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Überschüssige Lebensmittel nicht wegwerfen, sondern verschenken - das gehört zur Collaborative-Consumption-Bewegung dazu.

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Soziale Bewegungen: Shareconomy: Teilen ist das neue Besitzen

Der Gedanke ist einfach: Tauschen statt Geld ausgeben, leihen statt kaufen, schenken statt wegwerfen - und das alles mit Hilfe des Internets. "Shareconomy" und "Collaborative Consumption" heißen die Begriffe, die unseren Konsum komplett umkrempeln könnten.

Der Mann mit den lässig nach hinten gekämmten Haaren sitzt gerade im Restaurant, da entdeckt er einen alten Schulfreund. „Mensch, ewig nicht gesehen“, ruft er. „Setz dich!“  Kaum hat der andere Platz genommen, da knallt ihm der Schnösel schon drei Fotos auf den Tisch. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“, ruft er triumphierend.

Diese bekannte Sparkassen-Werbung aus den 90er Jahren, immer wieder neu interpretiert und parodiert, ist Ausdruck einer Mentalität, die auf Besitz ausgerichtet ist. Haben. Kaufen. Sich etwas leisten können. Doch diese Denkweise scheint sich mehr und mehr aufzulösen: Teilen statt besitzen ist die neue Devise – "Collaborative Consumption" oder "Sharecomomy" heißt das auf Neudeutsch.

Das traditionelle Leihen, Schenken und Vermieten erfährt durch das Internet einen enormen Schub und ist in einem Maßstab möglich, der früher undenkbar war. Schon jetzt erhöht das mobile Internet die Effizienz von Carsharing ungemein, die Mitgliederzahlen steigen. Fernab von den Berliner Diskussionen um überteuerte Ferienwohnungen überlassen Hunderttausende beim Gastfreundschaftsnetzwerk Couchsurfing ihr Gästebett oder das Sofa Reisenden, wollen jedoch keinen Cent dafür. Und das ist offenbar erst der Anfang: Menschen vermieten ihre Parklücke unter, teilen sich ein Fahrrad, leihen sich eine Bohrmaschine oder geben Lebensmittel ab, die sie nicht brauchen.

Die Vordenkerin der in den USA entstandenen Bewegung ist Rachel Botsman. In ihrem Buch „What’s mine is yours“ beschreibt die Harvard-Absolventin, wie „Collaborative Consumption“ alte Geschäftsmodelle ablöst und dazu führt, dass Internetnutzer untereinander ungenutzten Raum, Güter oder Dienstleistungen austauschen. Dabei gehe es um Vertrauen zu Fremden. Und um Zugang statt Besitz.

Diese Denkweise spiegelt sich in zahlreichen US-amerikanischen Internetprojekten wieder, die weit mehr bieten als simple Carsharing-Ideen. Auf der Website Sharedearth.com können Landbesitzer anbieten, ihre Fläche mit Hobbygärtnern oder Farmern zu teilen – diese müssen dafür nichts bezahlen, sondern nur einen Teil ihrer Ernte abgeben. Eine Win-win-Situation für beide Seiten, die ohne eine solche Plattform gar nicht zueinander gefunden hätten. Der Tauschhandel im Internet geht weit über das hinaus, was als sogenanntes Bartering schon jahrhundertelang praktiziert wurde: Waren und Dienstleistungen werden ohne Verwendung einer Währung gegeneinander eingetauscht. Im Internet gewinnt das eine neue Dimension.

Während der Tauschhandel früher nur funktionierte, wenn man zufällig einen geeigneten Partner gefunden hatte, kann im Netz gezielt nach dem gewünschten Tauschobjekt gesucht werden. Auf der Seite Barterquest.com ist das möglich: eine Textübersetzung gegen Babysitting oder ein Handy gegen ein GPS-Gerät – der Fantasie werden keine Grenzen gesetzt. Die Anhänger der Collaborative-Consumption-Idee geben aber nicht nur Dinge und Dienstleistungen, sondern auch Fähigkeiten über das Internet weiter. Bei Skillshare.com unterrichten Menschen im Live-Stream selbst gewählte Fächer und stellen Materialien bereit. Wer sich für einen Kurs interessiert, tritt einfach bei. Kostenlos. Finden sich genug Teilnehmer in derselben Gegend zusammen, können die Veranstaltungen auch offline stattfinden.

