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Sorgerecht: (Vater) Mutter Kind

Er will sie doch nur sehen, für seine Tochter da sein. Aber die Mutter erlaubt es nicht. Denn meist bekommt bei Unverheirateten die Frau das Sorgerecht. Eine schreiende Ungerechtigkeit, sagen viele Väter

Als er seine Tochter zum vorletzten Mal sah, drehte sie sich weg. Douglas Wolfsperger macht eine eigenartige Bewegung auf seinem roten Sessel, um vorzuführen, wie sie sich mit angelegten Armen in sich selbst verschraubte. Unfähig, zu gehen. Unfähig, dazubleiben. Er hatte ihr nichts getan. So sah er es. Aber statt als Vater wahrgenommen zu werden in dem kalten, notdürftig für Kinder eingerichteten Zimmer der Arbeiterwohlfahrt in Köln, wo sie einander nun zum dritten Mal unter Aufsicht begegneten, war er nur der, vor dem sie sich die Augen zuhielt, dessen Mitbringsel sie verweigerte, auf dessen Fragen sie antwortete: „Ich weiß nicht.“

Danach saß er im Zug zurück nach Berlin. 570 Kilometer innere Leere. War es seiner Exfreundin nun doch gelungen, ihn aus dem Leben der gemeinsamen Tochter zu drängen? Freunde hatten ihm geraten, sich mit der Entfremdung abzufinden. Warum tue er sich das an, immer wieder vor Gericht zu ziehen, als Querulant dazustehen? Warum warte er nicht, bis das Mädchen von alleine komme?

„Aber wie macht man das?“, fragt Wolfsperger in seiner Charlottenburger Erdgeschosswohnung. Die Tür zum Garten steht auf. Vögel zwitschern. Bis auf einen Brief von seiner Tochter, die hier Hanna heißen soll, und ein Foto, das zusammengerollt auf dem Couchtisch liegt, erinnert nichts an Kinder in seinem Leben. Wolfsperger ist Filmemacher. Seine zweite Tochter lebt wie die erste getrennt von ihm bei der Mutter. Sie jedoch sieht er regelmäßig. „Wieso soll ich als Vater aufgeben“, sagt er. „Ich merke, dass ich immer wieder an die Grenzen meiner Kraft stoße und aufhören müsste. Aber ich kann nicht. Ich habe Hanna immer geliebt.“ Er sah sie noch ein letztes Mal, vor der Kontaktsperre. Er verstand nicht, wieso. Das war am schlimmsten.

Viele verstehen das nicht. Am Donnerstag zuckeln sie wieder durch die Lande. Fröhliche Männergesellschaften mit ihren Wägelchen, auf denen Bierfässer rumpeln. Es wird gesoffen und derbe getan, mit komischen Hüten auf dem Kopf. Männer wie Wolfsperger sind ebenfalls darunter. Und es werden immer mehr. Entsorgte Väter heißen sie. Entsorgt im doppelten Sinn: Auf den Müllhaufen einer gescheiterten Beziehung geworfen, werden sie ihren Kindern oft systematisch entzogen. Obwohl sie sich um den Kontakt bemühen, stehen ihnen nicht nur Hass und Rache der Frauen, sondern auch noch das deutsche Familienrecht im Wege. Es teilt die „Sorge“ im Konfliktfall einem Elternteil zu. In der Regel dem mütterlichen.

„Als Vater ist man immer erst mal schuld“, sagt Thomas, ein Berliner Geschäftsmann. Auf seinem Schreibtisch in Mitte lehnt sich ein einzelnes ungerahmtes Foto an eine Reihe Familienbilder an. Darauf sind vier Jungs zu sehen. Der älteste lächelt verschämt. Es sieht aus, als wüsste er nicht sehr viel damit anzufangen, Ältester zu sein. Aber er freut sich doch. Nennen wir ihn Patrick. „Was auch immer die Mütter anstellen, es bleibt ohne Sanktionen“, sagt Thomas, auf das Bild blickend. „Die Grundmechanik von Gerichten und Ämtern führt dazu, dass diese vollendete Tatsachen akzeptieren.“ Nur Thomas akzeptierte sie nicht. Deshalb ist Patrick auf diesem Foto.

