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Panorama: Tod im Reihenhaus

Jahrelang hat ein Paar den Schein der heilen Familie nach außen gewahrt. Dann hat der Mann seine Frau erwürgt

Das Ende dieser Geschichte sieht so aus, dass Heino N. im Hamburger Landgericht auf der Anklagebank sitzt und pausenlos weint. Sein Sohn vor ihm spricht von „Harmonie“, und jedes Mal, wenn er das hört, bricht Heino N. erneut in Tränen aus. Das Wort verkörpert Traum und Lüge zugleich, und schlussendlich steht es für eine Ehe, die fast 30 Jahre lang gleichermaßen glücklich wie schrecklich war. Im Dezember hat Heino N. seine Frau Martina umgebracht. Ein kurzer Streit nur, ein Wortgefecht wurde zum Erdbeben, da ist sie eingestürzt, die Fassade der Familie aus Hamburg-Wandsbek, Reihenhaus.

Das Leben der Eheleute N. war so unauffällig, dass keiner ihrer Bekannten Auskunft darüber geben kann. Frühe Heirat, Sohn und Tochter. Er war Zollbeamter, sie Altenpflegerin, irgendwann hatten sie das eigene Haus zusammengespart. Der heute 27jährige Sohn Matthias beteuert, er habe selten Streit unter den Eltern erlebt. „Wie ich das sehe, war es eine schöne Beziehung.“ Dass das nur die eine Seite der Wahrheit ist, muss der Sohn nun auf schmerzliche Weise erfahren. Er hat sich fest vorgenommen, seinem Vater beizustehen. Dieser Entschluss verlangt ihm einiges ab. Das Leben seiner Familie wird nun in der Öffentlichkeit seziert. Hat er gewusst, dass für seinen Vater seit dessen Pubertät „der Sex mit Prostituierten eine große Rolle spielte“? Der Vater, setzt der Gutachter nüchtern fort, hatte immer wieder außereheliche Affären, von denen die Mutter mal wusste, mal nicht. Matthias erfährt nun, dass die letzte Geliebte, eine Kollegin seines Vaters, ihm noch heute Liebesbriefe ins Gefängnis schreibt. Seine Schwester Sabine blickt immer wieder verzweifelt zu ihm rüber, als wolle sie eine Antwort auf die Frage, was sie hier noch alles erfahren muss. Heino N. wagt nicht einmal den Blick zu seiner Familie. Den Blicken und Gefühlen der Zuschauer ausgeliefert, ruft der weinende 57jährige auch Mitgefühl hervor. Vor Gericht entsteht das Bild eines Ehemannes, der seiner Frau viel abverlangte und das aus eigener Hilflosigkeit tat. Mit Sex, so der Gutachter, habe er Gefühle der Unterlegenheit, Aggressivität und Unsicherheit kompensiert. Im Alltag hatte seine Frau „die Hosen an“. Sexuell aber musste sie sich oft fügen, um ihn nicht zu verlieren. Vor fünf Jahren stand die Ehe auf der Kippe. Da hatte er eine Affäre mit einer anderen Frau, und sie hat es gewusst. Sie wollte sich trennen, wusste aber nicht, wie sie ein eigenständiges Leben finanzieren soll. Also hat man sich wieder versöhnt. Heino N. sagt, dass er mit seiner Ehe eigentlich zufrieden war. Doch Martina N. musste einen Preis dafür bezahlen, und der wurde immer höher. Viele seiner sexuellen Wünsche hat sie Heino N. erfüllt. Hatte er den Eindruck, dass sie „nur mitmacht“, ging er danach wieder ins Bordell. Vorigen Sommer dann hat die 53jährige sich für ihren Mann die Brust vergrößern lassen. Niemals hätte sie das selbst gewollt, aber er habe es ihr „vorgeschlagen“, wie Heino N. vorsichtig formuliert. Sie wollte ihn halten. Die Gefahr, dass er zu einer anderen geht, stand stets als Drohung im Raum. Also hat sie ihm auch diesen Gefallen getan. Am Abend des 11. Dezember kommt es darüber zum Streit. Sie klagt über Schmerzen, die ihr die Implantate bereiten. Sie macht ihm einen Vorwurf daraus. Er nimmt seine Frau nicht tröstend in den Arm. Heino N. weist seine Verantwortung zurück und verkündet seinen neuesten Plan: Er will sich im Intimbereich piercen lassen. Martina N. schreit los: „Du geiles Schwein“, und dass man mit Heino N. unmöglich zusammenleben kann. Sie geht in den Keller, um Rotwein zu holen, er kommt hinterher, tief gekränkt. Er schubst sie die Treppe runter. Sie schlägt mit dem Kopf auf, blutet. Sie fleht ihn an, den Notarzt zu rufen, und verspricht zu behaupten, dass das alles „ein Unfall war“. Tatsächlich überlegt er kurz, geht die Stufen hoch Richtung Telefon. Dann macht er kurzentschlossen kehrt, kniet sich nieder und erwürgt seine Frau. Der Mann steht dazu, seine Frau getötet zu haben. Am Freitag wurde Heino N. vom Landgericht Hamburg wegen Mordes im Affekt zu neun Jahren Haft verurteilt.

Nadia Berr[Hamburg]

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