zum Hauptinhalt
Netze können gegen Moskito-Bisse schützen.

© dpa

Tansania: Der Fluch der Malaria

Wie Helfer in Tansania gegen die tückische Krankheit und den Aberglauben ankämpfen. Jedes Jahr sterben über 60.000 Menschen in dem ostafrikanischen Land an Malaria.

Vor der Hütte öffnet sich eine übel riechende Kuhle. Moskitos summen über dem Loch. Müll stapelt sich auf dem Boden. Plastikflaschen, Kokosnüsse, Maiskolben. Ein Huhn hüpft über den Unrat. „Wir leben hier in dem Haus mit zehn Menschen“, sagt Sifa Ramadan. Die 59-jährige Frau mit dem verkniffenen Gesicht greift nach einem kleinen Jungen, setzt ihn auf ihren Schoß. „Ich nehme Mütter und Kinder auf, ihre Männer und Väter sind verschwunden“, erzählt Sifa. Ihre müden Augen blinzeln. Sifa und ihre bunt zusammengewürfelte Familie leben in Same. Es ist ein Provinznest im Norden Tansanias, bei gutem Wetter sehen sie den Kilimandscharo. „Ja die Malaria“, sagt sie plötzlich. Hunderte kleine Falten reihen sich vom Haaransatz bis zum Hals. „Ich weiß nicht wie oft die Malaria mich schon getroffen hat, zehnmal? Hundertmal?“ Sifa winkt ab. „Die Malaria ist unser Fluch“, klagt sie. Die Malaria ist auch ein Fluch für ihre bitterarme Heimat, Tansania. Und viele andere arme Länder.

In Daressalam, der Hauptstadt Tansanias, zeigt das Thermometer an diesem Tag 35 Grad Celsius. Müde schwappt der indische Ozean an den Strand. 200 Meter vom Meer entfernt liegen Gebäude des Gesundheitsministeriums. In einem Raum wartet Alex Mwita. Er wischt sich über die Stirn, nimmt hinter seinem abgewetzten Schreibtisch Platz. „Die Malaria ist unser größtes Gesundheitsproblem“, sagt der Direktor des nationalen Anti-Malaria-Programms. Jedes Jahr tötet die Fieberkrankheit zwischen 60 000 und 80 000 Menschen in dem ostafrikanischen Land – selbst Aids bringt nicht so viele Menschen ins Grab. Jedes Jahr treten in Tansania mehrere Millionen Malariafälle auf – keine andere Krankheit befällt die Menschen so oft. Tansania, die Touristen lieben das Land als exotisches Paradies, gehört zu den Staaten, die am schlimmsten von der Malaria heimgesucht werden.

Die Geißel trifft die Ex-Kolonie des deutschen Kaiserreiches überall – besonders die Wirtschaft. „Die Malariapatienten fühlen sich schwach und müde. Fieberkrämpfe schütteln sie“, erklärt Mwita. „Die Malaria greift auch das Hirn an.“ Die Weltbank warnte in einer Studie: Die Malaria frisst einen großen Teil des kargen Volkseinkommens auf, weil die Arbeitsfähigkeit der Menschen beeinträchtigt ist. Wie groß der Schaden genau ausfällt, kann niemand schätzen. „Malaria ist eine Ursache und eine Konsequenz der Armut“, sagt Silvano Allenbach von der Hilfsorganisation World Vision. Der Schweizer Allenbach sitzt auf dem Rücksitz eines Toyota Landcruisers. Die grandiose Natur Afrikas fliegt vorbei. Palmen glänzen, die Erde schimmert rostbraun. Allenbach hat keinen Blick für die Schönheit, der Entwicklungshelfer zieht Papier aus seiner Tasche. „Hier ist eines der wichtigsten Hilfsprojekte in Tansania beschrieben“, sagt Allenbach. Er erklärt: Gesundheitszentren verteilen Gutscheine an schwangere Frauen. Die werdenden Mütter können damit ein mit Insektiziden behandeltes Antimoskitonetz kaufen – die Frauen müssen nur etwa 30 Cent beisteuern. Das Ziel der landesweiten Kampagne: Im Jahr 2013 sollen drei Viertel aller Haushalte ein Moskitonetz haben, die Zahl der Malariaopfer soll drastisch sinken. Das Prinzip: Das Netz schützt die Menschen vor dem Biss der Moskitos, die den Malariaerreger übertragen. Somit kann der Malariaerreger nicht in den Körper eindringen. „Zwischen März und September 2009 wurden schon über fünf Millionen Moskitonetze an Familien mit Kinder unter fünf Jahren verteilt“, bilanziert Allenbach.