Thomas kehrte 2001 von einer dreitägigen Geschäftsreise in die Wohnung seiner jungen Familie zurück, als für ihn der Albtraum begann. Seine Lebensgefährtin war ausgezogen, samt Möbel und Kind. Untergetaucht bei einer Freundin. „Da läuft man innerlich Amok“, sagt der 45-Jährige. Er habe sich als „aktiver Vater“ betrachtet, sei nachts aufgestanden, um das Baby zu wickeln, und kümmerte sich auch sonst um vieles, da seine Freundin berufstätig war. „Sie merkte irgendwann“, stellt er heute nüchtern fest, „dass ich nicht der Richtige war.“ Erst als sie die Bilder von den Wänden abgehängt hatte, fiel ihm auf, wie wenig er in der Wohnung vorgekommen war.

Das Paar war nicht verheiratet, teilte sich aber das Sorgerecht für den einjährigen Sohn. Als er seine Freundin endlich ausfindig machen konnte, drohte er mit einer Anzeige wegen Kindesentführung, und sie konterte: Dann behaupte ich einfach, dass du mich geschlagen hast. Dabei war sie aggressiv gewesen und auf ihn losgegangen, sagt er. Nun wurde er am Telefon so sehr beschimpft und mit vulgären Ausdrücken überzogen, dass er die Gespräche aufzeichnete, um anderen beweisen zu können, wie rabiat sie gegen ihn vorging. Schließlich zog sie ohne Rücksprache nach München. „Ich konnte danach trotz gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts vieles nur noch abnicken, um das Sorgerecht nicht zu verlieren“, erzählt Thomas.

Das ist seine Version. Vor neun Jahren wirkte sie vielleicht noch bizarr. Doch die Zunahme von Elternschaften ohne Trauschein und Patchwork-Familien bringt auch mehr ledige Väter hervor. Die sind viel stärker in die Betreuung der Kinder eingebunden, als ihre Väter es je waren, aber trotzdem haben sie weniger Rechte. Denn bei unverheirateten Eltern hat automatisch die Mutter das Sorgerecht. Ohne ihre Zustimmung läuft für ihn nichts. Deshalb hat Ende vergangenen Jahres der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine Reform des deutschen Sorgerechts angemahnt. Im Justizministerium werde „mit Hochdruck“ an einer Lösung gearbeitet, heißt es von dort. Man sei „im Stadium der Vorüberlegung“. Zwar möchte Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger kein automatisches Sorgerecht für beide Elternteile, aber es soll für Väter möglich werden, es gegen den Wunsch der Mutter zu erhalten. Wie das gehen soll, ist jedoch vollkommen unklar.

Viele Bücher und Artikel haben diese Neubewertung eingeleitet. Und im Kino lief im vergangenen Jahr Douglas Wolfspergers Dokumentation „Der entsorgte Vater“, die auch seinen eigenen Fall behandelte. Der Film sei „unmöglich“, meinten Kritiker und zeigten sich doch fasziniert – von den Fakten: In der Hälfte aller strittigen Fälle bekommt die Mutter das alleinige Sorgerecht. Nur jeder siebte bis achte Konflikt endet mit der Alleinsorge des Vaters. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass ein Kind ins Heim oder zu einer Pflegefamilie kommt, als bei seinem leiblichen Vater bleiben zu dürfen.

Fast alle von denen, die sich an einem Donnerstagabend in einem Raum des Charlottenburger „Hauses der Familie“ treffen, haben von Wolfspergers Film gehört. Schultische werden zusammengerückt und der Eindruck vermieden, man wäre gerne hier. „Ich freue mich, dass einer nicht mehr dabei ist“, sagt Rainer Sonnenberger zur Begrüßung. Er meint einen Vater, der seine Kinder wieder regelmäßig sehen darf. Für alle, die gekommen sind, gilt das nicht. Vier Männer und zwei Frauen nehmen am Gesprächskreis des Vereins „Väteraufbruch für Kinder“ teil. Einer ist neu und sitzt steif und unbeholfen in der Runde. Sonnenberger ist Vereinsvorsitzender. Aber vor allem ist er ein bäriger Typ mit weicher Stimme, der Mut macht.

