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Szenen der Schlacht. Die Bogenschützenschießen, die normannische Reiterei greift an.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

Teppich von Bayeux: Stoff für die Geschichtsbücher

Im Oktober 1066 gelang den Normannen die Invasion Englands. Damit jeder davon erfuhr, entstand der Teppich von Bayeux – einer der ersten Comicstrips der Welt.

Von Andreas Austilat

Eine der seltsamsten Szenen in dieser an seltsamen Szenen nicht eben armen Geschichte ist folgende: Während das gegnerische Heer anrückt, das Schicksal eines Königreichs auf dem Spiel steht, geraten zwei Soldaten beim Buddeln ihres Grabens in Streit und ziehen sich gegenseitig die Schippe über den Kopf. Eine Randnotiz, wenn überhaupt. Trotzdem hielt der Chronist sie für so wichtig, dass er sie der Nachwelt übermittelte.

Szenen wie diese haben dem Teppich von Bayeux den Ruf eingebracht, so etwas wie der erste Comicstrip der Weltgeschichte zu sein, 950 Jahre alt und durchgehend in Farbe. Wobei „Strip“ zu klein klingt für eines der großartigsten in dieser Vollständigkeit erhaltenen Werke des Mittelalters. Der „Streifen“ erzählt auf 70 Metern Länge und 50 Zentimetern Höhe in bunten Bildern, wie die Normannen England eroberten.

Die Handlung beginnt etwa im Jahre 1064 mit der Vorgeschichte und endet mit der Schlacht bei Hastings, in der Englands König Harald am 14. Oktober 1066 seine Brüder, die Krone und unter den Pfeilen und Schwertern seiner Feinde das eigene Leben verliert. Neuer König ist sein Kontrahent, Wilhelm, Herzog der Normandie. Es ist zugleich die bis heute letzte erfolgreiche Invasion Englands – mit nachhaltigen Folgen für Sprache und Kultur der britischen Inseln.

Wer dann den Teppich in Auftrag gab und wann er gefertigt wurde, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen unter Experten. Wahrscheinlich war es Odo, der Bruder des siegreichen Wilhelm. Denn obwohl er doch eher eine Randfigur war, taucht er auffällig oft mitten im Geschehen auf. Die Ereignisse dürften noch in guter Erinnerung gewesen sein. Vieles spricht dafür, dass sogar Augenzeugen am Teppich mitgewirkt haben.

Der erste Spielfilm der Weltgeschichte

Natürlich gefällt der Begriff „Comic Strip“ heutigen Historikern nicht. Es gibt auch keine Sprechblasen, keine Lautmalereien wie „smash“, „boom“, „seufz“. Der knappe lateinische Begleittext, der sich mit seinen Kommentaren zuweilen um die Figuren schmiegt, kommt allerdings einer Sprechblase schon recht nahe. Doch wer jemals den echten Teppich in dem eigens zu diesem Zweck eingerichteten Museum in Bayeux betrachtet, gewinnt den Eindruck, sogar noch etwas viel Moderneres zu sehen als einen Comic: nämlich den ersten, fast 1000 Jahre alten Spielfilm der Weltgeschichte.

In Bayeux, einer Kleinstadt in der Normandie im Nordwesten Frankreichs, wird der Teppich in einem dunklen Raum hinter Glas präsentiert. Einzige Lichtquelle sind die Spots in der Vitrine. Der Besucher schreitet die Bilder in einem 70 Meter langen Bogen ab, ein Audioguide gibt ihm das Tempo vor. Dabei entsteht tatsächlich die Illusion, nicht man selbst bewege sich, sondern die Handlung.

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Die entfaltet sich kontinuierlich von links nach rechts. Eine Szene greift in die andere, keine abrupten Orts- oder Zeitwechsel hemmen den Fluss, keine trennenden Balken müssen das Geschehen gliedern. Wenn überhaupt, übernehmen ins Bild gesetzte Architekturfragmente oder Bäume diese Funktion.

Zweimal gibt der unbekannte Künstler seinen gewohnten Duktus auf, dreht sich die Handlung von rechts nach links. Zum Beispiel, als Herzog Wilhelm von der Gefangennahme Haralds durch einen abtrünnigen normannischen Grafen erfährt. Er schickt seine Boten los, um Haralds Freilassung zu fordern. Und die reiten nach links, dorthin, wo Harald in Gewahrsam genommen wurde.

