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Wie ein Raumschiff. Das Kunsthaus ist wegen seiner eigensinnigen Architektur inzwischen weltbekannt.

© Getty Images

Steiermark: 48 Stunden in Graz

Ein Club im Schlossberg, Absturzkneipen mit Flohmarktcharme und ein Museum wie ein Alien. Die steirische Hauptstadt lebt auf.

10:00

Würde man von oben auf das Kunsthaus Graz mit seinen Acrylglasplatten und riesigen Noppen schauen, gewönne man den Eindruck, ein gigantisches inneres Organ hätte sich auf die Dächer der Stadt gelegt. Seine Schöpfer, die Architekten Peter Cook und Colin Friendly, nennen die blaue Blase ein freundliches Alien. Was sie damit erreichen wollten: der mehr als 750 Jahre alten Stadt mit knapp 300 000 Einwohnern ein junges Gesicht zu geben. Seit das Haus 2003 eingeweiht wurde, gilt die Hauptstadt der Steiermark als gestalterischer Vorreiter für ganz Europa. Die Unesco verlieh Graz deshalb den Titel „City of Design“. Wie groß der Umgestaltungswille ist, zeigt das Kunsthaus. Von innen wirkt das Museum für zeitgenössische Kunst noch schräger als von außen. Es gibt keine geraden Wände, keine weißen Hintergründe, kaum Fenster, es ist, als würden die Werke in einem Raumschiff präsentiert. Jedes Wort hallt deutlich hörbar durch die Säle, deshalb trauen sich nur Museumsführer und Kinder zu reden. In der obersten Etage gibt es eine Aussichtsplattform mit Blick auf den mittelalterlichen Schlossberg und im Erdgeschoss ein beliebtes Café, in dem lauter junge Leute sitzen, die man vorher gar nicht im Museum gesehen hat.

12:00

Das Kunsthaus hat schlagartig die linke, einst vernachlässigte Seite der Mur attraktiv gemacht. Vorher war dies der schäbige Teil der Stadt: Rotlichtviertel, Durchgangsverkehr, Sozialbauten. Nun ist die Mariahilferstraße, die am Kunsthaus beginnt, eine Fußgängerzone. Gleich am Anfang wirbt der Designladen „Kwirl“ (Mariahilferstr. 11) mit Objekten, die aus der Stadt stammen. Eine Napoleon-Figur, die sich ständig am Bauch kratzt und von Solarenergie angetrieben wird, oder eine Lampe, die in Pinguinform ihr Licht ausstrahlt. In Graz scheint der Spieltrieb ausgebrochen zu sein. Daneben gibt die Caritas im „Tag.werk“ (Mariahilferstr. 13) arbeitslosen Jugendlichen die Möglichkeit, Taschen und T-Shirts selbst zu gestalten und sie vor Ort zu verkaufen. Tipp für Sparer: Die Bäckerei „Pane“ (Mariahilferstr. 11) verkauft nur Brot vom Vortag.

Wie eine Stehparty. Fesche Aperitivtrinker vor der Kulisse des Schlossbergs.
Wie eine Stehparty. Fesche Aperitivtrinker vor der Kulisse des Schlossbergs.

© Lippitz

14:00

Ein Fünftel der Einwohner ist unter 20 Jahre alt. Und dieses erobert sich den öffentlichen Raum. Nicht nur, wenn es sich zielstrebig wie die Berliner auf Fahrrädern durch die Stadt klingelt. Pärchen haben ihr Liebesgelübde in Form von tausenden Schlössern am Mursteg hinterlassen. Von der Fußgängerbrücke schaut man direkt auf die Murinsel, ein Kunstobjekt des US-Amerikaners Vito Acconci. Die stählerne Nussschale mit Café und Mini-Amphitheater ruht im Strom der Mur und wird gerade renoviert. Mitte Dezember soll Wiedereröffnung sein. Die Haute-Volée von Graz feiert derweil woanders. Im schicken Kaufhaus Kastner & Öhler (Sackstr. 7) treffen sich die Sonnenbebrillten und Hübschgegelten zum Aperitiv auf der Dachterrasse. Selbst in der kühleren Jahreszeit geht das, denn Graz liegt unterhalb der Alpen und hat ein norditalienisches Klima. Wenn die Sonne nicht scheint, hilft der Heizpilz nach. Der DJ in wattierter Jacke spielt Elektromusik, das Publikum jongliert Aperol Spritz in den Händen, und manches Grinsepärchen schießt Selfies vor der Kulisse des Schlossberges. „Chin-chin, meine Liebe!“

15:00

Jetzt endlich hinauf auf den Berg, der die gesamte Stadt dominiert. Mit einem Schuss Alkohol im Blut fällt der Treppenaufstieg gleich viel leichter. Bereits im 12. Jahrhundert wurde mit einer Befestigung an dieser Stelle begonnen, Napoleon ließ das Kastell 1809 schleifen. Wahrzeichen des knapp 400 Meter hohen Berges sind der Uhren- und Glockenturm, beide Monumente verbindet eine Grünanlage. Der Blick geht hinüber zu den schneebedeckten Bergen oder zu den Pärchen, die am chinesischen Pavillon turteln. Wer Hand in Hand und ungestört spazieren möchte, geht einfach an der Rückseite des Berges die bewaldeten Spazierwege hinunter.

