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Digitale Kindheit

© Illustration: Luisa El Bouyahyani, Carolin Först, Andree Volkmann

Väter, Söhne und das Internet: Die Revolution erzieht ihre Kinder

Beruflich sind sie immer online, sie sind IT-Vorreiter, arbeiten bei Google oder Zalando. Hier erzählen sie, wie sie es mit dem eigenen Nachwuchs halten.

Von Julia Prosinger

Natürlich könnte ich die Google-Protokolle checken und wüsste, ob meine drei Söhne, 13, 13, 11, sich an die Absprache halten: eine Stunde Daddeln am Tag. Die spielen dann „Subway Surfers“ oder „Clash of Clans“. Manchmal entdecke ich auch morgens, dass sie nachts spät auf Whatsapp aktiv waren.

Das ist sozial enorm wichtig, die ganze Hockeymannschaft tauscht sich so aus. Der Jüngste hat noch nicht kapiert, wie man die Überwachungsfunktion ausschaltet. Facebook ist für sie ein Alte-Leute-Sport, wahrscheinlich weil ich da bin. Und eine SMS, so etwas Formales, ist schon zu viel verlangt.

Ich bin kein guter Sanktionator. Aber ich bin auch kein großes Vorbild, wenn ich selbst zur Schlafenszeit noch kurz auf kicker.de gehe. Nur ganz selten verschwinden Handys in der Schublade, oder ich stelle das W-Lan im Haus aus. Denn ich kann schon beobachten, dass sie von ein paar Stunden vor dem Laptop ganz kirre werden. Da hilft es, ein Eis essen zu gehen. Bei den Mahlzeiten gilt: Mütze ab und Handy aus.

Ich will, dass meine Söhne lernen, selbstständig mit den glasbeschichteten Gerätschaften umzugehen. Immerhin ist die digitale Transformation der bedeutendste gesellschaftliche Prozess unserer Zeit, ich will ihnen nichts vorenthalten. Wichtig sind die Alternativen: Wenn es nichts Spannenderes gibt, hänge ich eben vor den Devices.

Joel Berger, 50, Industry Leader Media & Entertainment bei Google

Johnny Haeusler über digitale Erziehung

Digitale Kindheit
Digitale Kindheit

© Illustration: Luisa El Bouyahyani, Carolin Först, Andree Volkmann

Wir mussten erst lernen, unsere Kinder nicht willkürlich im Spiel zu unterbrechen, sondern sie noch die eine Runde, das nächste Level fertig spielen zu lassen. Heute sind unsere Söhne 13 und 16 Jahre alt und digital gesehen aus dem Gröbsten raus.

Es war nicht immer einfach: Der Reiz dieser blinkenden Medien ist wahnsinnig groß, und die Jungs sind mit der Erfindung des Smartphones aufgewachsen. Wir hängen außerdem selber „an der Nadel“, wenn wir auf allen Kanälen Nachrichten checken. Und weil bei mir aus beruflichen Gründen viele Geräte rumliegen, Spiele, die ich teste, war diese Welt immer präsent.

Der 13-Jährige hat mir irgendwann erklärt, dass es für ihn wie Meditation ist, konzentriert und allein ein Spiel zu spielen, nachdem er den ganzen Tag umgeben von den Geräuschen von 30 Kindern in einem Raum stillsitzen musste. Das verstehe ich.

Kein Schaden bei blutigen Spielen

Auch dass er echt schlecht gelaunt ist, wenn er ein Turnier vermasselt hat. „League of Legends“ zum Beispiel ist ein Mannschaftswettkampf, da geht es um Schnelligkeit, Teamgeist. Er ist dann drauf wie nach einem verlorenen Fußballspiel. Für mich ist das E-Sport.

Ich sorge mich bei älteren Kindern und Jugendlichen wenig, dass ein blutiges Spiel Schaden hinterlässt. Seit die Kinder etwa zehn waren, können sie abstrahieren und Wirklichkeit von Fiktion unterscheiden. Es geht bei Games genauso wie bei Filmen ja nicht nur um die reine Darstellung, sondern auch um die Moral und die Story.

Wir spielen auch viel gemeinsam: „Assassin’s Creed“ oder „The Witcher“. Das füllt Abende. Einer spielt, die anderen fiebern mit, feuern an. Dagegen ist „Risiko“ echt langweilig. Solange die Jungs johlend vor der Konsole sitzen, haben sie zumindest gemeinsam Spaß, das ist okay. Und dass man mit 16 vielleicht auch einfach mal ein bisschen rumballern will in einem Spiel, auch.

Nachholbedarf bei Lehrern

Es ist lächerlich zu glauben, dass die digitale Welt irgendwann wieder verschwindet. Eltern, die sie negieren, riskieren, dass sich ihre Kinder, wenn sie beispielsweise im Netz gemobbt werden, nicht an sie wenden. Und während wir beim Thema Medienkompetenz immer über die Kinder reden, sehe ich auch bei Lehrern großen Nachholbedarf.

Gerade wurde der Klasse meines Sohnes verboten, die Smartphones mit auf Klassenreise zu nehmen. Das halte ich für sehr kurzsichtig. Da ist ihre Musik drauf, ihre Kamera, damit halten sie Kontakt zu Freunden. Das kann man doof finden, aber das ist die Welt dieser Kinder.

