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Max Klante

© Ullstein (2), Willy Römer/bpk/Kunstbibliothek

Wettbetrüger Max Klante: Der Aufstieg und Fall eines Volksbeglückers

200 Prozent Dividende versprach Max Klante seinen Kunden, und die glaubten an ihn. Selbst als er in Haft saß. Die Geschichte eines Geschäftsmodells.

Der 11. September 1921 ist ein Samstag. Früh am Morgen verlässt der Kaufmann Max Klein seine Villa in Karlshorst und fährt zum Schlesischen Bahnhof. Dort setzt er Frau und Sohn in den Zug nach Breslau und steuert seine Horch-Limousine einmal quer durch Berlin zum Sanatorium Westend. Max Klein bezahlt für eine Woche im Voraus und legt Wert darauf, nicht gestört zu werden, denn er leide an Tuberkulose und benötige absolute Ruhe. Am nächsten Tag aber kommt Besuch, und der lässt sich nicht abweisen. Es wird nichts mit der absoluten Ruhe.

Wieder geht es quer durch Berlin. Diesmal mit der grünen Minna ins Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Hinten drin zwischen den Schupos sitzt nicht der Kaufmann Max Klein. Sondern der Wettbetrüger Max Klante. Der Mann, der sich selbst „Volksbeglücker“ nennt und dem gut 80 000 Menschen ihre Ersparnisse anvertraut haben. Jedes Schulkind hat sein Bild schon in der Zeitung gesehen. Den kleinen Mann, der so gern weiße Anzüge trägt und mit Geld um sich wirft. Klante hat mit Pferdewetten sein Glück gemacht und ein Unternehmen aufgebaut: Der Klante-Konzern wirbt mit märchenhaften Dividenden um seine Kunden, er nennt sie wahlweise „Volksgenossen“ und „Konzernmitglieder“.

An diesem Wochenende in Westend aber bricht alles über ihm zusammen. Hat er wirklich geglaubt, er könnte unter falschem Namen in einem Sanatorium untertauchen? Max Klante ist ein Kind seiner Zeit. Einer, wie ihn nur diese wirren Jahre hervorbringen können, als der einfache Mann die Welt ohne Kaiser nicht mehr versteht und sich schwertut mit den neuen Freiheiten. Klante macht sich zu ihrem Anwalt, mit Aufrufen wie diesem: „Alle vom Schicksal Benachteiligten fordere ich auf, ihre Rechte wahrzunehmen! Alle von der Regierung Vergessenen will ich zusammenfassen! Sie sollen die gleichen Chancen haben wie die Herren des Großkapitals!“ Klante hat ein Talent dafür, Vertrauen zu wecken, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und den Glauben an das große Geld.

Berlin ist Paradies für Wettnarren

Die Geschichte des Max Klante beginnt in der schlesischen Kleinstadt Grünberg. Nach der Volksschule verdingt er sich schon als Elfjähriger in der Bürstenbinderei seines Onkels. Die Fabrik geht pleite, Klante zieht weiter nach Breslau und schlägt sich mit dem Verkauf von Zeitungen durch. Die nächtlichen Touren durch Cafés und Kneipen zeichnen ihn für sein Leben. Klante erkrankt an Tuberkulose. Er macht sich als Fotograf selbstständig, doch den Großteil seiner Zeit verbringt er auf der Pferderennbahn. Klante beginnt zu wetten, er hat ein gutes Händchen und ist bald gefragt als „Tipster“. So nennt man Leute, die über die Rennbahn schlendern und gegen Gewinnbeteiligung den unbedarften, aber weitgehend ahnungslosen Herrschaften einflüstern, auf welche Pferde sie ihr Geld setzen sollen.

Das inoffizielle Geschäft mit den Pferdewetten läuft sehr viel besser als das offizielle mit den Bildern. Als Klante 1919 seinen Wohnort von Breslau nach Berlin verlegt, beträgt die Jahressteuerschuld für sein Gewerbe eine ganze Mark.

Mit vier Rennbahnen ist Berlin ein Paradies für den Wett- und Pferdenarren Klante. Eher selten verbringt er seine Zeit in Mariendorf und Ruhleben, schon öfter in Karlshorst, aber am häufigsten zieht es ihn nach Hoppegarten, auf die mondäne Galopprennbahn im Grünen ein paar Kilometer östlich der Stadtgrenze. Hoppegarten ist das Zentrum des deutschen Galoppsports und auch eine gesellschaftliche Institution. Klante ist ein Mann von bescheidener Schulbildung, aber er kommt an in den höheren Kreisen. Und seine Tipps sind gut. So gut, dass er sich von den Provisionen und Wettgewinnen ein eigenes Rennpferd kaufen kann. Der unverhoffte Erfolg bringt ihn auf die Idee, das Ganze noch größer aufzuziehen.

