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Pferde

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Tiere: Empfinden Pferde Freundschaft?

Viele sagen Ja. Belegen lässt sich das allerdings nur schwer. Aber vielleicht muss man das gar nicht.

Können Pferde Menschen Freundschaft schenken? Bei dieser Frage tun sich Gräben auf, zwischen Gefühlen und wissenschaftlichen Diskursen. Dabei ist die Wahrheit einfach: Klar können Pferde Freunde werden. Man muss nur wissen, wie man ihr Herz erobert.

Wie schön es ist, die Freundschaft eines Pferdes zu erleben, weiß Mara Stucki ganz genau. Einfach so aus dem Bauch heraus. Die Zwölfjährige liebt ihre Pintostute Barbie. Und Barbie liebt sie. „Wir sind unzertrennlich. Wenn ich aus der Schule komme, begrüßt mich Barbie mit lautem Wiehern“, strahlt Mara. Die beiden halten immer zusammen. Im Reitunterricht, beim Ausritt, auf dem Turnier vor großem Publikum. „Ich kann mich auf Barbie verlassen. In jeder Situation“, lächelt Mara und gibt Barbie einen Kuss. Wenn sie traurig ist, vergräbt sie ihr Gesicht in Barbies langer Mähne und weint sich aus. Aber nicht lange. Wenn die Pintostute ihre kleine Besitzerin sanft mit den Nüstern anpustet, ist die Welt wieder in Ordnung. Eine Gabe, die nur echte Freunde besitzen.

Mal ist es dieser spezielle Blick. Oder ein angenehmer Duft. Vielleicht auch die Art, sich zu bewegen. Der Klang der Stimme. Die Wortwahl. Schon verspürt man Sympathie. Aus diesem zarten Band kann sich Freundschaft entwickeln. Von Mensch zu Mensch ist das eine klare Sache. Aber wie ist das bei Pferden? Können sie überhaupt freundschaftliche Gefühle für Menschen entwickeln?

„Favory und mich verbindet eine enge Beziehung“

Für Richard Hinrichs steht das außer Frage. Spätestens seit dem Tag, an dem er seinen Kladruber-Hengst Favory Ravella kaufte. „Favory und mich verbindet eine enge Beziehung, die ich durchaus als Freundschaft bezeichnen würde“, versichert der Präsident des Bundesverbands für klassisch-barocke Reiterei. „Favory ist eigentlich ein sehr temperamentvolles Pferd. Er hat eine starke Persönlichkeit. Dennoch verhält er sich stets ruhig, wenn ich bei ihm bin. Ich konnte ihn bislang immer beruhigen. Auch in extrem Angst auslösenden Situationen.“

Abend für Abend steht Hinrichs in der Box des Hengstes und lässt sich beschnuppern. Die Dauer des Beschnupperns bestimmt das Pferd, nicht sein Besitzer. „Einmal habe ich versucht, das Ganze abzukürzen. Favory hat darauf höchst verstimmt mit Drohgebärden reagiert. Lasse ich ihn hingegen gewähren, bis er von selbst aufhört, kann ich anschließend alles von ihm fordern. Kein Murren. Kein Aufbegehren“, sagt Hinrichs. Er ist davon überzeugt, dass Favory sich durch das Beschnuppern einen Eindruck von der Stimmung seines Reiters verschafft, bevor der in den Sattel steigt. Vielleicht ist das die Freiheit, die sich auch Freunde gewähren, die einander vertrauen. Denn Freundschaft hat viel mehr mit Loslassen als mit Erzwingen zu tun.

Tiermedizinerin: Gefühl nicht messbar

Konstanze Krüger, Tiermedizinerin und Biologin, hebt den wissenschaftlichen Zeigefinger. „Es ist überhaupt nicht geklärt, ob es zwischen Pferden und Menschen so etwas wie Freundschaft gibt.“ Schon die Definition des Begriffs Freundschaft sei so eine Sache. Er sei unwissenschaftlich. Außerdem sei ein angebliches Freundschaftsgefühl, das ein Pferd seinem Besitzer womöglich entgegenbringt, nun einmal nicht messbar. Doch die Wissenschaftlerin an der Regensburger Universität kennt als Pferdebesitzerin auch die emotionale Seite. Sie hat am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man sich in Extremsituationen auf sein Pferd verlassen kann. So wie auf einen Freund.

Die Erinnerung an den Unfall bringt ihre Stimme noch heute ins Stocken. Die ehemalige Vielseitigkeitsreiterin stürzte vor Jahren mit ihrem Pferd. Das Duo überschlug sich und krachte in einen tiefen Graben. „Ich sah das Pferd neben mir liegen und dachte nur ‚weg hier!’“, erzählt sie. Sie kletterte unverletzt aus dem Graben. Erst danach strampelte sich ihr Pferd frei und sprang auf . Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn es vorher aufgesprungen wäre. Tat es aber nicht. Aus Freundschaft? So weit will Konstanze Krüger nicht gehen. Dennoch rechnet sie es Pferden hoch an, wenn sie in gefährlichen Situationen für den Reiter, cool und rational reagieren. Und das kommt bei guten Teams recht häufig vor.

