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Bild der Vergangenheit. Ein Mann trinkt in Istanbul seinen Raki. Nach 22 Uhr ist der Verkauf von Alkohol in Supermärkten inzwischen verboten. Wirte und Restaurantbesitzer brauchen eine Extra-Lizenz.

© dpa

Türkei: „Casablanca“ nur noch ohne Whisky

Die Regierung Erdogan kämpft in Kneipen und Läden gegen den Alkohol – und neuerdings sogar in alten Filmen

Wollte man das Trinklied „In München steht ein Hofbräuhaus“ für die Türkei verfilmen, ginge das nur ohne Bierkrüge. Bei der berühmten Szene aus „Casablanca“, in der Humphrey Bogart vor einer Flasche Whisky sitzt und „As Time Goes By“ hört, muss ab sofort die Flasche so gerastert werden, dass sie nicht mehr als Schnaps zu erkennen ist. Nach den neuen Vorschriften zur Bekämpfung des Alkoholkonsums dürfen im türkischen Fernsehen keine Bilder mehr gesendet werden, die zum Trinken anregen – was beim Kehrreim „Eins, zwei, g’suffa“ sicher der Fall wäre. Bei Bogart sowieso.

Die neuen Regeln sind Teil eines Alkoholgesetzes der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die nach einem Jahr Schonfrist jetzt in Kraft getreten sind. Andere Teile betreffen Geschäfte, Kneipen und Restaurants in der Türkei: Sie dürfen nicht mehr mit Schildern, Emblemen oder Slogans von Alkoholmarken auf sich aufmerksam machen. Markisen, Sonnenschirme, Stühle und Tische mit dem Namen von Brauereien oder Whisky-Herstellern sind verboten. Die Betroffenen sind entsetzt.

Warnaufkleber auf Bierdosen und Flaschen

„Bei einer Moschee steht dran, dass es sie eine Moschee ist, bei einer Kirche steht drauf, dass sie eine Kirche ist“, sagt Ali Bayram, Besitzer der „Loop“-Bar im Istanbuler Vergnügungsviertel Beyoglu. „Es muss einfach draufstehen, um was es geht. Aber bei uns geht das nicht mehr.“

Bayram ist einer der rund 3000 Kneipenbesitzer in Beyoglu, für die das neue Regelwerk eine große Umstellung und potenziell empfindliche Umsatzverluste mit sich bringt. Selbst die Einrichtung der „Loop“-Bar kommt nicht ungeschoren davon. „Schauen Sie sich diesen Tisch an“, sagt er. „Den hat nicht der Staat bezahlt, sondern Efes.“ Efes ist die größte Brauerei des Landes, die bisher unzählige Kneipen und Läden mit Neonschildern, Kühlschränken und anderen Utensilien versorgt. Das geht jetzt nicht mehr. „Wo soll denn das Geld dafür in Zukunft herkommen?“, fragt sich Bayram.

Schon seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes im vergangenen Jahr ist der Verkauf von Alkohol in Geschäften und Supermärkten nach 22 Uhr verboten. Auch die Werbung für Bier, Wein und Schnaps in den Medien ist nicht mehr erlaubt. Jetzt kamen der Bann für Kneipenschilder und „Casablanca“-artige Szenen sowie eine Pflicht zur Platzierung von Warnhinweisen auf Alkoholflaschen und -büchsen hinzu. „Alkohol ist nicht dein Freund“, steht nun auf jeder Flasche „Efes“.

Türken sind die Trinkfreudigsten in der islamischen Welt

Erdogan, ein frommer Muslim, sieht den Alkohol als große Gefahr für die Gesundheit der Bürger, insbesondere der Jugend. Mit der Beschränkung des Alkoholverkaufs bedient er seine abstinente konservative Gefolgschaft, die nach staatlichen Angaben klar in der Mehrheit ist. Nach Zahlen des Gesundheitsministeriums trinken nur 23 Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen in der überwiegend muslimischen Türkei Alkohol.

Bisher hat Erdogan den Alkoholkonsum aber nicht senken können, im Gegenteil. Einer Statistik der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge stieg der Pro-Kopf- Verbrauch an reinem Alkohol in der Türkei von 1,4 Litern im Jahr 2002 – als die Erdogan-Partei AKP an die Regierung kam – auf 1,6 Liter heute. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet für die Türkei 2015 sogar mit 2,4 Litern pro Kopf, wobei die rund 30 Millionen Touristen im Land kräftig mithelfen dürften.

Die Pichler in der Türkei genehmigen sich zwar deutlich weniger als Deutsche oder Österreicher mit ihren jeweils rund zwölf Litern Alkohol pro Kopf oder als die Schweizer mit zehn Litern. Doch nach WHO-Angaben gehören die Türken in der islamischen Welt zu den trinkfreudigsten Zeitgenossen. Sie lassen Ägypter (0,4 Liter) oder Indonesier (0,6 Liter) weit hinter sich.

"Die wollen einen neuen Iran aus uns machen"

Für Leute wie Nurettin sind solche Zahlen nur ein schwacher Trost. Der 42-Jährige betreibt einen kleinen Laden in Beyoglu, der prall gefüllt ist mit Bier, Wein, Whisky und dem türkischen Nationalschnaps Raki. Nurettin möchte seinen Familiennamen nicht in der Zeitung sehen, weil er nicht will, dass die Behörden erfahren, wie er über die Alkoholregeln denkt.

Den Hinweis der Erdogan-Regierung auf die Gesundheitsgefahren durch Alkohol hält Nurettin für einen billigen Vorwand. „Die wollen einen neuen Iran aus uns machen“, schnaubt er. Das neue Gesetz macht ihm beträchtliche Schwierigkeiten. „Mein Umsatz ist um 90 Prozent gefallen“, sagt er, besonders wegen des Verkaufsverbotes nach 22 Uhr. Vorher verdiente er viel Geld mit Touristen oder Einheimischen, die auf dem Weg zum Hotel oder zu einer Party noch schnell eine Flasche Wein oder Raki mitnahmen. Damit ist Schluss. „Früher habe ich Raki für 3000 Lira am Tag verkauft“, sagt Nurettin. Das waren rund tausend Euro. „Heute sind es noch 300 Lira.“ Er ist nicht sicher, ob er sich noch lange halten kann. Auch Ismail Adin, ein anderer Ladeninhaber in Beyoglu, sieht schwierige Zeiten voraus. „Es wird immer schlimmer. Wenn das so weitergeht, dann wird Alkohol irgendwann einmal ganz verboten sein.“

Befürwortern der neuen Regeln wäre das vielleicht nicht unrecht. Die Organisation „Grüner Halbmond“, die sich dem Kampf gegen Zigaretten und Alkohol verschrieben hat, stellte sich hinter das neue Gesetz. In Westeuropa und den USA gebe zum Teil noch drastischere Einschränkungen des Alkoholverkaufs, erklärte der Vorsitzende Ihsan Karaman. Daran solle sich die Türkei ein Beispiel nehmen.

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