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Türkei: Bettler ersticht deutschen Unternehmer wegen 47 Cent

Ein deutscher Unternehmer ist am Montag in einer Einkaufsstraße von Istanbul von einem Bettler erstochen worden. Bei dem Angriff auf den 45-Jährigen ging es offenbar um etwa einen halben Euro. Der Tod des Deutschen schockiert die türkische Öffentlichkeit.

Wie immer an einem sonnigen Sommertag ist die Istiklal Caddesi, die Straße der Unabhängigkeit, voller Menschen, als Gregor K. auf den Weg zu einem Treffen mit einem Geschäftspartner kurz Halt macht, um sich ein Eis zu kaufen. Im Gewühl der Haupteinkaufsstraße der Istanbuler Innenstadt spricht ein Bettler den 45-jährigen deutschen Unternehmer an, der in der Türkei zusammen mit seiner türkischen Verlobten eine Baufirma betreibt. "Ich habe Hunger", sagt der Mann. Eine Lira, umgerechnet etwa 47 Euro-Cent, will er von dem Deutschen. K. lehnt ab - wenige Minuten später ist er tot.

Immer wieder nervt der Bettler, der 26-jährige Ibrahim A., den Deutschen, wie die türkische Presse später unter Berufung auf Augenzeugen berichten wird. Doch K. bleibt hart und wehrt den Bettler mit eindeutigen Handbewegungen ab.

Was dann geschieht, wird von einer Überwachungskamera einer nahen Bank festgehalten: Der in Jeans, einem schwarzen T-Shirt und einer gelben Schirmmütze bekleidete Bettler läuft von hinten an den Deutschen heran, wirft ihn zu Boden, setzt sich auf das Opfer und sticht mit einem Brotmesser mindestens zweimal auf ihn ein, bevor er von ihm ablässt. Als zwei Polizisten, die zufällig in der Nähe sind, den Angreifer fassen, hat er das blutige Messer noch in der Hand. K.'s Verlobte Hatice I., die das Verbrechen miterlebte, identifiziert den Angreifer.

Unterdessen verblutet K. auf dem Pflaster. Als er nach langem Warten auf den Krankenwagen im Krankenhaus eintrifft, können ihn die Ärzte nicht mehr retten.

Der Tod des Deutschen hat die türkische Öffentlichkeit schockiert. "Wir sind sehr traurig", titelte die Zeitung "Vatan" in deutscher Sprache. K. sei als Unternehmer in die Türkei gekommen, um Arbeitsplätze zu schaffen, kommentierte ein anderes Blatt - doch er habe den Tod gefunden.

Ibrahim A. sei geistig verwirrt, wird berichtet. Vor einigen Monaten sei er bereits einmal in einer Nervenklinik behandelt worden, weil er Autoreifen angezündet hatte. Nach kurzer Zeit wurde er wieder entlassen. Geschäftsinhaber auf der Istiklal Caddesi kennen ihn als Obdachlosen, der auf der Straße lebte und seinen Lebensunterhalt mit Betteln bestritt. Laut einigen Berichten ist A. ein Klebstoff-Schnüffler.

A. soll im Polizeiverhör ausgesagt haben, er habe sich darüber geärgert, dass der Deutsche kein Geld herausrücken wollte und sei ausgerastet. Nach einigen Berichten ließ der 26-Jährige zudem ausländerfeindliche Tendenzen erkennen. Wie ernst diese angeblichen politischen Aussagen zu nehmen sind, war am Dienstag noch unklar. A. sollte im Laufe des Tages dem Haftrichter vorgeführt werden.

Für eine Metropole mit zwölf Millionen Einwohnern und einer himmelschreienden Wohlstandsschere zwischen Bitterarmen und Superreichen ist Istanbul eine außergewöhnlich sichere Stadt. Zwar gibt es, besonders in den touristisch interessanten Stadtteilen, Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl. Doch Gewaltverbrechen auf offener Straße, noch dazu im Herzen der Stadt, sind unerhört.

Deshalb und wegen der Tatsache, dass ein Ausländer zum Opfer des Verbrechens wurde, wurde in den Medien viel Kritik laut. Die Passanten hätten nichts getan, um dem Opfer beizustehen, obwohl der Deutsche um Hilfe gerufen habe, berichteten viele Zeitungen. "Alle schauten zu", lautete der bittere Kommentar der Zeitung "Milliyet". Erst als K. sterbend am Boden lag, kümmerten sich die Umstehenden um ihn. Einige Zeugen des Vorfalls sagten jedoch, sie hätten die Messerattacke für eine harmlose Schlägerei gehalten, in die sie sich nicht einmischen wollten.

Auch die Rettungsdienste stehen in der Kritik. Obwohl das nächste Krankenhaus nur zwei Minuten entfernt sei, habe es bis zu einer halben Stunde gedauert, bis der Krankenwagen zur Stelle gewesen sei, hieß es im türkischen Fernsehen.

Noch während über den Tod des Deutschen diskutiert wurde, verbreitete sich am Dienstag die Nachricht von einem neuen Beispiel sinnloser Gewalt in der Türkei: In einem Dorf bei Elazig in Nordostanatolien erschoss ein Vater gemeinsam mit seinen zwei Söhnen sechs Menschen, die auf den Feldern arbeiteten. Auch die mutmaßlichen Täter von Elazig galten in ihrem Dorf als nicht ganz richtig im Kopf.

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