Das ist kein Fehler im Teppich, wie lange geargwöhnt wurde, sondern die angemessene Form der Darstellung zweier Ereignisse, die sich nahezu gleichzeitig abspielten. Das verleiht dem Ganzen eine besondere Dynamik.

Die Normannen frisierten sich einen Undercut

Es gibt keine vergleichbaren mittelalterlichen Darstellungen. Das Ganze dürfte eine ungeheure Wirkung auf die Zeitgenossen gehabt haben. Und für die Gegenwart hat der Teppich das Bild geprägt, das man sich heute von Angelsachsen und Normannen macht.

Wir wüssten sonst wenig über den Schiffsbau in der Normandie und noch weniger darüber, wie die Normannen im elften Jahrhundert ihr Haar trugen. Populär war offenbar eine Art Undercut, bei dem Seiten und Nacken ziemlich hoch ausrasiert wurden, während das Deckhaar lang blieb. Eine Szene zeigt Reiter, die mit bloßem Haupt zum Galopp übergehen, und im Wind weht ihr Haar nach hinten. Die frühen Engländer hingegen pflegten wohl anders als die Normannen ihre Gesichter nicht vollständig zu rasieren, stattdessen einen dünnen Schnauzbart zu tragen.

Der Teppich wurde nicht geknüpft, es handelt sich um einen bestickten Wandbehang aus Leinen, wobei nicht ganz klar ist, für welche Wand er jemals gemacht wurde. Vielleicht wurde er auch als Rolle transportiert und bei Bedarf vor dem Volk abgespult, wie ein Film eben. Er will keineswegs nur belehren, sondern ganz offensichtlich auch unterhalten.

Sexszenen, Skandale und gefallene Krieger

Skandal, ein Kleriker greift nach einer Hofdame. Am Bildrand karikiert ein nackter Mann seine Pose.
Skandal, ein Kleriker greift nach einer Hofdame. Am Bildrand karikiert ein nackter Mann seine Pose.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

Es gibt komische Elemente wie besagte Szene mit den streitenden Soldaten, oder einen Vogel, der an einer Kirchturmspitze pickt, während gleich daneben die Hand Gottes segnend über dem Kirchendach schwebt. Übrigens ist das gleichzeitig eine der wenigen religiösen Anspielungen, ebenfalls ungewöhnlich für jene frommen Zeiten, in denen übernatürliche Mächte als Erklärung für alles Mögliche herhalten mussten.

Es gibt drastische Sexszenen, gern versteckt in den Bordüren an den beiden Rändern. Nackte Paare fallen sich dort in der Nebenhandlung in die Arme. Ein nackter Mann mit erigiertem Glied ahmt die Pose eines Geistlichen nach, der in der Haupthandlung nach einer Hofdame zu greifen scheint. Die Historiker streiten bis heute über die richtige Interpretation, die Mehrheit geht von einem Skandal aus, dessen Beteiligte den Zeitgenossen derart bekannt waren, dass die Episode nicht weiter erklärt werden musste.

Es wird gesät, gepflügt, gejagt, gekocht, gebaut und geplündert. Soldaten zünden Frau und Kind das Dach über dem Kopf an, denen nur bleibt, hilflos zuzusehen. Es wird gestorben. Allein die epische Schlacht nimmt ein Drittel der Bildfolge ein, Pferde stürzen kopfüber, gefallene Krieger werden verstümmelt und ausgeplündert, nicht einmal das letzte Hemd bleibt ihnen. Das alles hat die mittelalterliche Welt noch nicht gesehen. Oder aber, der Teppich ist einfach der einzig übrig gebliebene von vielen ähnlichen Werken. Tatsächlich sind beinahe 1000 Jahre alte Stoffe heute sehr selten. Ein vergleichbar großes Objekt erst recht.

Die eigentliche Handlung ist keineswegs schnell erzählt. Allein die Vorgeschichte nimmt breiten Raum ein. Die Zeiten sind wüst, der Verdacht, dass sich die äußerst erfolgreiche Fernseh-Saga „Game of Thrones“ im elften Jahrhundert reichlich bedient haben könnte, ist wohlbegründet. Da bringen Frauen ihre Söhne im Ringen um Macht und Einfluss in Position, wird gemeuchelt und intrigiert. In den Annalen jenes Jahrhunderts tauchen Möchtegernherrscher auf und wieder unter, Männer mit Namen wie Ethelred der Ratlose oder Harald Hasenfuß.

