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Südafrika: Gott fährt 3. Klasse

Halleluja! Wenn der Zug morgens die Arbeiter aus dem Township ins Zentrum von Kapstadt bringt, sind auch Prediger dabei. Mit Bibel und Gesang bringen sie die Bahn zum Swingen.

Rabenschwarz ist der Himmel über dem Bahnhof Khayelitsha an diesem winterlichen Morgen. Um kurz vor sechs drängeln sich die Pendler auf dem zugigen Bahnsteig, der Zug nach Kapstadt soll um 5.58 Uhr abfahren.

In den Townships lebt die große Mehrheit der Bewohner Kapstadts. Wer Arbeit hat, zu der er morgens fahren kann, zählt zu den Glücklichen. Eine Stunde dauert die Reise laut Fahrplan der „Metrorail“ – ein frommer Wunsch, denn fast immer dauert sie sehr viel länger. Der Zug schleicht im Schneckentempo durch unüberschaubare Wohnhüttensiedlungen, vorbei an Brackwasserflüssen und Müllhalden, Kiosken im Coca-Cola-Design und Mini-Taxen. Das Postkarten-Kapstadt mit Seilbahn, Victoria & Albert Waterfront, Stränden und schicken Wohnvierteln ist tatsächlich nur etwa 40 Kilometer entfernt, gefühlt jedoch eine halbe Weltreise.

In Khayelitsha wohnen die Gärtner, Putzfrauen, Kindermädchen, Zimmermädchen, Kellner und Kassierer, die vielen Straßenbau- und Hafenarbeiter. Es ist ein mühseliger Alltag, der geprägt ist von Armut, Gewalt und Krankheit. Ihre Arbeitgeber und Kunden meiden den Stadtteil, viele waren nie dort.

Doch die Südafrikaner wären nicht die Südafrikaner, wenn sie nicht aus ihrer wochentäglichen Fahrt zur Arbeit ein spirituelles Happening machen würden: In jedem Zug ins Zentrum wird morgens ein Waggon zur Kapelle auf Schienen.

Ein Prediger, die Bibel fest in der Hand, verkündet lautstark das Wort Gottes, die Adern an seinem Hals treten hervor, die Zustimmung der Passagiere steigert sich von sanftem Murmeln bis zu kräftigem Gesang. Männerstimmen folgen Frauenstimmen. Es sind die vibrierenden Fragen und Antworten des Gospelgesangs.

Manchmal mischt sich etwas Englisch unter das Xhosa des Predigers. „Jesus is like an ATM“, donnert er, als wir in den Bahnhof Bonteheuwel einrollen. Jesus ist wie ein Geldautomat. Man kann nur etwas abheben, wenn auch was auf dem Konto ist. Also immer schön einzahlen, einzahlen, einzahlen, Leute! Die Menschen nicken.

Mehr und mehr drängen in den Waggon – so lange, bis die Tür trotz der Kälte offen bleiben muss. Der Prediger hat sich inzwischen in einen Rausch gebetet, mit ausgebreiteten Armen steht er da, seine Stimme überschlägt sich, die sprühenden Spucketropfen sind sein Weihwasser. Draußen dämmert der Morgen, und als der Zug am Hauptbahnhof ankommt, ist die Sonne endlich aufgegangen.

Einen kurzen Film aus diesem Zug finden Sie unter tagesspiegel.de/welt

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