Mit einem Kompagnon und einer Einlage von 500 000 Mark gründet er die Max Klante und Co. GmbH, im Briefkopf zum „KlanteKonzern“ verkürzt. Offizielles Geschäftsanliegen ist die Förderung des Pferdesports, aber damit hätte Klante in diesen schweren Geburtsjahren der Weimarer Republik kaum Aufmerksamkeit erzielt. Deutschland ächzt unter den Reparationsforderungen der Kriegsgegner, die Industrie ist am Boden, überall fehlt Geld. Die Menschen sind offen für einen, der schnellen Reichtum verspricht.

Klante trägt sein Geld in Koffern

Und was ist das für ein Angebot, das ihnen Klante macht! Ende 1920 schaltet er in ganz Deutschland Anzeigen wie diese: „Sehr geehrter Herr! In der heutigen teuren Zeit liegt es wohl auch in Ihrem Interesse, sich eine dauerhafte Nebeneinnahme zu verschaffen. Diese bieten wir Ihnen, wenn Sie uns für unser Weltunternehmen Ihr Geld leihen … Wir geben Anteilsscheine von 100 Mark bis 50 000 Mark heraus und zahlen für 100 Mark Einzahlung am 1. Februar 100 Mark, am 1. März 100 Mark, am 1. April 100 Mark, also 3 mal 100 Mark gleich 300 Mark zurück, das sind 200 Prozent Dividende … Für 10 000 Mark gibt es 30 000 Mark.“

Wer nachfragt, wie der Konzernboss die immensen Auszahlungen denn finanzieren wolle, dem erzählt Klante etwas von einem todsicheren System. Klante trägt das Geld kofferweise zu den Rennbahnen, und er hat Erfolg. Die ersten Wetten gelingen, Klante kommt zu Geld und schnell spricht sich herum, dass er die zugesagten Dividenden tatsächlich auszahlt. Woher das Geld kommt, will keiner wirklich wissen. Wichtig ist, dass es kommt.

Klante gründet Annahmestellen in ganz Deutschland und stellt Dutzende Geldeintreiber ein, er entlohnt sie mit einer Provision von sechs Prozent. In Berlin unterhält er zwei eigene Wettcafés an der Friedrichstraße und an der Großen Frankfurter Straße auf dem Weg nach Hoppegarten. Bald kann Klante sich vor Kunden kaum noch retten. Auch Rechtsanwälte, Bankdirektoren und Chefärzte tragen ihm Geld an. Aber die überwältigende Mehrheit der Anleger sind kleine Sparer, die ihren Notgroschen nicht den Banken anvertrauen wollen, sondern lieber einem, der wie sie von ganz unten kommt. Mit dem Geld dieser Leute und den Anfangserfolgen steigt Klante auf in die gehobene Gesellschaft, mit drei Autos, zwei Chauffeuren, einem Kammerdiener und einer Villa in Karlshorst. Bei seiner Geburtstagsfeier wirft er ein Bündel mit Geldscheinen im Wert von 25 000 Mark unter die Gäste. Seine Kunden, Jünger, Konzernmitglieder sprechen ihn mit „Heil Klante!“ an.

Seine Hinterlassenschaft war ein Totenschein

In ganz Deutschland gründet erWettcafés.
In ganz Deutschland gründet erWettcafés.

© Ullstein (2), Willy Römer/bpk/Kunstbibliothek

Er ist auf dem Gipfel seines Erfolgs, aber die Sache wird zu groß für ihn. Seine Geschäftsidee basiert auf einer ständigen Vermehrung von Vermögen, und so viel Geld, wie ihm die Leute hinterherwerfen, kann er auf den Rennbahnen gar nicht einsetzen. Sein juristischer Berater sagt später im „Prozess gegen Klante und Genossen“ aus: „Durch eine falsche Auffassung einiger Vertreter der Firma ist ein bedeutend höheres Kapital zur Einzahlung gelangt, als es in den Wünschen der Firma stand. Sie werden zugeben, daß niemand auf der Welt in der Lage ist, ein derartiges Kapital binnen Jahresfrist mehr als zu verdoppeln.“

Der Abstieg beginnt mit einer Reduzierung der Dividende. Erst von 200 auf 100, dann auf 50 Prozent. Immer noch eine gigantische Gewinnspanne, aber um Klante herum entstehen neue Wettkonzerne mit besseren Konditionen. Weil zu viele Einzahler ihr Geld zurückfordern, muss Klante wieder auf 200 Prozent erhöhen. Längst ist er dazu übergegangen, die Auszahlungen über die Einzahlungen neuer Kunden zu finanzieren. Klante stopft kleine Löcher, indem er immer größere aufreißt, dafür hat er längst keine Augen mehr. Berauscht von seinem Anfangserfolg denkt der Volksbeglücker in ganz anderen Dimensionen. Er will ins große Geschäft einsteigen. Wurstfabriken und Likörbrennereien, Sanatorien und Automobilsalons.