Der Toyota Landcruiser holpert über eine enge Lehmpiste. Frauen mit Körben auf dem Kopf bewegen sich langsam entlang der Strecke. Staub wirbelt auf. Der Landcruiser stoppt. Lehmhütten, ein kleiner Kramladen und eine Krankenstation, das ist das Zentrum von Mbwawa im Distrikt Kihaba. Laut der letzten offiziellen Zählung leben in dem Ort 1005 Männer und 1008 Frauen.

Arafa ist eine der Frauen. Sie und ihre drei Kinder sitzen auf einer Decke, die über dem rotbraunen Boden gespannt ist. „Meine Familie leidet seit Generationen unter der Malaria“, sagt Arafa. In ihrer Hütte herrscht fast Dunkelheit. Im Schlafraum hängen drei Netze, hellblau schimmernd. Arafa ist dankbar: „Seitdem uns die Netze vor den Bissen der Moskitos schützen, haben wir keine Malaria mehr in der Familie.“ Die Netze schützen Arafas Familie – die Vorrichtungen aus Textil in den Schlafräumen sind aber keine Wunderwaffe. Oft reißen die Netze, dann schlüpfen die Moskitos doch hindurch. Oft fehlt es den Ärmsten der Armen am Geld, die Netze zu kaufen. „Nur auf die Netze zu setzen, reicht nicht aus“, sagt Marcossy Albanie. Er leitet eine Union von Hilfsorganisationen in Tansania, das Policy Forum. Albanie erklärt: „Wir müssen die Brutstätten der Moskitos zerstören.“ Vor allem in stehenden Gewässern vermehren sich die Malariaüberträger: Pfützen, Tümpel, Seen, Flussarme. Doch bislang gibt es keine nationale Strategie in Tansania gegen die Moskito-Brutstätten.

Viele Menschen in Tansania wollen nicht unter einer schwebenden Stoffdecke schlafen: Zu heiß, zu stickig, zu eingeengt. „Einige Leute sagen sogar, sie fühlen sich wie im Sarg“, berichtet Issessandra Kaniki, der Distriktarzt von Kihaba. Der 38-Jährige streicht sich über sein weißes Hemd. Kaniki steht auf der Veranda der Krankenstation und erzählt über die uralten Bräuche und Sitten in Ostafrika. Und er erzählt über den Aberglauben. Etliche Menschen fürchten die bösen Geister. Die Malaria, so sind sie überzeugt, wird von Dämonen geschickt. Als Strafe. Wie kann man erklären, dass Malaria eine vermeidbare und eine heilbare Krankheit ist?

Die Aufklärung beginnt in der Schule. Das Gebäude der Elementary School in Same steht auf einem kargen Feld, in der Ferne schimmert der Kilimandscharo. Aus den Fenstern fließt der Gesang der Jungen und Mädchen. Die hellen Stimmen preisen die Schönheit der Heimat. Und sie warnen: „Wenn du die Malaria hast, gehe nicht zum Hexenmeister, gehe zum Hospital“, heißt es in dem Lied. Die Kinder kennen die Malaria. Von den 80 Schülern in der Elementary School litten 60 mindestens einmal unter Tansanias Volkskrankheit.

Jan Dirk Herbermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false