Der Neue sagt, er sei dabei, „um nicht ’ne Vollmacke zu bekommen“. Eine Frau, die sehr schnell spricht und sich als „Väterin“ vorstellt, war tagsüber in Begleitung eines Helfers aus dem Verein beim Jugendamt. Sie sollte sich freuen, meint der Helfer jetzt und schaut sie aufmunternd an. Es sei doch gut gelaufen. Aber sie fühlt sich betrogen. Sie findet, dass Fakten geschaffen werden durch Zeit. Die Fakten laufen ihr davon.

Das Jugendamt ist für die Gruppe zum Feind geworden. Aber Marion Thurley kann da nur mit den Schultern zucken. Thurley ist stellvertretende Leiterin des Neuköllner Jugendamts, und in ihrem Büro ist es an einem Montagmorgen kühl und still. Viele Eltern glaubten leider, sagt sie, dass es da noch eine höhere Institution geben müsse, wenn sie selbst sich zerstritten haben. Aber die sei nicht vorgesehen. Das Jugendamt könne keine Entscheidungen fällen. Kann es nicht? Nein. Es berät, es vermittelt, es achtet darauf, dass die Kinder bei Trennungen vom Loyalitätskonflikt nicht zerrissen werden. Sie sagt zerrissen, als wäre die Liebe zu den Eltern ein wildes Tier, das plötzlich Jagd auf die Schwächsten macht.

Marion Thurley schenkt pechschwarzen Behördenkaffee ein. Illusionen, sagt dieser Kaffee, braucht man sich hier nicht zu machen. „Man kann nur weitergeben, was man selbst gelernt hat“, sagt Thurley über das Vaterbild einer jüngeren Generation. Sie sagt es besonnen. Dass Männer es bewusst anders, besser machen wollen als ihre Altvorderen, reicht meist nicht. „Eigene Erfahrungen prägen uns sehr stark“, sagt sie. Man hat es in sich. Was die Gruppe im „Haus der Familie“ am meisten fürchtet, darauf setzt sie. Die Geduld des Papiers. Die Verlässlichkeit der verstreichenden Zeit. Nach einer Weile, sagt sie, „nachdem der familiäre Supergau abgeklungen ist, funktionieren auch Absprachen wieder. Und man weiß, wie ernst es den Vätern ist“.

Statistisch hat die Hälfte nach dem ersten Trennungsjahr keinen Kontakt mehr zu den eigenen Kindern. Ist das neue Vatergefühl womöglich ein Hirngespinst? Ein perfides Werkzeug, um mit dem Argument der Gleichberechtigung die Frau auf ihrem ureigensten Terrain anzugreifen?

„Ich lernte das Gefühl mit neun kennen, als mein Vater starb“, erzählt Douglas Wolfsperger. Er wuchs am Bodensee auf. „Und ich habe mich immer gefragt, wie es wäre, wenn er noch da wäre.“ Als er seine Freundin kennenlernte und sie schwanger wurde, tat er sich schwer, sie sofort in sein Kölner Junggesellenleben zu lassen, aber das Kind wollte er. Die Zeit nach Hannas Geburt sei „gewöhnungsbedürftig“ gewesen, und er gesteht, dass er auf die Trennung von Hannas Mutter „auf irgendeine Art hingearbeitet“ habe. Als ihn ein Filmprojekt für mehrere Monate an den Bodensee führt, fordert er den Bruch heraus. Freundin und Tochter ziehen aus der gemeinsamen Wohnung. Ein neuer Mann taucht auf. Und als Wolfsperger zurückkehrt, „um als Vater zur Verfügung zu stehen“, wie er sagt, ist er entbehrlich gemacht worden.

„Ich habe dem Gericht schon gesagt, dass ich dich nicht mag“, hatte Hanna ein halbes Jahr vor dem vorletzten Treffen, im Januar 2007, in einem Brief an ihren Vater geschrieben. „Ich will dich nicht sehen. Und ich möchte auch nicht, dass das Gericht mich zu irgendwas zwingt.“ Damals hatte ihn das Mädchen noch mit „Hallo Douglas“ angeredet.