Unsere Jungs waren sicher genervt davon, dass wir so viel Ahnung von digitalen Medien haben. Das nimmt der Sache die Heimlichkeit. Überwachen tun wir sie nicht. Ich habe meinen Sohn ein einziges Mal gebeten, mir seine aktuelle Location über Whatsapp zu schicken, die GPS-Daten.

Wir müssen Jugendlichen auch digitale Freiräume lassen, denn ansonsten gibt es ja kaum noch Orte für Heranwachsende: Jugendzentren haben zugemacht, alles ist schweineteuer, und überall wachen Erwachsene über sie. Da sollten wir ihnen nicht auch noch eine elektronische Fußfessel umbinden.

Johnny Haeusler, 51, ist Autor des Elternratgebers „Netzgemüse“ und des Blogs „Spreeblick“ sowie Gründer der Digitalkonferenz re:publica und seiner Jugendversion Tincon im Mai 2016

Wie ein App-Erfinder seinen Sohn vom Smartphone fernhält

Digitale Kindheit
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© Illustration: Luisa El Bouyahyani, Carolin Först, Andree Volkmann

Wir haben uns gerade wieder einen stationären Computer und ein Festnetz zugelegt – technisch gesehen ein echter Rückschritt. Das ist unsere Entschleunigung, so wie andere sich ein Haus in der Uckermark kaufen. Handys, Tablets und Laptops bleiben ab jetzt nachmittags im Auto oder in der Tasche. Wenn unser fünfjähriger Sohn schläft, holen wir die wieder raus, zum Arbeiten.

Es ist neurowissenschaftlich erwiesen, dass zu viel Zeit vor digitalen Medien dem Gehirn schadet, unkonzentrierter und weniger kreativ macht. Intuitiv denke ich: lieber Baumhaus als Angry Birds! Unser Sohn soll sich austoben, seine körperlichen Grenzen testen, die Großstadt erkunden.

Deshalb darf er nur eine halbe Stunde pro Woche vor Bildschirmen verbringen. Auf Reisen weichen wir diese Regel auf, lange Flüge wären sonst viel zu langweilig. Elliots Video-Tag ist Montag, sein Kanal heißt Youtube.

Mit sechs Monaten auf Skype

Weil alle unsere Geräte passwortgeschützt sind, setzten wir ihn einmal davor, dann navigiert er sich 30 Minuten allein durch die „Lach- und Sachgeschichten“ von der Sendung mit der Maus und Tim-&-Struppi-Cartoons. Manchmal kommt vor solchen Kindersendungen Werbung für brutale Hollywoodfilme. Zum Glück klickt er die selbstständig weg.

Dennoch ist unser Sohn früh mit den digitalen Medien konfrontiert gewesen. Er hat mich mit sechs Monaten schon auf Skype erkannt und mir später diktiert: „Gib mal bei Google ein: Feuerwehrspiel-App für ein dreijähriges Kind, das Deutsch spricht.“ Neulich wollte er mich überzeugen, dass er nun sein eigenes Smartphone brauche. Ich habe geantwortet: „Wenn du selbst Geld verdienst.“ „Wie soll ich denn ohne Handy Geld verdienen?“, fragte er.

Hans Raffauf, 30, hat neben weiteren Start-ups zusammen mit seiner Frau Ida Tin die Fruchtbarkeitsapp „Clue“ erfunden

Ein Zalando-Vater packt aus

Digitale Kindheit
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© Illustration: Luisa El Bouyahyani, Carolin Först, Andree Volkmann

Mein Sohn hat mit vier angefangen, auf meinem Handy zu spielen, um längere Flüge und Fahrten während unser Weltreise zu überbrücken. Das habe ich nach unserer Rückkehr stark eingeschränkt. Auch aus rein pragmatischen Gründen – ich brauche das Mobiltelefon ja selbst.

Heute ist er acht und in seiner Klasse besitzen viele, so wie er, tragbare Konsolen, auf denen sie Jump-’n’-Run- oder Rennspiele wie „Mario Kart“ spielen. Die Schulleitung sorgt dafür, dass gewaltverherrlichende Spiele vermieden werden.

Ich habe eine Stunde Screen-Zeit am Tag festgelegt. Sobald mein Sohn allein im Internet surft, werde ich Kindersicherungen einrichten: Zunächst mithilfe einer White List, die nur bestimmte Seiten zugänglich macht, später mit komplexeren Diensten, die mehr Freiheit erlauben, ihn aber vor pornografischen oder traumatisierenden Inhalten schützen können. Es hilft, dass ich durch meinen Beruf die technischen Möglichkeiten und Grenzen einschätzen kann.

Notruf per Smartwatch

Auf seinem Schulweg muss mein Sohn an einem größeren Park vorbei. Ich habe mich daher an einer Crowdfunding-Initiative beteiligt, die eine Smartwatch entwickeln will, mit der mein Sohn einen standortbasierten Notruf absetzen oder mich anrufen könnte. Ich bin gegen Smartphones in seinem Alter, das würde ihn zu sehr ablenken.

Auf dem iPad habe ich ihm auch verschiedene Lernapps angeboten, die fand er zum Teil gut. Nur die App, mit der er Programmieren lernt, ist ein wenig zu schwer. Wahrscheinlich ist er dafür noch zu jung.

Rodrigue Schäfer, 40, ist Head of Engineering vom Online-Shop Zalando

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