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© dpa

Tunnelbau: "Ich könnte ewig buddeln"

2300 Männer graben den Gotthard-Basistunnel durch die Alpen – der Weg in den Süden soll schneller und sauberer werden.

Rums. Die Stahltür rastet ins Schloss. Ein Rucken erfasst die Kabine. Dann fällt sie in die Tiefe. Schnurgerade. Pro Sekunde rast der Lift zwölf Meter nach unten, vorbei an alpinem Gestein, kalt, feucht und dunkel. „Wir legen insgesamt 800 Meter zurück, vertikal“, brüllt Ingenieur Yves Bonanomi. „Halten sie sich fest, sie sollten … unbedingt …“ – die letzten Anweisungen gehen im Lärm unter. Die anderen Passagiere zeigen keine Regung. Sie dringen jeden Tag in das Innere des Gotthards vor. Der Aufzug bremst ab, die Landung am Ende des Schachts ist weich, die Tür öffnet sich. Die Arbeiter in ihren orangefarbenen Anzügen strömen heraus. Schon vor Schichtbeginn bedeckt Staub ihre Gesichter, die Finger stecken in groben Handschuhen. Einige werfen einen schnellen Blick auf die Statue der heiligen Barbara, murmeln ein paar Worte. Barbara, die Schutzpatronin, soll die Bergleute vor Unglück bewahren. Nach wenigen Minuten verlieren sich die Mineure in dem steinernen Labyrinth.

Ihre Mission: Sie buddeln den längsten Eisenbahntunnel der Welt, den 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel. „Die Röhren gelten auch als das größte Bauwerk der Schweiz, das versteht sich ja fast von selbst“, ruft Bonanomi stolz.

Im Berg vollzieht sich ein gigantisches Ringen der 2300 Mann starken Crew mit den Millionen Jahre alten Schweizer Alpen; ein Ringen, das die Natur vor dem Menschen besser schützen soll: Das Tunnelsystem der Alp Transit Gotthard AG wird nach seiner Fertigstellung den immer stärker anschwellenden Güter- und Menschenstrom über die Alpen kanalisieren: Sanft und sauber.

Das Schweizer Jahrhundertprojekt ist auch ein Projekt der Deutschen: Jeder vierte Mineur stammt aus der Bundesrepublik, Maschinen aus dem „großen Kanton“ fressen sich durch die Steinmassive, die Tunnelsprache ist deutsch.

Mitte Juni reichten sich die Mineure der beiden Teilabschnitte Erstfeld und Amsteg im Tunnel die Hände und feierten einen weiteren Durchstich. „Läuft alles wie geplant, dürfen wir 2011 im Gotthard-Basistunnel den letzten Durchstich feiern“, erklärt Renzo Simoni, Chef der Alp Transit. 2017 wollen die Politiker den Basistunnel dann feierlich dem Verkehr übergeben. Dann wird die Strecke durch die Alpen für Züge um 40 Kilometer kürzer und sie können bis zu 80 Stundenkilometer schneller fahren als jetzt. Nord- und Südeuropa, Deutschland und Italien kommen sich so ein großes Stück näher. Die Transportkapazität soll sich von heute 20 Millionen Tonnen pro Jahr auf 40 Millionen Tonnen verdoppeln, denn längere Güterzüge können mit bis zu 4000 Tonnen Ladung durch die Röhren sausen, heute ziehen sie nur 2000 Tonnen hinter sich her. Der Clou: Die „Rollende Autobahn“ – Lkws werden auf die Waggons geschnallt. Diese Huckepacklösung soll die Brummis davon abhalten, wie gerade dieser Tage in der Sommerferienzeit lärmend und stinkend über die Bergrouten zu schnaufen oder stundenlang im Stau zu stehen.