Drei Männer kämpfen um den Thron

Vier Personen sind für die Ereignisse, die zur Schlacht bei Hastings führen, wichtig, drei davon tauchen im Teppich auf. Da ist Englands alternder König Edward der Bekenner, den die Zeitgenossen als überaus keusch beschreiben, vielleicht hatte er deshalb keine leiblichen Nachkommen. Schon zu Edwards Lebenszeit ist klar, nach des Alten Tod wird der Thron vakant sein. Drei Männer bringen sich rechtzeitig in Stellung.

Zum einen Harald Godwinson, ein blonder Recke von ursprünglich niederem Adel, dessen Vater zum mächtigsten Grafen Englands aufstieg. Dieser Harald muss gegen eine ganze Armada Hofschranzen und Neider bestehen, will er den Thron erringen. Unter den Konkurrenten ist sein eigener Bruder Toste, der sich Norwegens König Harald Hardrade andient. Hardrade bedeutet „der Harte“ und der Name ist Programm. Der harte Harald ist praktisch seit 20 Jahren die meiste Zeit als Krieger unterwegs. Und wenn der alte Edward nicht mehr ist, will er Englands Thron.

Der Eid. Harald leistet ihn vor Wilhelm auf zwei heilige Schreine.
Der Eid. Harald leistet ihn vor Wilhelm auf zwei heilige Schreine.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

Und schließlich Wilhelm, Herzog der Normandie. Der normannische Wilhelm ist mindestens so hart wie die beiden anderen. Er stammt aus einem außerehelichen Verhältnis, was ihm den Namen Wilhelm der Bastard einbringt. Früh verliert er den Vater, seine Vormunde werden ermordet – erschlagen der eine, vergiftet der andere. Als Kind wird er versteckt, um nicht gleichfalls zu sterben, als Jugendlicher muss er sich in mörderischen Intrigen bewähren, als Erwachsener mächtige Feinde bezwingen, bis er sein Herzogtum einigermaßen unter Kontrolle hat.

Was dann geschah, darüber gibt es naturgemäß mehrere Versionen. Der Teppich erzählt diese: Englands Harald Godwinson verschlägt es an die normannische Küste, wo er beim Verlassen seines gestrandeten Schiffes – die Hosen sind noch hochgekrempelt – von einem missgünstigen Grafen gefangen genommen und vom normannischen Wilhelm wieder befreit wird. Harald und Wilhelm ziehen gemeinsam gegen den abtrünnigen Grafen, und Harald leistet auf Wilhelm den Treueeid. Was bedeutet: Er ist von nun an eigentlich raus aus dem Rennen um den Thron von England.

Was der Teppich verschweigt

Als der alte Edward stirbt, wird Harald offenkundig eidbrüchig und setzt sich selbst auf den Thron. Was sogar höheren Mächten missfällt: Eine Bildfolge zeigt das Erscheinen des Halleyschen Kometen, Haralds Thron wird im Bild zum Wackelstuhl. Jetzt schickt sich Wilhelm an, eine Flotte bauen zu lassen – der Teppich widmet dem Bau der Flotte, ihrer Ausrüstung und der Überfahrt gut zehn seiner 70 Meter – den Kanal zu überqueren und Harald in der Schlacht zu besiegen. Diese etwas verkürzte Version deutet auf den normannischen Urheber des Teppichs: Hier schreibt der Sieger Geschichte.

Das Halleysche Komet erscheint, Haralds Thron wankt.
Das Halleysche Komet erscheint, Haralds Thron wankt.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

Was der Teppich verschweigt: Bevor sich Harald dem normannischen Wilhelm bei Hastings zur Schlacht stellen kann, landet der Norweger Harald der Harte im Norden des englischen Königreichs. Harald zieht ihm entgegen, besiegt die Norweger in der Schlacht bei Stamford Bridge, tötet ihren König und seinen Bruder Toste. Mit 300 Schiffen sollen die Norweger gekommen sein, nur 24 reichen aus, die Überlebenden zurück nach Norwegen zu bringen.

Mit seiner siegreichen, jedoch dezimierten und wohl auch erschöpften Truppe zieht Harald nun an die Südküste Englands, wo inzwischen Wilhelm an Land gegangen ist. Möglicherweise sind Harald die Bogenschützen ausgegangen, was erklären würde, warum auf dem Teppich zwar ganze Scharen normannischer, aber keine angelsächsischen Bogenschützen zu sehen sind.

Tatsächlich wird berichtet, dass in der Schlacht den normannischen Bogenschützen vorübergehend die Munition ausging. Es war nämlich üblich, einfach die Pfeile des Feindes einzusammeln und zurückzuschießen. Aber da kamen keine, sodass Wilhelm während der Schlacht Leute losschicken musste, neue Pfeile holen.

