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Modell TelH78 am Charlottenburger Mierendorffplatz.

© Kai-Uwe Heinrich

Öffentliche Telefonanlagen: Berliner Zellkultur

Sie sind immer noch unter uns und werden trotzdem ständig übersehen: öffentliche Telefonanlagen. Eine kleine Würdigung.

Wer wissen will, welche Menschen heute eigentlich noch öffentliche Telefonzellen benutzen und um Himmels willen warum, muss vor allem: lange warten können. Etwa am Mehringdamm, Ecke Bergmannstraße. Der Kasten, weißgrau-magenta, Typ TelH90, steht prominent platziert auf dem Bürgersteig. Immerzu schlendern Passanten vorbei. Keiner hält an, keiner guckt auch nur in die Richtung. Nach 23 Minuten nähert sich ein Yorkshire-Dackel, hebts Hinterbein, pinkelt gegen die Rückwand. Der junge Mann, der nach über einer Stunde auf die Zelle zusteuert, wird auch bloß ein kapitalismuskritisches Plakat drankleben.

Je mehr sich das Mobiltelefon durchgesetzt hat, desto überflüssiger ist die Telefonzelle geworden. Zigtausende wurden in den vergangenen Jahren deutschlandweit abgebaut, aus der öffentlichen Wahrnehmung sind sie komplett verschwunden. Wirklich kurios ist, dass nicht einmal die Telekom sagen kann, wie viele Zellen heute überhaupt noch in Berlin stehen. Schon gar nicht, wie viele überdachte, rundum windgeschützte Fernsprechhäuschen geblieben sind: die alten, postgelben vom Typ TelH 78 oder die etwas moderneren Modelle TelH90 mit magentafarbenem Dach. Schätzungen gehen von insgesamt 2000 noch funktionierenden Apparaten aus. Wird eine Zelle so selten aufgesucht, dass alle Nutzer zusammengerechnet weniger als 50 Euro im Monat vertelefonieren, vermutet die Telekom, dass an dieser Stelle „der Wunsch der Bevölkerung nach einer Grundversorgung offensichtlich nicht mehr besteht“. Der Konzern darf die betreffende Gemeinde ansprechen und eine Stilllegung beantragen.

Der Zelle am Mehringdamm könnte es auch so ergehen. Auf dem silbergrauen Schutzkasten, in dem sich der eigentliche Apparat befindet, hat sich eine Staubschicht gebildet. Telefonbücher hängen hier schon lange nicht mehr. Immerhin mufft es nicht in der Zelle. Das könnte an der zersplitterten Seitenscheibe liegen, die Zugluft garantiert. „Nimm Rücksicht auf Wartende“, stand bis in die 1970er Jahre in roter Schrift auf Emailleschildern in den Zellen, und weiter: „Fasse dich kurz.“ Heute könnte man telefonieren, bis der Münzschlitz verstopft, es würde keiner meckern. Berlins Zellen wirken wie Relikte eines vergangenen Jahrhunderts. Studienobjekte für Großstadt-Archäologen. Allein das wohlige, sanft-dumpfe Geräusch beim Schließen der Tür. Hat man lange nicht gehört und tief drinnen vielleicht ein bisschen vermisst, so wie das Klacken des Kassettenrekorders beim Aufspringen, wenn das Band gewendet werden musste.

Privatsphäre inmitten der Öffentlichkeit haben die Zellen garantiert. Ein Mobiltelefon kann das nicht leisten, aber es scheint auch keiner danach zu verlangen. Die ausrangierten, bemalten, teils demolierten Häuschen stehen zu Hunderten auf einer Wiese nahe Potsdam, können seit Jahresende von Privatleuten gekauft werden. Die gelben Kästen kosten 450 Euro, die neueren Modelle etwas weniger. Wer einen haben will, muss den Transport selbst organisieren.

Zumindest eine gelbe Zelle gibt es noch im Berliner Stadtgebiet. Sie steht auf dem Mierendorffplatz in Charlottenburg. Ein funktionierender Apparat mit Hörer befindet sich nicht mehr darin, dafür haben haben Anwohner eine kleine Bibliothek eingerichtet. Jeder kann vorbeikommen und sich ein Buch ausleihen. Und bei Regen kann man sich jederzeit unterstellen, um darin mit seinem Handy zu telefonieren.

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