Jetzt tut sie das nicht mehr. Wolfsperger hat wieder einen Brief von seiner inzwischen 12-jährigen Tochter erhalten. Er liegt auf seinem Wohnzimmertisch. Schön geschwungene Lettern, Kinderschrift. „Lieber Herr Wolfsperger“, heißt es nun. Trotzdem rutscht ihr zweimal das „Du“ heraus.

Es ist so wenig, was er will: sie ein paar Mal sehen dürfen. Aber so Großes, was er dafür bewegen muss. Es gehe ihm, sagt der 53-Jährige, nicht um die Vaterrolle. Als Regisseur weiß er, dass Rollen besetzt werden, um Anweisungen zu befolgen. Wolfsperger spricht lieber von einer „metaphysischen Verbindung“. Essenziell für beide. Vater und Tochter. „Man kann das nicht abschneiden.“ Und wie zum Beweis zeigt er das Foto, das ihn mit seiner Tochter auf einem Bahnsteig zeigt. Auch um dieses Foto ist ein Streit entbrannt. Nicht nur hat Wolfsperger seine Wut und Ohnmacht in den Film umgeleitet. Auch das Foto kommt darin vor, um zu zeigen, dass Vater und Tochter einmal gut miteinander konnten. Es verletze Hannas Persönlichkeitsrechte, klagte die Mutter. Nun hat Hanna einen Balken im Gesicht.

Die Gegenseite taucht in Wolfspergers Film nicht auf. Auch nicht in anderen Geschichten dieser Art. Dabei hätten Mütter sicher viel zu erzählen. Aber es ist schwer, an sie heranzukommen. Der Argwohn ist groß. Umso mehr, wenn Väter sich als Opfer in die Öffentlichkeit stellen. Wolfspergers Exfreundin wehrte sich einmal mit einer Gegendarstellung gegen einen Bericht. In dem Schreiben stellt sie es so dar, dass Wolfsperger seine Tochter verlassen habe, als diese ihn dringend gebraucht hätte. Danach sei er ein Fremder für sie gewesen und es geblieben.

Das Foto auf Wolfspergers Couchtisch erzählt etwas anderes. „Es geht bis heute um diese fünf Monate, in denen ich einen Film gedreht habe“, sagt Wolfsperger und schüttelt matt den Kopf. Auf die Frage, ob sein Einsatz die Situation für die Tochter womöglich verschärfe, weiß er keine Antwort. Aber eines weiß er: „Die Richterin hat meine Tochter auf dem Gewissen.“ Regelmäßig seien Treffen mit der Tochter vereitelt worden. Es wurde verzögert und er wurde hingehalten. Mal durfte Hanna ihren Vater sehen, dann plötzlich wieder nicht. Obwohl jedes Gutachten die Mutter als treibende Kraft hinter dem Umgangsboykott ausmachte, setzte sich die Richterin schließlich darüber hinweg und entschied, dass das Kind „Ruhe“ brauche.

Wolfspergers Film endet damit, dass er sich von seiner Tochter verabschieden soll, um das wilde Tier der Loyalität zu besänftigen. Eigentlich hat er aufgegeben.

Kinder seien „das perfekte Racheinstrument“, sagt Thomas. Er hat zusammengerechnet, wie viel ihn jeder Besuch bei seinem Sohn Patrick in dieser Zeit allein an Anwaltskosten gekostet hat. 380 Euro. Nur damit er ihn sehen darf. Die Reisekosten kommen noch dazu. Das kann sich ein normaler Angestellter auch wegen des Zeitaufwands gar nicht leisten. Und seine jetzige Frau, mit der er drei weitere Kinder hat, findet es „nicht so toll“, dass er seit Jahren bei den Besuchsterminen morgens um vier aufsteht, um den ersten durchgehenden Zug nach München zu nehmen. Patrick wird ihm inzwischen am Bahnhof übergeben. Abends um 22 Uhr ist er mit ihm in Berlin. Es kam vor, dass ihm sein Sohn nur mit zwei Mützen und einem Paar Handschuhe vor die Tür gestellt wurde. Als Vater, sagt er, habe man ständig eine „Bringunschuld“.

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