Harald ist tot, die Engländer fliehen

Haralds Heer besteht aus den sogenannten Huskarls, die sich in der Bewaffnung und Rüstung von den Normannen kaum unterscheiden, was den Betrachter verwirren kann. Und dem Fyrd, dem Aufgebot des Volkes, mit einfacherer Bewaffnung. Der Teppich zeigt eine Gruppe von ihnen, die sich auf einem Hügel dem Ansturm der Normannen erwehrt.

Das Ende. Ein Pfeil dringt Englands König Harald, zu erkennen am Schnauzbart, ins Auge.
Das Ende. Ein Pfeil dringt Englands König Harald, zu erkennen am Schnauzbart, ins Auge.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

Die Normannen kämpfen zu Pferde, die Engländer zu Fuß, die Schlacht, die einen Tag dauert, wogt hin und her. Es muss eine Situation gegeben haben, in der der Sieg der Normannen auf Messers Schneide stand, als nämlich das Gerücht aufkam, ihr Anführer sei tot. Der Teppich zeigt, wie Wilhelm seinen Helm hochklappt, um der eigenen Truppe zu demonstrieren, er sei noch da.

Der untere Rand des Fries füllt sich derweil mit verstümmelten Toten. „Hier fallen gleichermaßen Engländer und Franzosen in der Schlacht“, heißt es lapidar im Begleittext. Ebenso nüchtern wird der Tod zweier englischer Anführer kommentiert: „Hier fallen Leofwyn und Gyrth, die Brüder König Haralds.“

Das Ende kommt, als erst ein Pfeil König Harald ins Auge trifft, dann ein Reiter ihn mit dem Schwert niedermacht: „Hier ist König Harald getötet worden. Und die Engländer ergriffen die Flucht“, lautet der dazugehörige Text. Mit der Auflösung des englischen Heeres endet der Teppich. Wahrscheinlich dürfte er im Original um einiges länger gewesen sein. Die ausgefranste Bordüre legt das nahe. Ebenso der Inhalt: Es fehlt der Triumph Wilhelms.

So viel Fairness in einem Propagandawerk ist ungewöhnlich

Die Normannen kommen, ihre Pferde haben sie an Bord.
Die Normannen kommen, ihre Pferde haben sie an Bord.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

So ganz ist bis heute nicht geklärt, wer den Teppich in Auftrag gab. Wie eingangs angedeutet, spricht vieles für Wilhelms Bruder Odo. Nicht nur, dass er die Rolle eines wichtigen Protagonisten einnimmt, so sitzt nicht Wilhelm, sondern er vor der Schlacht in der Mitte der Festtafel. Es sind auch zwei seiner Gefolgsleute, die zu den wenigen namentlich genannten Personen auf dem Teppich gehören.

Außerdem war Odo Bischof von Bayeux, was wiederum erklären würde, wie der Teppich schließlich dorthin gelangte. Und damit stünde auch das Herstellungsdatum fest: Irgendwann zwischen 1066 und 1082, dem Jahr, als Odo bei seinem Bruder in Ungnade fiel und im Kerker landete. Als wahrscheinlich gelten die 1070er Jahre, als es noch jede Menge Augenzeugen der Schlacht gab.

Auffällig ist, dass der Teppich zwar eindeutig ein Produkt der Sieger war, er deren Rolle aber keineswegs besonders würdigt. Keine göttliche Macht wird bemüht, die dem Sieg ihren Segen gibt, der wird allein mit harter Arbeit erstritten. Die Verlierer kämpfen ehrenvoll, beide Seiten leiden, es sind Normannen, die plündern und brandschatzen. So viel Fairness in einem Propagandawerk ist nicht nur für das Mittelalter ungewöhnlich.

Warum das so ist, dazu gibt es verschiedene Theorien, etwa die, dass zwar die Auftraggeber die normannischen Sieger waren, die Ausführenden aber Angelsachsen, die ihre Lesart gewissermaßen auf subtile Weise in den Teppich schmuggelten.

Vom Kontinent kommt nichts Gutes

Wahrscheinlicher ist, dass es zur normannischen Staatsräson so kurz nach dem Sieg gehörte, den Angelsachsen zwar klarzumachen, die Unterlegenen zu sein, es aber nicht opportun erschien, sie unnötig zu provozieren. Dem Teppich kam dabei möglicherweise eine besondere Rolle zu.

