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Das erste Ostseebad in Heiligendamm.

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Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern: Ab an die Ostsee

Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern hat eine lange Tradition. In diesem Jahr kommen so viele Touristen wie lange nicht.

In Zeiten des Terrors scheinen sich die Menschen um das zu scharen, was sie kennen. So zumindest wurde die Meldung aus Mecklenburg-Vorpommerns Landestourismusbehörde aufgefasst, dass an der Ostsee die Hotels zu mehr als 90 Prozent ausgebucht sind.

Bei einer Befragung des ARD-„Mittagsmagazins“ zweifelten Touristen daran, dass man noch in Gebiete reisen kann, in denen es zuletzt zu Anschlägen kam, teilweise klassische Urlaubsländer. Die Türkei etwa verbucht dieses Jahr mit 41 Prozent den stärksten Tourismus-Rückgang seit Jahrzehnten, um denselben Prozentsatz sanken die Übernachtungszahlen in Ägypten. Tunesien leidet unter einem Rückgang um 50 Prozent. Seit vergangenem Jahr – und vor allem seit dem Anschlag von Nizza – geht es auch Frankreich so.

Die logische Schlussfolgerung: Mehr Urlauber bleiben in Deutschland.

Das stimmt jedoch nur halb. Zum einen war Deutschland schon immer Lieblingsreiseland der Deutschen. Andererseits sank dieses Jahr laut Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen auch die Zahl der Inlandsreisen von 37 auf 32 Prozent. Immer weniger Deutsche fahren nach Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

Mecklenburg-Vorpommern ist das beliebteste Reiseziel des deutschen Inlandstourismus

Ein Bundesland aber legte kräftig zu: Das unscheinbare Mecklenburg-Vorpommern mit seinen Seenplatten und Ostseestränden konnte innerhalb eines Jahrzehnts seinen Anteil am deutschen Inlandstourismus fast verdoppeln. Heute ist es das beliebteste Reiseziel in Deutschland.

Und das nicht zum ersten Mal. Als sich vor etwas mehr als 200 Jahren in der britischen Aristokratie die heilende Wirkung des Meeres herumgesprochen hatte, wollte der deutsche Adel nicht hinten anstehen – so wurde an der Mecklenburgischen Bucht, an der Küste von Heiligendamm, das erste Seebad in Deutschland gegründet. Die Nähe zum Wasser, zur Meeresluft, Salz und Schlick zog nach und nach mehr Adelige und reiche Bürger an. Von Schleswig-Holstein bis ins Baltikum wurde die Ostseeküste zum Lieblingsort für die Hochwohlgeborenen des europäischen Kontinents.

Beim Spaziergang auf den Promenaden von Heiligendamm, von Zinnowitz oder Binz lassen sich diese Zeiten noch an den opulenten Landhäusern ablesen, mit ihren verzierten Veranden und Balkonen, deren Bauherren Jugendstil mit gründerzeitlichen und ausländischen Elementen anreicherten. In Orten wie Ahlbeck, Heringsdorf oder Bansin wurden in den Gründerjahren weitere Bäder errichtet, heute bekannt als Kaiserbäder. Dass alle drei auf der Insel Usedom gebaut wurden, ist kein Zufall – kaum ein Ostseebad war besser von Berlin mit der Eisenbahn zu erreichen.

Mit der Jahrhundertwende begann auch der bürgerliche Mittelstand zu reisen

Der Tourismus beschränkte sich viele Jahre auf die Reichen und Wohlhabenden, zu Teilen auch das gehobene Bürgertum. Erst im Fin du Siecle konnten sich breitere Massen das Reisen an die Ostsee leisten, der bürgerliche Mittelstand und auch ein Teil der Kleinbürger.

Das neue Berliner Bürgertum erreichte mit den neuen, schnelleren Zügen innerhalb weniger Stunden die Ostsee. „Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelb. D-Zug Berlin-Trelleborg und die Ostseebäder“, dichtet Gottfried Benn, wie verschieden braun gebrannte Ostseetouristen in den Zug nach Hause steigen.

An die Ostseebäder nahe der polnischen Grenze zog es viele Künstler, Dichter und Literaturen, vor allem auf das abgelegene Hiddensee. Hans Fallada schrieb hier „Kleiner Mann, was nun?“ zuende. Die Künstlergruppen „Die Brücke“ und die „Berliner Secession“ malten hier. In einem seiner Gedichte schwärmt auch Gerhart Hauptmann von der Ostseeinsel Hiddensee: „Unaufhörlich bläst das Meer/eherne Posaunen/Roggenfelder, segenschwer/leise wogend raunen.“

Olga Kurilo, Osteuropahistorikerin an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), veröffentliche 2009 einen Sammelband zum Ostseetourismus, in dem sie die Entwicklungen der verschiedenen Ostseebäder untersucht. Alle Orte eint der Bruch durch Ersten Weltkrieg und Revolution, im Ostseeraum sei dies stärker als andernorts ein fundamentaler Einschnitt.

In Zinnowitz war "Bäder-Antisemitismus" allgegenwärtig

Vor allem in Deutschland beendete der erwachende Nationalismus die international geprägte, adlig oder gutbürgerliche Bäderkultur. In Zinnowitz wurde sie schnell eine nationalsozialistische Angelegenheit, wie der Hamburger Historiker Frank Bajohr in seinem Buch „Bäder-Antisemitismus“ schreibt. So sangen Kurgäste Lieder: „Fern bleibt der Itz von Zinnowitz.“

„Zinnowitz ist in Judenreinheit Bansin noch überlegen“, schreibt der jüdischstämmige deutsche Linguist Victor Klemperer. Vorbild für Zinnowitz und viele andere Ostseebäder war die Insel Borkum, die sich schon 1897 rühmte „judenfrei“ zu sein. In den Hotellobbys hingen, so zeigt Bajohr, Plakate mit dem „Fahrplan zwischen Borkum und Jerusalem – Retourkarten werden nicht ausgegeben.“ In ganz Deutschland habe es keine „vergleichbare Massierung antisemitischer Erholungsorte“ gegeben, schreibt Bajohr.

Nach dem zweiten Weltkrieg erholte sich der Tourismus in der Region nur langsam. 1950 bestand fast die gesamte Bevölkerung Rügens aus Heimatvertriebenen. Hotel- und Pensionsbesitzer wurden 1953 enteignet, erst in den 70er Jahren entwickelte sich Binz, ein Ostseebad auf Rügen, zu einem FDGB-Ferienort.

Das Bild des DDR-Hinterlands

Der Aufschwung, der heute noch anhält, kam erst wieder mit den 1990er Jahren. Mecklenburg-Vorpommern war nach der Wende zwar bereits als reizvolle Landschaft mit gesundem Klima bekannt, doch dauerte es, bis in den Köpfen der Westdeutschen das Bild des DDR-Hinterlands schwand.

Doch der Ruf der unberührten Landschaft mit Alleen und Seen und Bädern setzte sich immer weiter durch. Allein zwischen 1992 und 1999 stiegen die Übernachtungszahlen um 133 Prozent. An den alten Glanz können die Ostseebäder wohl noch nicht anknüpfen, aber das Interesse an ihnen steigt stetig. Allein, dass sich das weitläufige und dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern, mit seinem schnurgeraden Strand, seinen Dünen und Kiefernwäldern, dem deutschen Trend von sinkenden Tourismuseinnahmen widersetzen kann, ist doch schon ein Weg dahin.

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