Das kann auch die Tierärztin und Pferdeausbilderin Dr. Nathalie Penquitt bestätigen. Auch sie stürzte mit ihrem Pferd. „Mein Appaloosa-Mix Lucky lag regungslos am Boden bis ich weggekrabbelt war. Er behielt mich genau im Auge und stand erst auf, als ich außer Reichweite stand.“ Nathalie Penquit ist überzeugt, dass Pferde Freundschaft für Menschen empfinden können.

„Richtige Mischung aus Dominanz und Sanftheit“

Eine Freundschaft muss wachsen. Vor allem dann, wenn das Pferd der Beziehung eher skeptisch gegenübersteht. Dann muss erst einmal Vertrauen aufgebaut werden. „Hier ist die richtige Mischung aus Dominanz und Sanftheit gefragt. Und positive Verstärkungen dürfen nicht zu kurz kommen. Sonst kooperiert das Pferd nicht. Immer so wenig Druck wie möglich und soviel positive Impulse wie möglich geben“, rät Konstanze Krüger. Sie warnt jedoch davor, unbedacht Leckerchen einzusetzen. „Nahrung ist für Pferde etwas Selbstverständliches, nichts Besonderes. Es ist einfach nicht logisch, wenn sie Futter für Leistung bekommen. Dennoch können Leckerchen in bestimmten Situationen hilfreich sein. Zum Beispiel, um Angstblockaden aufzulösen. Aber Freundschaft kann man sich mit ihnen nicht erkaufen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Aber Feindschaft. Denn wenn Leckerchen willkürlich verfüttert werden, beginnen viele Pferde damit, sie einzufordern. Gibt es dann nichts, werden die Zähne gebleckt. Das ist für den Freiheitsdressur-Experten Jean-François Pignon Grund genug, nicht zum „Möhren-Automaten“ zu mutieren. Dem 38-jährigen Franzosen sträuben sich die Haare, wenn Pferde mit Futter verhätschelt und wie Kleinkinder behandelt werden. Auch freundschaftliches Schubbeln am Körper des Ausbilders ist tabu. „Das hat nichts mit Freundschaft zu tun, sondern mit Schwäche. Oder haben Sie schon einmal ein ranghohes Pferd gesehen, an dem sich rangniedere nach Herzenslust schubbeln?“, fragt Pignon. Sein Credo wirkt kompromisslos für einen, der in der Freiheitsdressur brilliert: „Der Mensch wurde geschaffen, um die Tiere zu dominieren. Alles andere ist verkehrte Welt.“

Können auf dieser Basis überhaupt Freundschaften zwischen Pferden und Menschen entstehen? So weit will François Pignon nicht gehen. „Freundschaft ist eher etwas zwischen Menschen.“ Dennoch predigt er seinen Schülern, eine große Zuneigung für Pferde zu empfinden. Gerade dann, wenn alles schief laufe. Schließlich sei es so einfach, positive Gefühle zu entwickeln, wenn alles glatt gehe. „Entscheidend ist jedoch, sein Pferd auch dann zu mögen, wenn nichts funktioniert.“

Penquitt: Unternehmungsgeist des Pferdes fördern

„Ich bin davon überzeugt, dass freundschaftliche Gefühle keine Voraussetzung für Höchstleistungen sind. Viele Pferde werden sogar mit brachialen Mitteln dazu gezwungen, über sich hinaus zu gehen. Das funktioniert - zumindest in vielen Fällen“, bedauert Friesen-Experte Günther Fröhlich. Richard Hinrichs ist sogar davon überzeugt, dass einige Zuchten längst auf leidensfähige Pferde hin selektiert haben, die nicht aufmucken, wenn sie grob behandelt werden. Dem Friesenpapst ist es wichtig, die Freundschaft seiner Pferde zu gewinnen, um darauf Leistung aufzubauen.

„Ein Pferd muss sich in jeder Situation auf den Menschen verlassen können. Dann kann sich der Mensch später auch auf das Pferd verlassen und sich über einen hoch motivierten Partner freuen.“ Gegenseitiges Vertrauen sei die Basis einer freundschaftlichen Beziehung. Und das erreiche man durch einen ruhigen, zuverlässigen und gerechten Umgang. Unberechenbarkeit, Brutalität und Inkompetenz seien die größten Feinde der Freundschaft. Nathalie Penquitt hat einen Tipp: „Das Pferd soll auch eigene Ideen mit einbringen dürfen. Wer den Unternehmungsgeist des Pferdes fördert, pusht gleichzeitig seine freundschaftlichen Gefühle für den Menschen.“

Gabriele Metz

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