Schließlich musste ja einer des Lesens unkundigen Bevölkerung irgendwie vermittelt werden, was sich in Hastings zugetragen hatte. Die Schlacht selbst, beide Seiten dürften nicht mehr als jeweils 7500 Mann aufgeboten haben, war ein überschaubares Ereignis. Die Folgen würden jedoch spürbar werden. Immerhin kam ein Großteil des angelsächsischen Adels ums Leben.

Es ging also darum, in einer Zeit ohne Fernsehen und Radio, ohne Bildberichterstatter und Internet, dem Volk zu erklären, wer gewonnen hatte und warum es gerecht war, dass nun neue Herren regierten. Besondere Bedeutung dürfte dabei jener Szene zukommen, in der Harald einen Eid auf Wilhelm leistete. Sie stempelte Harald zum Eidbrecher.

Wenn das die Aufgabe des Teppichs gewesen sein sollte, konnte er sie nicht sonderlich gut erfüllen. Waren die Angelsachsen bis dahin an die Existenz kleiner selbstständiger Grundbesitzer und freier Bauern gewöhnt, lernten sie jetzt mit den Normannen das französische Feudalsystem kennen. Französisch wurde die Sprache der Herren, angelsächsisch blieb die des Volkes, eine Entwicklung, die sich noch heute im modernen Englisch linguistisch nachvollziehen lässt.

Und irgendwie scheint auch die Sorge in die englischen Gene gelangt zu sein, vom Kontinent komme nichts Gutes. Die Angelsachsen seinerzeit sahen sich für die nächsten 150 Jahre als die Unterdrückten, eine Stimmung, die sich in englischen Volkssagen spiegelt. Etwa in den Balladen um Robin Hood, einem angelsächsischen Streiter gegen normannisches Unrecht.

Gegen Robin Hood kam nicht mal der älteste Comicstrip der Welt an.

Der Teppich: die wichtigsten Fakten auf einen Blick

Die epische Schlacht nimmt ein Drittel der Bildfolge ein.
Die epische Schlacht nimmt ein Drittel der Bildfolge ein.

© Abbildung: Avec autorisation spéciale de la Ville de Bayeux, wikimedia

HERKUNFT

Der Teppich ist aus sechs Leinenbahnen zusammengesetzt und mit farbigem Wollgarn bestickt worden. Wer sich wo diese Arbeit machte, konnte nie geklärt werden. Manche halten Canterbury in der Grafschaft Kent für wahrscheinlich, zumal der mutmaßliche Auftraggeber, Wilhelms Bruder Odo, den Titel „Graf von Kent“ bekam. Allerdings war er auch Bischof von Bayeux, dessen Dom 1077 geweiht wurde. Um diese Zeit dürfte der Teppich entstanden sein. Ganz sicher befindet er sich seit 1476 in Bayeux, als ihn eine Inventarliste als Teil des Kirchenschatzes aufführte.

RETTUNG
1792 wurden Bayeuxs Bürger aufgefordert, für die französische Revolution zu kämpfen. Eiferer holten den Teppich aus dem Dom, um ihn als Plane für die bereitgestellten Militärwagen zu verwenden. Lambert Leonard-Forestier, Rechtsanwalt und Mitglied im Stadtrat, protestierte und versteckte den Schatz in seiner Kanzlei.

NAPOLEON

1803 forderte Paris die Auslieferung des Teppichs. Napoleon sei an dem Stück interessiert, das die erfolgreiche Landung in England zeige. Vielleicht suchte er Inspiration – und fand sie nicht. Der Teppich wurde zurückgeschickt.

SICHERHEITSKOPIE

1818 erhielt ein englischer Zeichner den Auftrag, den Teppich abzumalen. Seit 1895 hängt eine gestickte Kopie in Originalgröße im Stadtmuseum im britischen Ort Reading.

DIE NAZIS
Bei Kriegsausbruch im September 1939 wurde der Teppich in einen Bunker gebracht. Dort verlangten Vertreter der deutschen Besatzungsmacht mehrfach, ihn zu sehen. Nach Aufgabe der eigenen Invasionspläne erlosch das Interesse. Als die Alliierten 1944 in der Normandie landeten und die Kämpfe sich Bayeux näherten, brachte man den Teppich nach Paris in Sicherheit. Nach dem Krieg kehrte er zurück und ist heute in einem eigens dafür eingerichteten

Museum zu besichtigen: bayeuxmuseum.com

Den gesamten Teppich zum Durchscrollen finden Sie hier.

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