17:00

Etwas abseits vom Zentrum treffen sich junge Familien zu einem Kaffee im „Cafe Rosenhain“ (Panoramagasse 77). Auf einem sanften Hügel thront der zitronengelbe Pavillon. Vor ihm parken Kinderwagen und warten Liegestühle. Entweder den Espresso selbst nach draußen holen oder drinnen am Tisch Kuchen bestellen. Sonntags pilgern die Einheimischen zum Brunch, der so beliebt ist, dass Schilder an der Tür dann vor einem langsameren Service warnen.

20:00

Graz ist eine der wichtigsten Universitätsstädte des Landes. Die Karl-Franzens-Universität wurde 1585 gegründet und ist nach der in Wien die zweitälteste Österreichs, rund 30 000 junge Menschen studieren an ihr – und genießen die Vorteile eines lockeren Tagesablaufs. Rund um die Elisabethstraße befindet sich das Studentenviertel. Die angehenden Akademiker haben wenig Geld, deshalb gehen sie in sogenannte Bausatzlokale: Kneipen mit günstigem Bier und Pizzen, die man sich per Zettel zusammenstellt. Die „Posaune“ (Zinzendorfgasse 34) ist eines der ältesten dieser Lokale, besser gesagt: eine verrauchte Höhle, in der gesoffen wird. Eine rustikale Theke mit versifftem Holz verströmt Abgelebtheit, studentenwitzige Aufkleber („Paris Hilton ist Jungfrau“) senken das Niveau, und laute Musik treibt die Gespräche an. Diese Kneipe ist vermutlich einer der wenigen Orte der Stadt, wo Dostojewski- Doppelgänger (Philosophiestudent mit Bart und schwarzem Mantel) und Möchtegernrapper (BWL-Student mit Poloshirt und Basecap) noch einmal einträchtig zusammensitzen, bevor ihre Abschlüsse sie in entgegengesetzte soziale Sphären katapultieren.

Foodie-Feeling wie in Berliner Markthallen

Wie eine Nussschale. Die Murinsel verbindet beide Uferseiten der Stadt.
Wie eine Nussschale. Die Murinsel verbindet beide Uferseiten der Stadt.

© Mauritius

23:00

In Österreich ist der Austropop von Bands wie Wanda und Bilderbuch gerade schwer beliebt. Das „PPC“ (Project Popculture) hat deshalb eigene Indie- Pop-Nächte mit Österreich-Schwerpunkt im Programm. Ach geh, so ein Mainstream-Schmarrn! Nun gut, ziemlich ausgefallen ist die Location des „Dom im Berg“. Der Club liegt wirklich im Schlossberg, an einem Tunnel, der einmal quer hindurchführt. Gelegentlich finden in den kalten Katakomben Partys statt. Nichts für Menschen mit Platzangst und Raucher. Letztere dürfen nur auf den Gängen draußen paffen.

10:00

Frühstückskultur wird auch in der Steiermark gepflegt. Allerdings weniger in plüschigen Jugendstilhäusern als in modernen Coffeeshops. Morgens sitzen einsame Kreative mit Laptop und Zeitung im „Tribeka“ (Grieskai 2), durch die großen Fensterscheiben blicken sie auf die Mur und auf die Horden von Abiturienten, die gegen Mittag eintrudeln. Die fühlen sich bei Cappuccino und Muffin erwachsen. „Findest du die Sara fesch?“ – „Nee, irgendwie doof.“

11:00

Lena Hoschek ist die Vivienne Westwood des Landes. Die 35-jährige Modedesignerin hat ein Praktikum bei der Britin gemacht, kommt aus der Region und verknüpft nun den Glamour der 1950er Jahre mit körperbetonten modernen Schnitten. Stars wie Katy Perry sollen ihre Kundinnen sein, ihr Flagshipstore befindet sich in einer feinen Seitenstraße des Zentrums (Joanneumring 3). Der Laden erinnert an einen englischen Schneider, bis man bemerkt, dass am Bügel feuerrote Kleider mit Rüschenausschnitt hängen.

Wie ein Weltstar. Modeschöpferin Lena Hoschek ist das Aushängeschild der örtlichen Designszene. Sie zeigt ihre Mode auch auf der Berliner Fashion Week.
Wie ein Weltstar. Modeschöpferin Lena Hoschek ist das Aushängeschild der örtlichen Designszene. Sie zeigt ihre Mode auch auf der Berliner Fashion Week.

© imago

12:00

Tipp von Hoschek: Einfach den Ring hoch zum täglichen Markt auf den Kaiser-Josef-Platz laufen. Der ist nur einer von 16 städtischen Bauernmärkten, die frische Produkte von den 365 Landwirten rund um Graz anbieten. Auf jeden Fall die typischen Lebensmittel der Steiermark probieren: das Kürbiskernöl, den Kren, die beinahe blauen Käferbohnen und den Schilcher, einen Roséwein. „Nach dem Bummeln über den Platz trifft man sich bei den umliegenden Standl’n auf ein Glaserl und einen Happen“, empfiehlt Lena Hoschek. Zum Beispiel bei „Kaisers“, einem jungen Stand, der Barbecue Pork anbietet. Das ist Foodie-Feeling wie in Berliner Markthallen.