Eine Absage an die „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Mentalität

Der IT-Analyst Axel Oppermann, der ein Hintergrundpapier zum Thema veröffentlicht hat, erkennt den Vorteil solcher Ideen darin, dass eine breitere Schicht von Menschen Zugang zu Waren oder Dienstleitungen bekommt. „Das kann – wenn sich das Modell flächendeckend ausbreiten würde – kurzfristig sogar zu sozialem Aufstieg führen“, sagt er. Zudem würden durch gemeinschaftlichen Konsum Ressourcen geschont. Dass durch die gemeinsame Nutzung von Waren Probleme für die Wirtschaft entstehen können, wie das befürchtet wird, glaubt Oppermann allerdings nicht – schließlich würden Arbeitsplätze, die durch sinkende Produktionszahlen beispielsweise in der Automobilbranche wegfielen, durch Stellen in neuen Geschäftsfeldern ausgeglichen. Die Industrie müsse sich eben an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Risiken sieht Oppermann trotzdem. Schließlich sei Eigentum schon immer ein zentraler Bestandteil der sozialen Sicherheit in der Gesellschaft gewesen. Würden nun viele Menschen nicht mehr besitzen, sondern nur noch Zugangsrechte erwerben, könne das in einer wirtschaftlichen Schieflage zum Problem werden. „Verliert jemand seine Arbeit, kann er sich das Carsharing nicht mehr leisten. Dann steht er ohne Auto da. Würde er das Fahrzeug dagegen besitzen, gäbe es das Problem nicht“, erklärt Oppermann.

Trotz dieser Bedenken haben sich die Ideen der Collaborative-Consumption-Bewegung über die ganze Welt verbreitet. Das zeigt auch die von dem Privatunterkunftsvermittler „Airbnb“ in Auftrag gegebene Studie „Deutschland teilt“. Bereits zwölf Prozent aller Deutschen praktizieren demnach geteilten Konsum im Sinne des gemeinsamen Organisierens und Konsumierens über das Internet. Bei den 14- bis 29-Jährigen seien es sogar 25 Prozent. „Die jüngere Generation hat die Vorteile einer Ökonomie des Teilens wiederentdeckt und belebt sie dank Internettechnologie neu“, sagt Professor Harald Heinrichs von der Leuphana-Universität Lüneburg, der an der Untersuchung mitgearbeitet hat. Die Macher der Studie entdeckten zudem, dass Menschen, die großen Wert auf Kreativität und ein abwechslungsreiches Leben legen, besonders empfänglich für diese alternativen Konsumformen seien. Besitzstreben rücke dagegen in den Hintergrund. Eine eindeutige Absage an die „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Mentalität.

Auch IT-Analyst Oppermann glaubt, dass sich die Verhaltensmuster geändert haben: „Viele Menschen haben nach der weltweiten Finanzkrise erkannt, dass das ewige Streben nach dem Maximum nicht mehr funktioniert“, sagt er. Der Wandel in der Denkweise bewirke, dass viele nun nachhaltig leben wollen und ihr Konsumverhalten überdenken.

Dementsprechend gibt es auch hierzulande immer mehr virtuelle Marktplätze, wo Menschen untereinander teilen, leihen und tauschen. Ein Abiturient hat beispielsweise bei Facebook die Gruppe „Tauschbook“ gegründet, die bislang knapp 2400 Mitglieder hat. Hier wird der Bartering-Gedanke ebenfalls aufgegriffen: Getauscht wird vom Haarschmuck bis zum Cabriolet alles. „Ich würde gerne meinen Crosstrainer tauschen – am liebsten gegen ein iPhone“, schreibt eine Userin. „Tausche ein Photoshooting gegen ein Mofa“, meint ein anderer.

Ein Projekt, das ebenfalls noch in den Kinderschuhen steckt, ist „Why own it“. Die Macher glauben, dass man sich nichts kaufen muss, was die Freunde schon besitzen. Die App, die bislang nur für iPhones verfügbar ist, zeigt, was die Facebook-Freunde oder Telefonbuchkontakte verleihen würden: eine Bohrmaschine, einen Pürierstab oder einen Film. Doch auch die eigene Badewanne kann man zur Benutzung freigeben.

Dass der gemeinschaftliche Konsum auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist, beweist die kürzlich gegründete deutsche Plattform „Foodsharing“. Dort können Nutzer überschüssige Nahrungsmittel anbieten und sie so mit anderen teilen, bevor sie weggeworfen werden. Auch hier besteht momentan noch das Problem, dass es nur wenige Angebote gibt, so dass man in größeren Städten weite Wege zurücklegen muss, um die hausgemachte Blutwurst, die Marmelade oder den Meerrettich abzuholen. Doch wer es auf sich nimmt, wird vielleicht nicht nur mit ein paar kostenlosen Lebensmitteln, sondern auch mit einem neuen Bekannten belohnt.

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