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Panorama: Trommler für die Armen

Beim G-8-Konzert in Rostock fordern internationale Künstler Taten für Afrika und kritisieren Merkel

Als Herbert Grönemeyer auf die Menschenmenge blickt, die er nach Rostock gelockt hat, verrät sein Gesicht den Hauch von Genugtuung. Beinahe 70 000 Menschen sind am Donnerstag auf das Gelände der ehemaligen Gartenschau zwischen Warnemünde und Rostocker Innenstadt geströmt, um sich am symbolischen Machtkampf dieses G-8-Gipfels zu beteiligen. Nicht mit Tränengasbomben und Pflastersteinen, nicht mit Workshops und Strategiesitzungen. Sondern mit der Kraft der reinen Oberflächlichkeit. „Wir sind Trommler“, hat Grönemeyer kurz zuvor der Presse sein Vorhaben erläutert und hinzugefügt, so selbstverständlich, wie ein Maler mit dem Pinsel umgehe, so selbstverständlich nutzten er und die Seinen die Öffentlichkeit. Und um Bilder geht es an diesem Tag wirklich. Während die Staats- und Regierungschefs der G 8 über Entschlüssen brüten, soll die Macht der bloßen Anwesenheit der 70 000 den Politikern zeigen, dass etwas von ihnen erwartet wird.

„Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an den Folgen extremer Armut“ – dieser Satz prangt in schwarzer Schrift auf weißen Tüchern, die sich im Bühnenhintergrund im Wind bewegen. Darüber das Motto, mit dem Grönemeyer seit Monaten für mehr Engagement wirbt: „Deine Stimme gegen Armut“. Die Botschaften des Tages sind simpel, und die Erinnerung an das Elend auf dem Schwarzen Kontinent gibt der Spaßveranstaltung eine bittere Note. Sie scheint auch die ungewöhnliche Hektik zu begründen, die vom ersten Ton an über dem Mammut-Konzert liegt. 16 Bands in sechs Stunden, unterbrochen von Rednern und Videoclips, geben das strenge Zeitmaß vor. Auch die Gipfeldynamik verlangt es: In den nächsten 24 Stunden werde sich zeigen, so Grönemeyers donnernder Appell, was von den Politikern zu halten ist. „Wir fordern lediglich“, sagt er, „dass die G-8-Staaten zu ihrem Versprechen stehen, die Entwicklungshilfe auf 5,1 Milliarden Euro aufzustocken, nicht um einen Cent mehr“.

So ähnelt das Konzert eher einer Mahnwache denn einer politischen Demonstration. Die Leute liegen und dösen auf den flachen Hügeln des Geländes. Das Konzert kommt ja auch nicht wirklich in Fahrt. Die Bands müssen aufhören, bevor sie sich warm gespielt haben. Wie bei einer Grammy-Veranstaltung gerät der Energiefluss immer wieder ins Stocken.

Die Berliner Dub-Reggae-Formation Seeed macht am frühen Nachmittag den Auftakt. „Aufstehn“ heißt ihr schleppend-dröhnender Hit über die Lethargie, die so schwer zu überwinden ist. Und noch in anderer Hinsicht stehen Seeed für den Geist dieses Tages. Als deutsches Multikulti-Ensemble, das mühelos die musikalischen Traditionen Jamaikas, Westafrikas und der Londoner Dancehall-Szene in sich vereint, schlagen sie die kulturelle Brücke, die im Verlauf des Programms so unterschiedliche Musiker wie die Beatsteaks neben Bangla aus Bangladesch, den malischen Musiker Bassekou Koyate und Perrozompopo aus Nicaragua stellen. Wäre es nicht so laut, könnte man sich auch auf dem evangelischen Kirchentag wähnen.

Auf einen Ablasshandel wollen sich Grönemeyer, Bono & Co. nicht einlassen. Mit deutlichen Worten prangert Live-8-Initiator Bob Geldof die Tatenlosigkeit der Wohlstandsstaaten an. Es sei ihm völlig egal, poltert er, „ob es dafür irgendwelche guten Gründe gibt. Ich will keine toten Afrikaner mehr sehen, die an die Strände unserer Urlaubsparadiese geschwemmt werden.“

Auch mancher Song gerät zum feierlichen Bekenntnis: Die Sportfreunde Stiller versuchen sich an Bob Marleys „Redemption Song“ – ein kurzes, wohl auch nicht ganz ernst gemeintes Zitat. Mit vollem Ernst sind allerdings die Toten Hosen bei der Sache. Ihr Kurzauftritt ist furios. Für den Anlass haben sie eigens einen Song geschrieben: „Angela Merkel gibt ’ne Party“, skandiert Campino, „und wir kommen nicht rein.“ Später wird er noch Geldof und Bono assistieren, die sichtlich niedergeschlagen von ihrem Treffen vom Vortag mit Kanzlerin Merkel kommen und nichts bewegt zu haben glauben. Da kann nur ein Beatles-Song helfen. „You never give me your money“, singt Bono, „You always give me your funny papers.“ Die Stimme des U2-Sängers klingt in der Enttäuschung umso schöner.

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