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Panorama: Tarifa: Die mit dem Wind leben

"Heute ist Poniente, Westwind. Der ist gut.

"Heute ist Poniente, Westwind. Der ist gut. Der schlechte, das ist der Levante." Levante - die 72-jährige Maria Munoz spricht den Namen des aus dem Osten kommenden Windes mit Ehrfurcht aus. Ganz in schwarz gekleidet sitzt die Witwe mit einer Freundin am Abend auf dem Platz des südspanischen Städtchens Tarifa. Ein ganzes Leben hat sie wie alle Einheimischen vor Wind und Wetter hinter den dicken Mauern der Häuser Zuflucht gesucht. Dass sich Fremde ausgerechnet über diese Plage freuen, die Bäume entwurzelt, Häuser zum Einsturz bringt und ihrem Mann immer ein halbes Jahr lang seine Arbeit als Fischer unmöglich machte, versteht die Spanierin nicht. "Gut finden den Levante nur diese Menschen mit den Brettern", sagt sie.

Maria Munoz spricht von den Surfern. "Windhauptstadt Europas", so schreiben Surf-Zeitungen über die 15 000-Einwohner-Stadt Tarifa. Windstill ist es hier im südlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel, an der Meerenge von Gibraltar, eigentlich nie. Das Wetteramt informiert, dass fast die Hälfte des Jahres hier Winde blasen, die bis zu 140 Stundenkilometer erreichen - ausgezeichnete Bedingungen für Surfer und die Stromwirtschaft. In den Bergen stehen Hunderte Windmühlen. Hier soll der größte Windenergiepark Spaniens entstehen.

"Wir haben ein Rettungsboot", beruhigt Surflehrer Carlos an einem Strand in der Nähe von Tarifa seine Schüler. Wie oft er es einsetzen muss, verschweigt der langhaarige Mann mit dem Rauschebart. Neben ihm kämpft einer der Anfänger mit dem Sportgerät. Immer wieder fällt ihm das Segel in den Sand. "Der Wind entsteht eigentlich im Mittelmeer", erklärt Carlos: "Die Gebirge an den Küsten Europas und Afrikas drücken ihn in die Meerenge von Gibraltar, die wie eine komprimierende Düse wirkt." Diese Düse bläst den Wind besonders heftig in den Atlantik, an dessen Küste Tarifa liegt.

Doch der Wind behindert nicht nur ein halbes Jahr lang die Arbeit der Fischer Tarifas. Davon erzählt Oberstufenlehrer Wenceslao Segura, der Hobbyhistoriker ist. Die Stürme bescherten der Gegend schon immer auch heftige Regenfälle, sagt er. Die Flüsse traten immer wieder über die Ufer, die Landwirtschaft wurde erschwert und Tarifa vom Rest Spaniens abgeschnitten.

Darum hatten die spanischen Könige auch Probleme, als sie die Gegend nach der Eroberung durch die Araber im 14. Jahrhundert wieder mit Christen besiedeln wollten. "Sie befreiten die Tarifenos vom Zwang, Steuern zahlen zu müssen", sagt Segura. Als das nichts half, erließen sie ein Dekret, wonach all jenen Häftlingen die Strafe erlassen werden sollte, die nicht wegen Hochverrats einsaßen - wenn sie nur nach Tarifa gingen. Später seien die Thunfisch-Fischer nach Tarifa gekommen, die auch den Ruf hatten, "die größten Banditen" zu sein.

Diese Geschichten kennt heute nur noch der Oberstufenlehrer. Bei den Spaniern gelten die Menschen im Süden heute zwar nicht mehr als Banditen, aber als nicht ganz richtig im Kopf. Auch dafür machen die Spanier den heftigen Wind verantwortlich. Im Ort will davon niemand etwas wissen. "Hast Du das gehört, wir sollen verrückt sein", ruft Maria Munoz auf dem Dorfplatz ihrer Freundin zu. Und: "Verrückt sind höchstens diese Menschen mit den Brettern."

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