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© Evolve / Photoshot

Tierwelt: Koalas in Gefahr

Eine Aids-ähnliche Epidemie bedroht die Tiere – ein vielversprechender Impfstoff ist in Arbeit.

Völlig teilnahmslos hockt der Koala mit tränenden Augen an der Straße. Auch als ein Autofahrer gleich neben dem Tier anhält, läuft es nicht weg. In der Wildtierklinik wissen die Veterinärmediziner sofort Bescheid. Der auch Beutelbär genannte Koala ist kein Verkehrsopfer, sondern hat sich mit Chlamydia-Bakterien infiziert. Diese Mikroorganismen wiederum befallen nicht nur die Schleimhäute in den Augen, den Atemwegen und an den Geschlechtsorganen der Koalas, sondern auch von vielen anderen Säugetieren und den Menschen. Meist verlaufen die Infektionen harmlos. Ist aber das Immunsystem geschwächt, führt die Infektion häufig zur Sterilität oder zum Erblinden. Auch bei diesem Koala bestätigt die genaue Diagnose den Anfangsverdacht der Tierärzte: Ein KoRV (Koala-Retrovirus) genanntes Virus hat das Immunsystem des Beutelbärs ähnlich geschwächt, wie das Virus HIV beim Menschen Aids verursacht. Einen gravierenden Unterschied aber gibt es: Während gegen die HIV-Infektion bisher noch kein guter Impfstoff existiert, entwickelt Joachim Denner vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) ein als Impfstoff gegen KoRV geeignetes „Antigen“. Diese Substanz aber könnte den Weg zu einem Aids-Impfstoff für Menschen weisen.

Ähnlich wie HIV erst vor wenigen Jahrzehnten von Affen auf den Menschen übersprang, infizierten sich die ersten Koalas vermutlich an Nagetieren mit KoRV. „Wir wissen nicht genau, wann das passiert ist“, erklärt Alex Greenwood, der am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin und an der Freien Universität Berlin über Wildtierkrankheiten arbeitet. Bei drei bis fünf Prozent aller Infektionen verursacht KoRV bei infizierten Koalas Leukämie, die in der Natur wohl immer tödlich endet. Bei sehr vielen Beutelbären aber schwächt das Retrovirus das Immunsystem. Das schadet ihnen zwar nicht direkt, macht sie aber viel anfälliger für andere Infektionen, die normalerweise viel harmloser verlaufen. Führt eine Infektion mit Chlamydia-Bakterien dann zum Erblinden des Koalas, ist das Tier in der Natur zum Tode verurteilt. Infektionen mit KoRV bei Koalas und HIV beim Menschen ähneln sich also durchaus: Beide Erreger sind sogenannte Retroviren, die das Immunsystem schwächen. IZW-Forscher Alex Greenwood aber bemerkt auch einen gravierenden Unterschied: Menschen können sich vor der Infektion mit dem HI-Virus schützen, Koalas aber sind KoRV-Infektionen anscheinend wehrlos ausgeliefert. Im Norden Australiens trägt praktisch jeder Beutelbär dieses Retrovirus in sich und hat daher vermutlich ein geschwächtes Immunsystem.

Neben der naturgemäß mangelnden Vorsorge gegen solche Infektionen, kennt Alex Greenwood noch weitere Ursachen, die Ansteckungen erleichtern. Normalerweise löst ein Erreger bei den einzelnen Tieren einer Art zwar eine schwere Krankheit aus, es gibt aber meist auch einige oder sogar viele Individuen, die nur leicht oder gar nicht erkranken. Beutelbären aber wurden viele Jahrzehnte als Pelzlieferanten stark bejagt. „Die meisten Koalas, die heute in Australien leben, stammen daher von wenigen Inseln, auf denen nur wenige Tiere lebten“, erklärt IZW-Forscher Alex Greenwood. Das Erbgut der heute weltweit vielleicht 43 000 Koalas dürfte dieser „genetische Flaschenhals“ stark vereinheitlicht haben. Vielleicht sind dabei genau die Varianten des Erbgutes verschwunden, die gegen KoRV gefeit waren?

Noch wissen die Forscher nicht genug über die Koala-Immunschwäche und die Infektionen, die nachfolgen. Aber sie wissen genau, dass immer weniger Beutelbären in den Eukalyptusbäumen Australiens Blätter kauen: Lebten vor sechs Jahren noch 100 000 Koalas in Australien, sind heute weniger als die Hälfte der niedlichen Tiere übrig. Da es immer weniger natürliche Eukalyptuswälder gibt und der Klimawandel den Tieren zu schaffen macht, werden die Koalas zunehmend in die Zange genommen.

Ohne Impfstoff gegen KoRV könnten die Beutelbären schon in dreißig Jahren ausgestorben sein. Diesen Impfstoff aber entwickelt RKI-Forscher Joachim Denner aus ganz anderen Gründen: Der Berliner Forscher interessiert sich für Impfstoffe gegen Retroviren, an denen sich bereits die Forschungseliten der Welt die Zähne ausgebissen haben. Beim Koala aber klappt alles erstaunlich gut. KoRV besitzt zwei Eiweiße in der Hülle. Der Forscher hat nun ein „Antigen“ hergestellt, das dem Hüllprotein entspricht. Dieses Antigen bringt das Immunsystem auf Trab, das nun Antikörper bildet, die wiederum die Infektion abwehren. Noch wurde dieser Impfstoff nicht an Koalabären getestet: „Wenn wir einen Antikörper gegen das zweite Protein in der Hülle von KoRV entwickeln, könnte sogar eine bessere Immunität erreicht werden“, erklärt RKI-Forscher Joachim Denner. Erste Experimente mit Katzen, die sich mit einem entfernt verwandten Retrovirus infizieren können, waren jedenfalls recht vielversprechend. Und auch für einen HIV-Impfstoff sieht Joachim Denner einen Hoffnungsschimmer: „Die Antikörper erkennen eine Stelle, die im KoRV und im Katzenvirus ähnlich ist.“ Auch das entsprechende HIV-Protein besitzt genau die gleiche Stelle. Das könnte die heiße Spur zu einem AIDS-Impfstoff sein.

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