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In vielen Küchen gern gesehen. Doch im anatolischen Dorf Cayir ist Knoblauch unerwünscht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Türkei: Cayir - ein Dorf ohne Knoblauch und Kuhmist

Vor 25 Jahren haben die Bewohner von Cayir in Anatolien beschlossen, üble Gerüche aus ihrem Ort zu verbannen. Störungen der Dorfordnung werden bis heute nicht geduldet.

Die Sommersaison ist die Zeit, in der zehntausende Türken aus den großen Städten den Dörfern ihrer Kindheit oder ihrer Vorfahren einen Besuch abstatten. Viele schwärmen von der Idylle des Landlebens, einige aber sind geschockt von ärmlichen Zuständen und Kuhmist. Nicht so im kleinen Dorf Cayir in der südostanatolischen Provinz Bitlis: Die Ortschaft mit ihren gerade mal 150 Einwohnern hat seit 25 Jahren alle üblen Gerüche aus dem Dorf verbannt. Selbst Knoblauch ist verboten.

"Bei uns ist es blitzsauber und ganz anders als in anderen Dörfern", sagt Ortsvorsteher Evren Erdogan. Schon vor Jahrzehnten beschlossen die Bewohner von Cayir bei einer Versammlung des Dorfrates, Schluss zu machen mit dem Gestank, der sonst zum Dorfleben gehört. Alle Ställe wurden aus dem Ort verlegt, wo ausschließlich Kleinvieh wie Schafe gehalten werden. Kühe gibt es keine. Sie machen zu viel Dreck, sagen die Leute von Cayir.

Die Bewohner erlegten sich zudem ein Rauchverbot auf, was vor 25 Jahren eine kleine Revolution war. Landesweit gilt erst seit 2009 ein Rauchverbot für Teehäuser, Kneipen und Restaurants. Da die Türken ihre Zigarette lieben, wird das Verbot häufig umgangen. In Cayir dagegen gibt es keine Ausnahmen, betont Ortsvorsteher Erdogan: "Selbst Besuchern aus anderen Dörfern erlauben wir das Rauchen nicht."

Der Hang zu Sauberkeit und Wohlgeruch geht in Cayir so weit, dass die Verwendung von Knoblauch in den Küchen des Ortes tabu ist. Dabei ist Cayir nicht feiner oder reicher als andere Orte in der Gegend. Die Einwohner leben von ihren Schafen und vom Verkauf von Walnüssen. Aber in Cayir habe man sich eben vom Knoblauch-Geruch gestört gefühlt, sagt Erdogan.

Gefegte Straßen, Felder ohne Unkraut

Die Dorfstraßen werden regelmäßig gefegt, in den sauberen Gemüsefeldern wird das Unkraut gejätet – allerdings nicht von den Dorffrauen, wie das sonst in der Türkei üblich ist, sondern von den Männern. Frauen erledigen in Cayir die Hausarbeit und kümmern sich um die Kinder, gehen aber nicht auf die Felder.

Selbst die Schafe werden ausschließlich von den Männern gemolken. Auch das gehört zu den Besonderheiten des Ortes mit seinen beschaulichen Häusern aus roh behauenen Steinen. Störungen der Dorfordnung, etwa durch einen Aufstand rebellischer Teenager, die sich nicht an das Rauchverbot halten wollen, hat es nie gegeben, sagt Ortsvorsteher Erdogan: "Die Jungen tun, was die Alten sagen."

Neidische Nachbarn

Die Ortschaften in der Umgebung sind ganz normale anatolische Dörfer mit Kühen, Knoblauch und Zigaretten. Erdogan will beobachtet haben, dass die Nachbarn neidisch sind und auch gerne so leben würden wie die Leute in Cayir. "Aber sie schaffen es nicht", sagt er stolz.

Ganz in Ordnung ist die Welt von Cayir aber trotzdem nicht. Die Landstraße zum Dorf sei löchrig und verwandele sich bei Regen in eine Schlammpiste, beschwert sich Erdogan. Das passt nicht zum saubersten Dorf der Türkei, doch bei Missständen außerhalb des Ortes ist der Dorfrat machtlos.

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