Zusammenbruch ist nicht aufzuhalten

Klante bekommt dazu keine Gelegenheit mehr. Im August 1921 meldet sich das Finanzamt zu einer Betriebsprüfung und stellt fest, dass der Klante-Konzern von den millionenschweren Einzahlungen und Wettgewinnen keine einzige Mark an Kapitalertragsteuer abgeführt hat. Eine Buchführung im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Nur Schuhkartons voller Rechnungen, Coupons, Ein- und Auszahlungsbelege. Kurzerhand beschlagnahmen die Beamten das Barvermögen im Wettbüro an der Großen Frankfurter Straße: zehn Millionen Mark.

Der Zusammenbruch ist nicht mehr aufzuhalten. Kurz bevor es so weit ist, bittet Klante zu einer Konzernmitgliederversammlung in den Zirkus Busch. Er lässt sich einen Kranz überreichen und schwadroniert in einer wirren Rede von sich selbst in der dritten Person: „Max Klante will sein Unternehmen von großkapitalistischen Einflüssen freihalten. Für die Großkapitalisten und jüdischen Spekulanten, für die Schieber darf keine Möglichkeit sein. Volksgenossen, mit euren Darlehen wird der Konzern Fabriken, Häuser, Grundbesitz kaufen. Alles soll einer großen Genossenschaft der Volksaktionäre gehören. Max Klante ist durch die Armen groß geworden. Max Klante wird die Armen groß machen.“

Allgemeine Heiterkeit bei Gericht

Stattdessen verwandelt sich der Konzernboss Max Klante eine Woche später in den Kaufmann Max Klein, will sich verstecken. Doch sein Gesicht ist stadtbekannt, schon bald steht die Polizei in seinem Krankenzimmer. Noch am Tag seiner Verhaftung, am 12. September 1921, muss die Max Klante und Co. GmbH Konkurs anmelden. Zu diesem Zeitpunkt hat das Unternehmen 80 000 Gläubiger mit Forderungen über 50 Millionen Mark. Die Berliner Polizei ermittelt bereits gegen 96 Wettkonzerne, keiner ist so groß wie der von Klante. Wie überzeugend er aufgetreten sein muss, verdeutlicht eine spontane Demonstration vor dem Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Aus ganz Berlin kommen Konzernmitglieder und fordern die Freilassung ihres Helden. Noch während der 14 Monate andauernden Ermittlungen erkundigen sich immer wieder Leute, wann Klante wieder ins Geschäft einsteige, sie würden gern investieren.

Im Prozess vor dem Landgericht III an der Turmstraße dreht sich die Stimmung. Reihenweise marschieren die kleinen Leute als geladene Zeugen der Anklage in den Schwurgerichtssaal. Arbeiter, Beamte, Hausfrauen, Erwerbslose. 70 Prozent der Gläubiger hatten zwischen 500 und 2000 Mark eingezahlt, oft mühsam angespart. Tränen, Wut und Hass richten sich gegen Klante. Der behauptet, er sei von der Konkurrenz und vom Finanzamt in den Ruin getrieben worden. Sein System habe funktioniert, es sei genial und Millionen wert, deswegen könne er es vor Gericht leider nicht näher erläutern. Der Gerichtsschreiber protokolliert allgemeine Heiterkeit.

Klante vergiftet sich sich mit Gas

Wegen Klantes schwer angeschlagener Gesundheit steht der Prozess mehrfach vor dem Scheitern. Die Verkündung des Urteils verfolgt er in Decken gehüllt auf einer Trage vor dem Richtertisch. Am 6. Januar 1923 wird er des Betruges, gewerbsmäßigen Glücksspiels und Vergehens gegen die Konkursordnung für schuldig befunden. Die Strafe lautet: Drei Jahre Haft, 105 000 Mark Strafe, die inflationsbedingt schnell nicht mehr viel wert sind, fünf Jahre Ehrverlust.

Klante sitzt die Strafe ab und kehrt nie wieder auf die Berliner Rennbahnen zurück. In Ruhleben, Mariendorf, Karlshorst und Hoppegarten hat er lebenslanges Hausverbot. Er versucht sich als Vertreter einer Kartonagenfabrik, führt einen Papierladen und überlebt den Krieg als Bürstenbinder in einem kleinen Geschäft am Alexanderplatz. Dort wird er 1955 tot aufgefunden. Der einstige Volksbeglücker hat sich mit Gas vergiftet. Die Legende behauptet, Max Klantes Hinterlassenschaft habe allein aus einem Totoschein bestanden.

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