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Panorama: Streckenweise Volksfest

Vier Stunden lang standen alle Züge im Land still – weil sich das Stromnetz abschaltete

Ein Kurzschluss ist die Ursache für die größte Panne in der Geschichte der Schweizer Eisenbahn gewesen. Vier Stunden lang standen am Mittwoch alle Züge im Land still. Zürich Hauptbahnhof, am Tag danach: Die Züge rollen wieder, es herrscht reger Betrieb. „So was kann schon mal vorkommen“, sagt eine Frau. Nein, sie habe keine Angst davor, wieder in den Zug zu steigen. Die Schweizer Bahn genießt bei den Eidgenossen einen hohen Vertrauensbonus – am Tag nach der Jahrhundertpanne immer noch. „Das war eine Ausnahme“, sagt ein junger Mann und lacht. „Kann ja mal vorkommen.“

Die Ursache für den gigantischen Stromausfall war nach ersten Erkenntnissen der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) ein Kurzschluss an einer Übertragungsleitung an einer Baustelle in der Zentralschweiz. „Was den Kurzschluss verursacht hat, können wir noch nicht sagen“, sagte SBB- Sprecher Roland Binz. Fest stehe, dass der Kurzschluss die Energieversorgung der SBB in zwei Teile trennte. Dadurch kam es zu einer Überlastung in den übrigen Stromnetzen, die wiederum zu einer automatischen Schutzabschaltung zweier Kraftwerke in der Südschweiz führte. Durch die instabile Versorgungslage brach das Schweizer Schienennetz um 17 Uhr 47 komplett zusammen: 1500 Züge blieben liegen, mehr als 200000 Passagiere saßen bei sengender Hitze in den Bahnhöfen fest, sieben Züge mussten mit Hilfe von Dampfloks aus Tunnels befreit werden. Mehr als 300 Fahrgäste wurden in Hotels untergebracht, hinzu kamen Kosten für Taxis und Busse. Auch der Güterverkehr war betroffen. Die SBB kündigten „großzügige Kulanzlösungen“ an und verteilten 200000 so genannte Sorry-Checks im Wert von bis zu 15 Franken. Und am Donnerstag setzte sich die Pechsträhne der SBB in der Westschweiz sogar noch fort. Gegen 18.30 Uhr fiel nach einem Blitzschlag im gesamten Wallis der Strom für ein einhalb Stunden aus. Gegen 19.10 Uhr rollten die Züge wieder.

Die Schweizer Schiene gilt als äußerst zuverlässig, das Bahnfahren ist sehr populär: mit durchschnittlich 1751 Bahnkilometern legen die Schweizer Jahr für Jahr mehr Wege auf den Gleisen zurück als alle europäischen Nachbarn. Das eidgenössische Schienennetz gilt als eines der weltweit dichtesten und die Pünktlichkeitsquote ist mit 95 Prozent geradezu legendär. Dennoch wurde nun Kritik laut: Mit der Pünktlichkeit sei es „trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht sonderlich weit her“, meckerte der Zürcher „Tagesanzeiger“. Die Bahnangestellten hätten „hilflos“ reagiert und die Kunden „ungnädig“ behandelt. Im gleichen Blatt hieß es aber auch: Obwohl ein solches Szenario noch nie geübt wurde, „liefen die Notfallmaßnahmen recht gut an“. Die Bahn setzte 1000 zusätzliche Kundenbetreuer ein, gemeinsam mit Helfern der Feuerwehr verteilten sie Wasser und Informationen an die gestrandeten Reisenden. Übereinstimmend wurde berichtet, dass die Passagiere gelassen, teils sogar fröhlich reagiert haben, „bisweilen breitete sich eine volksfestähnliche Stimmung aus“, notierte die „Neue Zürcher Zeitung“. Trotzdem: Der Stromausfall dürfte in die Geschichte eingehen. Die Panne sei ihm „unendlich peinlich“, sagte SBB-Chef Benedikt Weibel, der selbst in einem Zug saß, der auf offener Strecke liegen blieb. Fahrgäste erkannten ihn.

Antje Kramer[Zürich]

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