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Südafrika

© AFP

Südafrika: Die Angst fährt mit

Überfälle auf Autofahrer und andere Verbrechen sind in Südafrika eine schwere Hypothek vor der WM 2010.

Ein südafrikanischer Geschäftsmann brachte es auf den Punkt: Das Land, das 2010 die Fußball-WM ausrichten und dann die Sicherheit hunderttausender Besucher garantieren soll, befinde sich „im Krieg mit sich selbst“, sagte Johan Rupert, der unter anderem den Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont kontrolliert. „Leute, die nicht glauben wollen, dass sich unser Land in einer schweren Verbrechenskrise befindet, machen sich etwas vor“, wetterte er.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Human Science Research Council (HSRC) kam zu dem Ergebnis, dass die Kriminalität von Südafrikanern aller Couleur als größte Hypothek bei der Ausrichtung der Fußball-WM 2010 empfunden wird. Sämtliche Rassengruppen nannten mehrheitlich die Gewalt als ihre Hauptsorge. Die Umfragen belegen auch, dass die Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, bei Südafrikanern aller Hautfarben ganz oben rangiert.

Für die meisten Südafrikaner gehört das Verbrechen längst zum Alltag. Jeden Tag berichten die Blätter am Kap von bewaffneten Überfällen auf Wohnhäuser, Banken, Geldtransporter und Autos. Symptomatisch dafür sind zwei Fälle aus den letzten Tagen: Vergangene Woche wurde Judy Sexwale, die Frau von Südafrikas mächtigstem schwarzen Geschäftsmann Tokyo Sexwale, mit Waffengewalt das Auto abgenommen, als sie ihren Sohn von der Schule abholte. Am Wochenende widerfuhr dem südafrikanischen UN-Botschafter Dumisani Kumalo das gleiche Schicksal. Ihm wurde der Wagen gestohlen, als er zur Geburtstagsparty seines Neffen vorfuhr.

Bei dem Überfall in einem Johannesburger Vorort wurden zudem einer der Gäste angeschossen, viele andere beraubt. „Ich hatte schreckliche Angst“, sagte der Botschafter später. „Diese Typen sind total rücksichtslos. Man weiß nie, ob sie einen einfach töten.“ Viele andere Fälle wie etwa der bewaffnete Überfall auf zwei Mitarbeiter des Hamburger Architektenbüros gmp, die das neue Fußballstadion in Kapstadt konzipieren, schaffen es gar nicht mehr in die Zeitungen.

Von offizieller Seite wird auf Berichte über Gewalt defensiv reagiert. Als Südafrikas Tourismusminister Marthinus van Schalkwyk zu Wochenbeginn monierte, die hohe Kriminalität könne ausländische Touristen vom Besuch der Fußball-WM 2010 in Südafrika abhalten, distanzierte sich sein Ministerium umgehend von dem Bericht. Dabei hatte van Schalkwyk nur das gesagt, was die allermeisten Südafrikaner seit langem empfinden. Deprimierend ist zudem, dass Festnahmen inzwischen die Ausnahme sind. Die meisten Täter entkommen oder erscheinen nie vor einem Gericht, weil es am Kap bei der Verbrechensbekämpfung an fast allem fehlt: an kompetenten Polizisten, an einem funktionierenden Untersuchungsapparat mit Polizeilaboren und einer effizienten Rechtsprechung.

Die gerade veröffentlichte Verbrechensstatistik, die bezeichnenderweise nur noch einmal im Jahr vorgelegt wird, weil die Medien die Zahlen angeblich missbrauchen, spricht eine deutliche Sprache: Demnach hat die Gewalt deutlich zugenommen. Besonders schockierend war der Anstieg von 26 Prozent bei bewaffneten Überfällen auf Wohnhäuser. Weil Alarmanlagen den Tätern ihre Arbeit zunehmend erschweren, stürmen diese nun immer öfter in Wohnhäuser, wenn deren Bewohner daheim sind. Bewaffnete Überfälle beim Abendessen sind in den reichen Vororten von Johannesburg jedenfalls längst keine Ausnahme mehr. Einen Anstieg gab es aber auch bei bewaffneten Autodiebstählen, Morden und Banküberfällen.

Selbst Polizeiminister Charles Nqakula, der das Ausmaß der Gewalt für gewöhnlich verharmlost, sprach zu Monatsbeginn bei der Vorlage der Verbrechensstatistik, die Taten bis Ende März 2007 berücksichtigt, von einem „unakzeptabel hohen Maß an ernsthaften und gewalttätigen Verbrechen“. So stieg die Mordrate um 2,4 Prozent auf über 19 200 Fälle. Mehr als 100 Polizisten wurden zudem im Dienst getötet. Dennoch versuchte Nqakula den Zahlen etwas Positives abzugewinnen: So sei die Verbrechensrate insgesamt gesehen leicht rückläufig, vor allem die Zahl der Vergewaltigungen und der Überfälle ohne Waffen.

Für Präsident Thabo Mbeki sind die jüngsten Statistiken in jedem Fall ein herber Rückschlag. Seine Regierung steht seit längerem unter Druck, vor der WM 2010 am Kap gegen Gewalt vorzugehen. Immerhin sind das Polizeibudget in den letzten sechs Jahren verdoppelt und die Zahl der Polizisten um 40 Prozent erhöht worden.

Während die Wut der südafrikanischen Bevölkerung über die Zustände im Land steigt, versuchen Nqakula und die Führungsriege um den durch seine dubiosen Kontakte in die Unterwelt umstrittenen Polizeichef Jackie Selebi seit Jahren, das Ausmaß der Gewalt herunterzuspielen – vor allem im Hinblick auf die Fußball-WM 2010. Beide glänzen weniger durch Effizienz als durch immer neue Durchhalteparolen. Dass praktisch kein anderes Land der Welt eine derart hohe Zahl an Gewaltverbrechen hat, ist den Polizeioberen inzwischen keine Erwähnung mehr wert.

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