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Türkei: "Ehrenmord" an einem Homosexuellen: Die Angst der anderen

Zum ersten Mal kommt es in der Türkei zu einem Prozess um den "Ehrenmord" an einem Schwulen. Der Kölner Lebensgefährte des Opfers sagt am Donnerstag vor Gericht aus. Der Hauptverdächtige ist der Vater des Getöteten.

Mit Politik hatte er eigentlich nichts am Hut. Ein Aktivist war er schon gar nicht. Doch inzwischen hat der 44-jährige Kölner Reiseverkehrskaufmann Ibrahim Can in der Türkei Berühmtheit als Kämpfer für die Rechte von Homosexuellen erlangt. Der Grund: Er hat den ersten Prozess wegen eines „Ehrenmords“ an einem Homosexuellen ins Rollen gebracht. Am heutigen Donnerstag wird der Deutsche mit türkischen Wurzeln vor der ersten Strafkammer für Kapitalverbrechen aussagen, was an jenem Sommerabend geschehen ist, als Cans Freund in der Türkei in seinen Armen starb.

Ibrahim Can ist überzeugt: Am 15. Juli 2008 wurde sein Freund Ahmet Yildiz Opfer eines Mordes im Namen der Ehre. Eine Bluttat, die begangen wurde, um die Schande zu beseitigen, die ein schwuler Sohn für eine patriarchalische Familie aus Ostanatolien bedeutet. Seit knapp einem Jahr war der Deutschtürke nun mit dem Physikstudenten zusammen, der aus einer Kleinstadt nach Istanbul gezogen war. Yildiz war vor seiner Wohnung im Stadtteil Üsküdar in sein Auto gestiegen, als er aus einem vorbeifahrenden Wagen mit einer Neun-Millimeter-Waffe fünf Mal beschossen wurde. Ein Projektil streifte ihn, ein zweites war tödlich. Ibrahim Can hörte in der Wohnung die Schüsse, rannte runter und zu ihm. „Wir blickten uns an, dann starb er.“

Der Hauptverdächtige ist der Vater des Opfers. Sein Sohn Ahmet hatte wenige Wochen vor seinem Tod im schwulen Onlinemagazin „Beargi“ sein Coming-out beschrieben. „Ich habe es gesagt. Meinem Vater. Am Telefon“, schrieb er. Der habe vor Entsetzen nichts geantwortet, obwohl es die Familie schon lange ahnte. Mehrfach habe sie ihm zuvor die „Pistole auf die Brust gesetzt“, weil er ihnen solche Sorgen bereite. Er möge doch zum Arzt gehen und sich therapieren lassen.

Ernste Drohungen kamen laut Can erst nach dem Comingout. Ein Onkel soll in einer E-Mail geschrieben haben: „Du wirst sterben, wenn du nicht normal wirst.“ Sein Bruder habe Ahmet noch wenige Tage vor dem Mord gewarnt. Ahmet Yildiz erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Üsküdar, sagte, er werde bedroht. Die Behörde nahm das zu Protokoll, erklärte sich jedoch für nicht zuständig, wie aus der Ermittlungsakte hervorgeht. Demnach lieh sich Yahya Yildiz, der Vater, am 15. Juli 2008 einen gelben Fiat von einem Istanbuler Freund, fuhr zur Adresse seines Sohnes und schoss auf seinen Sohn. Gegen den Vater liegt inzwischen ein Haftbefehl vor. Doch der 50-jährige bankrotte Gemüsehändler aus Südanatolien ist auf der Flucht, der letzten Handyortung zufolge im Irak. „Ich hatte schon befürchtet, es gibt gar keinen Prozess“, sagt Ibrahim Can. Lange sah es auch danach aus: Die Polizei hatte den unter Schock stehenden Can vom Tatort zum Verhör mitgenommen und ihm geraten, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Er habe selbst darauf bestehen müssen, eine Aussage zu Protokoll zu geben. Zurück in Köln hat Can Homosexuellenverbände und internationale Medien aktiviert, Politiker angeschrieben und den Fall an die Öffentlichkeit gebracht. In der Türkei hatten Schwulen- und Lesbenvereine die Polizei in einem offenen Brief aufgefordert, den Fall aufzuklären.

„Ohne diesen Druck hätte es keinen Prozess gegeben“, sagt Can. Auch wenn es bislang der erste Prozess dieser Art ist – Ehrenmorde an Homosexuellen gibt es immer wieder. „Allein in den letzten zwei Jahren haben wir etwa 30 auf der Straße getötete Schwule und Lesben gezählt“, sagt Haziran Düzkan vom Homosexuellenverein Lambda. Oft handle es sich dabei um sogenannte Ehrenmorde durch Familienangehörige. Kein einziger dieser Fälle habe bislang zu einer ernsthaften Verfolgung durch die Justiz geführt. Die Täter würden von der Justiz vielmehr wegen „schwerer Provokation“ durch die homosexuelle Erscheinung der Opfer entschuldigt. Das Verhältnis der Türkei zu Homosexualität ist gespalten: Auf der einen Seite gibt es in Istanbul eine der größten Schwulenszenen Europas. Homosexuelle Sänger und Schauspieler werden nicht nur akzeptiert, sondern finden auch unter Männern viele Bewunderer. Jenseits des roten Teppichs im Alltag machen Schwule und Lesben allerdings oft negative Erfahrungen. Im Bericht von Human Rights Watch von 2008 beklagt die Menschenrechtsorganisation, dass vor allem Homosexuelle in der Türkei mit Schlägen und Raubüberfällen auf der Straße rechnen müssen. Von der Polizei werden sie demnach oftmals schikaniert, ohne Folgen für die Beamten.

Kürzlich hat die türkische Familienministerin Selma Aliye Kavaf von der islamischen Regierungspartei AKP erklärt, sie betrachte Homosexualität als „biologischen Defekt, als eine Krankheit“, die man behandeln müsse. Der Homosexuellenverband LGBTT rief zu einer Demonstration gegen die Ministerin auf, ein anderer will die Ministerin verklagen.

Der Prozess um Ahmet Yildiz wurde in türkischen Medien als „neue Ära der Rechtsstaatlichkeit“ gefeiert. Ob es zu einem Urteil kommt, ist unklar. Ibrahim Can will weiterkämpfen. Schwulsein dürfe in islamischen Ländern nicht länger bedeuten, Angst zu haben.

Ferda Ataman

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