15:00

Bereits in den 1980er Jahren war Graz bei jungen Künstlern wegen des Avantgardefestivals „Steirischer Herbst“ beliebt. Die Neue Galerie im Joanneumsviertel führt die Tradition fort. Das Museum hat das Archiv des steirischen Aktionskünstlers und Malers Günter Brus aufgekauft. Er lebte in seinen jungen Jahren auch in West-Berlin, um 1970 einer Haftstrafe wegen „Herabwürdigung österreichischer Staatssymbole“ zu entfliehen. Mit anderen Künstlern hatte er in einem Wiener Hörsaal uriniert, sich erbrochen – und alles unter dem Absingen der Nationalhymne. Dafür sehen die fantasievollen Zeichnungen für seine Tochter, die in der Galerie zu sehen sind, gefälliger aus und die Theaterkostüme noch gruseliger.

19:00

Kürzlich entstaubt wurde das Traditionsrestaurant „Speisesaal“ (Grieskai 4) – gleich neben dem „Tribeka“. Die aufgelockerte Karte (Burger- und Falafelkreationen) richtet sich an ein jüngeres Publikum, daneben gibt es ehrgeizigere Gerichte wie marinierte Rehspieße (27 Euro). Die Inneneinrichtung erinnert an den Trend des Upcycling. Die Holzverkleidung ist dermaßen abgebeizt, als käme sie direkt vom Flohmarkt. Ein Teil der Decke ist extra unverputzt, um bloß nicht zu schick auszusehen.

22:00

Die besten Kneipen haben links der Mur geöffnet. Das „Lotte“ (Mariahilferstr. 21) verspricht Kreuzberg-Nostalgie. Die Wände sind vom Rauch vergilbt, Grafiken darauf gezeichnet, und alles ist in Schummerlicht gehüllt. Es gibt Jazz aus den Boxen, klares Murauer vom Fass und Studenten, die mit ihren Eltern über Kolonialismus in Afrika diskutieren. Prost! Und wieder Upcycling. Im „Blendend“ (Mariahilferstr. 24) trennen wacklige Sperrholzwände zwei Gasträume ab. Darin bieten die Macher das gesamte Hipster-Repertoire auf: kreideweiße Blockschrift auf Schiefertafeln, rostige Industrielampen an den Decken, ausgewaschene Saftflaschen als Gläser, ein breites Sortiment an Gin-Marken und auffallend viele Männerdutts bei den Kellnern. In diesem Lokal ist Graz genauso Neukölln wie Brooklyn – dicht an der Jugend der Welt.

Reisetipps für Graz

ANREISE

Von Berlin fliegt Air Berlin zwei Mal täglich nach Graz – allerdings mit kleinen Propellermaschinen. Preisbeispiel für Dezember: 165 Euro für Hin- und Rückflug. Mit größerem Jet und Umsteigen in München fliegt die Lufthansa dieselbe Strecke für zehn Euro mehr.

UNTERKUNFT
Auch in der Hotellerie hat sich das Erscheinungsbild der Stadt verjüngt. Am linken Murufer wurde vor einigen Jahren „Das Weitzer“ (Grieskai 12-16), ein Jugendstilbau, renoviert und zu einem modernen Viersternehotel umgebaut. Eine Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück kostet ab 80 Euro. Mehr Infos gibt es unter weitzerhotel.com

Einen Block weiter und etwas nobler ist das ehrwürdige „Hotel Wiesler“. Seit 1909 empfängt es Gäste, auch dieses Haus wurde gerade restauriert. Die Zimmer kosten ab 95 Euro pro Nacht. Im Erdgeschoss liegt das Restaurant „Speisesaal“ (siehe Text oben).

TOUREN
Sehr beliebt – auch bei Grazern – sind die kulinarischen Spaziergänge durch die Stadt. Am Samstag finden diese geführten Rundgänge vormittags um 10.30 Uhr statt, Dauer: vier Stunden, Kosten: 63 Euro pro Person inklusive Essen und Getränke. Zu buchen bei Graz Tourismus unter der Rufnummer +43-316-80750.

Die Graz Guides bieten darüber hinaus besondere Themenführungen an. Zum Beispiel die „Architekt(o)ur“ oder die „Literat(o)ur“ für zwei Stunden. Die Kosten sind direkt beim Anbieter zu erfragen. Zu buchen sind diese und noch mehr Touren unter grazguides.at.

INFOS

Mehr Informationen hat das örtliche Fremdenverkehrsamt auf seiner Website unter graztourismus.at zusammengestellt – oder direkt vor Ort in der Tourismusinformation vorbeigehen. Sie öffnet sieben Tage die Woche in der Herrengasse 16 im Landeszeughaus.

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