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Tourismus in Ägypten: Heile Welt am Roten Meer

In den Urlaubsorten rund um das Rote Meer ist die ägyptische Revolution kein Thema. Das liegt auch daran, dass Ägypter beider Lager alles tun, den Tourismus nicht zu beeinträchtigen.

Aufruhr, Umsturz, Revolution – kein Wort scheint zu groß. Ereignisse von historischer Tragweite erschüttern das Land am Nil und mit ihm die ganze arabische Welt. Doch inmitten dieses gewaltigen Umbruchs gibt es eine Region, die gänzlich unberührt scheint von all dem: die Urlaubsorte an der Küste des Roten Meeres, 500 bis 600 Kilometer südöstlich der Hauptstadt gelegen. Wer durch vorab bezahlte Buchungen gebunden war und vergangene Woche – noch vor der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes – auf der Suche nach Licht und Wärme in eines der Hoteldörfer an der ägyptischen Sonnenküste reiste, der erlebt dieser Tage eine bizarre, höchst widersprüchliche Situation: Millionen Ägypter rebellieren gegen Diktatur und Polizeistaat, aber sie tun gleichzeitig auch alles dafür, dass die künstliche heile Welt für die Touristen davon nicht beeinträchtigt wird.

In Makadi Bay, einer ausschließlich für den Tourismus angelegten Kleinstadt etwa 50 Kilometer südlich des Provinzflughafens Hurghada, sind sämtliche Läden geöffnet, die Busse von und zum Flughafen fahren pünktlich und die Flugzeuge am Himmel belegen, dass der Flugbetrieb weitgehend reibungslos läuft. Einzig der Umstand, dass immer mehr Liegestühle am Strand frei bleiben, zeigt an, dass irgendetwas anders ist. Der Nachschub an Gästen, überwiegend aus Deutschland und Russland, beginnt zu versiegen.

Für die rund tausend Ägypter, die in den etwa 20 Hotelkomplexen rund um die Bucht arbeiten, ist das eine ausgesprochen schlechte Nachricht. Die Trinkgelder machen einen erheblichen Teil ihrer Einkommen aus. Wohl auch deshalb war es zumindest bis zum Mittwoch beinahe unmöglich, mit ihnen über die Lage in ihrem Land ins Gespräch zu kommen, ganz gleich wie gut ihre Kenntnisse der deutschen oder englischen Sprache sind. Fast durchgehend halten sie sich an die Maßgabe ihrer Chefs, nicht über Politik zu sprechen, um die Gäste möglichst wenig zu beunruhigen und keine schlechten Nachrichten zu verbreiten – eine Vorgabe, die sie immer schon beachten mussten, schließlich waren die Spitzel des Regimes allgegenwärtig.

Bei den Gästen geht diese Strategie der kollektiven öffentlichen Verdrängung bisher erstaunlich gut auf. In den Gesprächen am Buffet oder an der Strandbar sorgt sich kaum einer um das eigene Wohl. Diskutiert wird allenfalls, was der Umsturz langfristig für das Urlaubsziel bedeutet oder auch, ob es wieder Krieg zwischen Arabern und Israelis geben wird.

Doch fraglich ist, wie lange sich die Pflege der heilen Touristenwelt noch durchhalten lässt. Absehbar ist, dass irgendwann der Nachschub an Nahrung und Treibstoff nicht mehr ausreichen wird. Schon reisen Inspektoren im Auftrag des deutschen Auswärtigen Amtes durch die Region, um herauszufinden, ob die Veranstalter wirklich die Versorgung und die Sicherheit ihrer Gäste garantieren können, berichtet ein Hotelgeschäftsführer. Offenbar erwäge das Amt, die Reisen von Touristen nach Ägypten zu stoppen, um später keine riskanten und kostspieligen Evakuierungsaktionen durchführen zu müssen.

Vermutlich werden aber auch die vielen Helfer und Servicekräfte der Tourismusindustrie ihre Zurückhaltung alsbald aufgeben. Salar, ein 23-jähriger Spaßmacher und Animateur, der stets einen guten Spruch auf den Lippen und freundliche Worte für seine Kunden hat, schwieg tagelang jedes Mal beflissen, wenn er nach seiner Meinung zu den Nachrichten gefragt wurde. Aber am Mittwoch, dem Tag nach dem „Marsch der Millionen“, mochte er nicht länger den Unbeteiligten spielen. „Wir sind stolz, wir sind sehr stolz“, erklärte er, „endlich haben wir keine Angst mehr.“ Auch in den Touristenzentren am Roten Meer wird die neue Zeit ankommen.

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