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Panorama: Tanzen bis zum Untergang

Tuvalu ist der kleinste Staat der Welt. Langsam aber sicher versinken die Südsee-Inseln in den Fluten. Aber was interessiert schon der Meeresspiegel

Hurricane Day. Das klingt ungemütlich. Der Anlass ist es auch, schließlich erinnert dieser Gedenktag in dem kleinen Südsee-Staat Tuvalu an die völlige Zerstörung der Hauptinsel Funafuti durch den Hurrikan „Bebe“ vor dreißig Jahren. Aber in Tuvalu ist alles anders. In Tuvalu ist der Hurricane Day Anlass für einen ebenso bunten wie fröhlichen Tanzmarathon. Drei Tage wird getanzt. Die Frauen und Männer haben sich deshalb in Dreier-Reihen aufgestellt. Ihre Kostüme bestehen aus Palmblättern und Maulbeerbaummatten. Ihre Köpfe krönen die gleichen Blumenkränze aus Hibiskus und Amaryllis. Die Älteren sitzen weiter hinten und singen und trommeln. Je länger, desto lieber und lauter. Der Hurricane Day ist in Tuvalu ein grosses Fest.

Lynder Naseli war acht Monate alt, als „Bebe“ das Atoll heimsuchte. Sie weiß nur, dass er alle Hütten und Häuser niederwalzte und dass ihre Eltern Not hatten, die Kinder und sich selbst durchzubringen. Erst nach langen Tagen kam Hilfe vom weit entfernten Tarawa-Atoll aus dem Norden. „Beim Hurricane Day feiern alle, die davongekommen sind", erklärt die 30-Jährige. Lynder lächelt und bekommt zwei Spritzer Parfüm auf ihr Dekolletee gesprüht, Zeichen der Anerkennung für die Tanzleistung. Nach zwei Stunden riecht sie nach allem, was das Duftwasser-Regal des Insel-Supermarktes hergibt.

Wie kein anderes Volk der Welt sind die 11000 Tuvaluer den Naturgewalten ausgesetzt. Kein Deich schützt sie vor den Fluten. Für Deiche ist auch kein Platz. Die Inseln sind viel zu schmal. Immer öfter schauen die Menschen besorgt aufs Meer. Doch wenn das Meer ansteigt, durch den Klimawandel und die schmelzenden Polkappen, dann ist Tuvalu schnell weg von der Landkarte. An keinem Punkt ragen die Inseln um mehr als vier Meter aus dem Wasser heraus.

Da lautet die Devise: alles in die Boote. Auch Lynder will weg. „Mein Mann und ich haben überlegt, nach Australien oder Neuseeland zu gehen." Doch niemand will sie haben. Vor allem Australien zeigt Hilferufen die kalte Schulter. Umweltflüchtlinge aus Tuvalu müssten sich genauso hinten anstellen wie alle anderen, entgegnet Australiens Regierung dem Ansinnen aus Tuvalu, das Volk am Tag X komplett aufzunehmen. Auch mit mehr Dramatik vorgetragene Ankündigungen beim Weltgipfel in Johannesburg, Australien und die USA vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu ziehen, nützten nichts. Beide Länder sollten so zur Unterzeichnung des Klimaprotokolls von Kyoto gezwungen werden. Beide Länder reagierten erwartungsgemäss: nämlich gar nicht.

Da ist es besser zu tanzen. Lynder macht sich bereit für die zweite Runde. Tanzen können die Tuvaluer besser als drohen. Das hat Saufatu Sopoanga sofort erkannt. Er hat sein Amt als Premierminister von Tuvalu gerade erst angetreten und für ihn ist klar: politisch ist es Zeit für eine Kehrtwende.

In seinem kleinen Büro der Premierminister-Baracke sitzt er mit Hemd und Krawatte. Glaubt er, dass Tuvalu in 30 oder 50 Jahren gurgelnd im Ozean versinkt? „Nein" sagt er entschlossen. Eine Abkehr von der bisherigen Politik des Landes? „So würde ich das nicht sagen", erklärt er, „aber ich glaube, wir haben Besseres zu tun, als uns allein um die steigenden Meeresspiegel zu kümmern."

Ein neues Regierungsbüro errichten, zum Beispiel. Das Modell dafür steht gleich neben seinem Schreibtisch. Vier Etagen, elf Millionen Dollar teuer. Seitdem Tuvalu durch die Vermarktung des attraktiven Internet-Kürzels „.tv" jährlich vier Millionen US-Dollar bekommt, kann sich das Land einiges leisten. Zum Beispiel die Inselstraße ausbauen. Die ist jetzt geteert und mit allerlei Schildern bestückt, die einen kaum vorhandenen Verkehr regeln. Mit dem Geld kann sich Tuvalu aber auch die 20000 Dollar teure Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen leisten.

Trotz der Internet-Millionen ist das unabhängige Tuvalu komplett abhängig von finanzieller Hilfe von außen. Vor allem von Australien. Auch deshalb ist es klug, nicht mehr länger mit einer Klage zu drohen. Sollten Greenpeace oder der WWF Tuvalu als beispielhaften Fall vorführen wollen, um den CO2-Ausstoß zu verringern, sind sie gerne eingeladen, sagt Sopoanga: „Bis heute hat aber noch niemand vorgesprochen."

Zweimal in der Woche gibt es in der Mittagszeit Anlass für Aufregung. Dann landet das Flugzeug aus Fidschi – die einzige Linienmaschine mit dem Zielort „Funafuti International Airport". Weil die Landmasse von Funafuti kleiner ist als der Central Park in New York, ist die Rollbahn kein hermetisch abgetrennter Sicherheitsbereich, sondern auch Fußballfeld oder bevorzugter Schlafplatz für viele Familien der übervölkerten Insel.

Neben dem Flugzeug-Beobachten oder dem Baden in der Lagune gibt es nicht viel zu tun. Jobs sind rar. Und deshalb wird heute weiter getanzt. Es ist schließlich Hurricane Day.

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