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Sorgentelefon: Kummer auf Augenhöhe

In Leipzig können Jugendliche am Sorgentelefon mit Gleichaltrigen sprechen.

„Erwachsene können sich in die Probleme der Jugendlichen einfach nicht hineinversetzen“, findet die 16-jährige Hannah. In ihrem Praktikum bei der „Nummer gegen Kummer“ rief ein Mädchen an, das in einen älteren Jungen verliebt war. „Der erwachsene Berater riet ihr, ihn einfach mal zum Eisessen einzuladen – doch welches Mädchen macht so etwas schon in dem Alter?“ Hannah will solche Tipps vermeiden. Schließlich kennt sie die Probleme von Jugendlichen aus eigener Erfahrung: „Bei mir ist der Abstand zu solchen Dingen einfach geringer!“ Am Leipziger Kinder- und Jugendtelefon werden deshalb ab sofort am Samstag von 14 bis 18 Uhr Jugendliche auch von Jugendlichen beraten.

Bei Vanessa ging es schon in ihrer Hospitation richtig zur Sache: „Das anrufende Mädchen wurde vergewaltigt und wusste nicht mehr weiter.“ Da die Anruferin unbedingt mit einer Frau reden wollte, der Berater aber männlich war, musste sie als Anfängerin schon ran: „Ich habe zugehört, während sie erzählte und ihr dann geraten, zur Polizei oder zum Jugendamt zu gehen“, erzählt die 16-Jährige. Noch immer fällt es ihr schwer, darüber zu reden, so sehr hat es auch sie bewegt, obwohl sie eigentlich nur zuhören konnte. Was aus dem Mädchen geworden ist, weiß sie nicht. „Ich hätte ihr schon gerne mehr geholfen. Aber wir haben auch keine Patentrezepte. Wir hören zu, geben Ratschläge oder verweisen an die nächste Institution.“ Dabei bleiben sowohl Anrufer als auch Berater immer anonym. „Diese Anonymität schafft Sicherheit für beide Seiten“, erklärt Vanessa. Die angehende Abiturientin könnte sich durchaus vorstellen, später einen sozialen Beruf zu ergreifen. Als Telefonberaterin arbeitet sie wie alle anderen ehrenamtlich.

„Insgesamt haben sich zwölf Jugendliche gefunden“, berichtet die Projektleiterin Susann Pruchnik vom Kinderschutzbund Leipzig, die Jugendlichen verschiedener Schulen das Projekt vorstellte. In einem einwöchigen Intensivkurs und thematischen Seminaren wurden sie auf ihre Aufgabe vorbereitet. „Wir haben Experten eingeladen, die sich mit Themen wie Drogen, Gewalt, Partnerschaft auskennen“, erklärt Pruchnik. Dann hospitierten die Jugendlichen noch bei erwachsenen Beratern , um die Praxis kennenzulernen.

Pro Jahr suchen 16 Millionen Anrufer in ganz Deutschland Hilfe bei der „Nummer gegen Kummer“. Viele bekommen nur ein Besetztzeichen zu hören, weil es zu wenige Standorte gibt. Außerdem blockieren Scherzanrufe oft die Leitungen. Ernst genommen wird jedoch jedes Gespräch, erklärt Pruchnik: „Hinter jedem Scherzanruf steckt auch ein ernst zu nehmendes Anliegen.“ Laut Statistik rufen deutlich mehr Mädchen an – meist wegen Schwierigkeiten in der Partnerschaft. Jungen reden eher über Probleme beim Sex.

Die Namen der Jugendlichen wurden von der Redaktion verändert.

Die kostenlose „Nummer gegen Kummer“, die nicht auf der Telefonrechnung erscheint: 0800/111 0 333

Karsten Breitig[Leipzig]

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