kommst du aber nicht.“

„Totale Neugier und Engagement, unendliche Innovation, ein unfehlbares Auge und eine feine Sensibilität“, bescheinigt ihm die Jury des Pritzker-Preises, in der auch Kristin Feireiss sitzt. Der Architekt schafft Zuhause mit einfachen Mitteln und wenig Geld. Mit Schiffscontainern, aber vor allem mit Pappe. Ban ist ein Minimalist aus ästhetischen wie moralischen Gründen: Er schmeißt nicht gern was weg. Nicht mal die Papprollen, die sich in seinem Büro anhäuften. Also fing er an, damit zu bauen. Erst Möbel, dann ein eigenes Wochenendhaus, das noch nach Jahrzehnten so schön aussieht wie am ersten Tag: „Ich bin nicht der Typ, der Wochenenden genießt.“ Es war ein gebautes Experiment. Aber eigentlich ist das jeder Entwurf.

Die Attraktion der Papprolle liegt für Shigeru Ban auf der Hand. Sie ist billig und stabil und überall zu kriegen, in dick oder dünn, problemlos wasserdicht und feuerfest zu machen, sie lässt sich von Laien schnell auf- und wieder abbauen. Und am Ende recycelt man sie. Auf einem Pappstuhl sitzend, entwirft Shigeru Ban Wände aus Papprollen, Pfeiler, Dächer, Notunterkünfte, ja, ganze Kathedralen. Bauzeit: fünf Wochen. Seine Bauarbeiter sind in der Regel Studenten, Freiwillige und zukünftige Nutzer.

Papier und Pappe sind für Ban nichts anderes als Holz, dessen Geruch er schon als kleiner Junge liebte. Damals wollte er Schreiner werden. Kürzlich hat er in der Schweiz ein Bürogebäude als reine Holzkonstruktion entworfen, die ganz ohne Schrauben und Nägel auskommt.

Auch das warme Braun gefällt ihm an der Pappe. Seine andere Lieblingsfarbe ist das Weiß der Moderne. Von ihr ist Ban, der in Kalifornien und New York studierte, ebenso geprägt wie von der japanischen Tradition. So verschmilzt der Fan Mies van der Rohes Drinnen und Draußen, klappt Wände hoch, schiebt riesige Fensterfronten zur Seite. Die Leichtigkeit des wehenden Vorhangs seines Curtain Wall House ist ein schönes Bild für Bans lichtdurchlässige Bauten.

Der Nomade im Flugzeug

Der Japaner Shigeru Ban hat gerade den renommierten Pritzer-Preis erhalten.
Der Japaner Shigeru Ban hat gerade den renommierten Pritzer-Preis erhalten.

© AFP

Und er selber? Hat Wohnungen in Paris und Tokio. In beiden Städten sowie New York betreibt er auch ein Büro, mit insgesamt 40, 50 Mitarbeitern. Aber sein Zuhause, scherzt er gern, ist das Flugzeug. Der Architekt hat sich im Unterwegssein eingerichtet. Das Flugzeug ist sein Rückzugsort, an dem er prima schlafen, denken und zeichnen kann, ohne von E-Mails und Anrufen unterbrochen zu werden, dort guckt er sich Filme an, entspannt. Seine Adresse: erste Klasse, erste Reihe, am Gang. Schnell wieder weg.

Direkt vom Flughafen ist Ban zum Vortrag im Berliner Architekturzentrum Aedes gekommen, früh am nächsten Morgen fliegt er weiter nach Tokio. Für ein langes Gespräch ist keine Zeit, nur für ein paar Sätze beim Empfang, und später ein E-Mail-Interview, das Shigeru Ban so sparsam führt, wie er baut: Nur eine einzige Antwort ist länger als ein Satz.

Das hat er bei seinem New Yorker Lehrer John Hejduk gelernt, der Architektur als dreidimensionale Poesie begriff. Als Student erledigte Shigeru Ban nur widerwillig dessen Hausaufgabe, jede Woche ein paar Verse zu dichten – bis er, wie er erzählt, begriff, dass Lyrik und Architektur vieles gemeinsam haben: „Man braucht eine Struktur und einfache Worte, keine Schnörkel, keine Dekoration.“

Die Konstruktion spielt bei Shigeru Ban immer eine zentrale Rolle, ist Teil seiner Ästhetik. Nachdem er gesehen hatte, wie Menschen beim Erdbeben in Kobe von ihren Möbeln erschlagen wurden, fixierte er diese nicht nur, sondern nutzte die vorgefertigten Schränke und Regale gleich als tragende Wände. Fertig war ein günstiges „Furniture House“ . Sein jüngster Beitrag zum erschwinglichen Eigenheim: ein Fertighaus für die Einrichtungskette Muji.

Der für ihn wichtigste lebende Architekt ist Frei Otto, ein großer Erfinder auf dem Gebiet der Konstruktion. Mit dem Stuttgarter zusammen entwarf Ban den japanischen Pavillon auf der Expo in Hannover, ein lichtdurchflutetes Gewölbe aus Pappröhren, das ihn hierzulande bekannt machte. Es hätte noch schöner werden können, wären die deutschen Behörden nicht so ängstlich gewesen.

Für Ban macht es keinen Unterschied, ob ein Projekt groß oder klein, für Arm oder Reich ist. Der Anspruch ist derselbe: menschenfreundliche Architektur zu schaffen. Wohlfühlarchitektur im besten Sinne, technisch avanciert.

Shigeru Ban kann nicht die ganze Welt retten, mit seinen menschenwürdigen Notunterkünfte kann er nur ein Beispiel geben. „Kein Bett, keine Decke, kein Dach“, fasste die „Süddeutsche“ vor ein paar Tagen die Situation in Deutschland zusammen, wo Flüchtlinge unter unfassbaren Bedingungen hausen müssen. Es bräuchte viele Shigeru Bans.

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