Ingenieur Bonanomi steigt eine schmale Treppe hoch und zeigt in beide Richtungen. Das dämmrige Licht erhellt das Innere des Berges nur schwach. „Die beiden Röhren für die Eisenbahn sollen Erstfeld im Norden und Bodio im Süden direkt verbinden“, erklärt er. Ein dritter Tunnel dient als Rettungsweg. „Unsere Männer müssen weiter bohren, wir sehen noch kein Licht am Ende des Tunnels.“ Er zeigt auf den Rand einer Röhre. Dort hinten wütet ein monströser Apparat – es ist die Tunnelbohrmaschine (TBM) der deutschen Firma Herrenknecht aus Schwanau. Die TBM fräst ihren riesigen Bohrer Zentimeter um Zentimeter durch die Gesteinsschichten, jeder Meter kostet ein kleines Vermögen: 20 000 Euro. Oft müssen die Mineure ihr den Weg frei sprengen: Sie bohren Löcher, stecken Sprengstoff hinein und zünden. Dieses „drill and blast“ kostet pro Meter sogar mehr als 40 000 Euro. Insgesamt schlägt der Gotthard Basistunnel mit 4,6 Milliarden Euro zu Buche. Finanziert wird das Mammutprojekt zu zwei Drittel durch eine Lkw-Maut und zu einem Drittel vom Steuerzahler. Das Schweizer Wahlvolk segnete alles ab.

Ingenieur Bonanomi stapft weiter durch die Röhre. Vor einer Pfütze erklärt er: „Im Gebiet der heutigen Alpen erstreckte sich vor Jahrmillionen ein Ur- Ozean mit Meeressedimenten. Als die europäische und die afrikanische Platte aufeinander trafen, wurden diese Gesteine aus dem Meer gehoben und ineinander geschoben.“ Ein gigantisches Pressen, Walzen und Stapeln schuf in Millionen von Jahren die Alpen. Jetzt holen die Arbeiter Stein und Schlamm wieder aus dem Berg heraus: Insgesamt bauen sie 13,3 Millionen Kubikmeter ab – das entspricht fünfmal der Cheops-Pyramide in Ägypten.

„Ich pumpe den Schlamm hier in die Waggons“, erzählt Peter aus Bad Hersfeld und zeigt auf vier Schalenwaggons. Schläuche füllen sie langsam mit brauner Masse. Peter dreht sich um, gibt ein paar Anweisungen an Mitarbeiter. Dann blinken rote Lampen. Ein Tuten. Die Waggons setzen sich ruckelnd in Bewegung. Während er erzählt, hat er den Zug im Blick. Die tonnenschweren Geräte würden jeden Menschen, der im Weg steht, zermalmen. Seit Beginn der Arbeiten 1996 ließen 11 Menschen ihr Leben im Berg. Es waren „normale Unfälle“, heißt es. Ein Arbeiter starb im Steinschlag.

Trotz der Gefahren: Der „Schlammmann“ liebt seinen Job. „Ich mache das sehr gerne, ich will bis zum Ende des Projekts hier bleiben“, sagt er. Ihn stört es nicht, dass er zehn Tage hintereinander im Tunnel arbeiten muss, gefolgt von vier freien Tagen. Ihn nervt es auch nicht zu sehr, dass er seine Familie im fernen Bad Hersfeld nur selten sieht. „Na und?“ fragt er. „Viele Männer aus Deutschland würden sich doch um einen Job bei uns reißen.“ Der ehemalige Lagerarbeiter vermittelte schon drei Bewerbungen von Freunden aus der Heimat.

Auch Steffen aus Wolfen in der Nähe von Leipzig schwärmt vom Tunnel. Er steht im Halbdunkel und inspiziert die strapazierte Technik des Lifts. „Ich kann mir keinen anderen Job mehr vorstellen, von mir aus könnten wir ewig buddeln“, ruft Steffen und wischt sich den staubigen Schweiß von der Wange. Was bietet das Leben in der Tiefe den Männern? Abenteuer? Kameradschaft? Vielleicht ist es auch das Geld: Im Tunnel gibt es selbst für Arbeiter ohne Qualifikation über 4 600 Euro im Monat.

Nicht immer ging es den Männern im Berg so gut: Die Arbeiten am ersten Gotthardtunnel begannen 1872, viele Italiener heuerten bei der Genfer Baufirma „Entreprise du Grand Tunnel du Gothard“ an. Wassereinbrüche, wackelige Gesteinsmassen, Gaswolken der Sprengungen und Hitze bis zu 40 Grad Celsius machten das Leben zur Hölle. Dutzende kamen im Schacht um. Schlafen mussten sie in schmutzigen Verschlägen, vom kargen Lohn hatten sie die Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz zu berappen. 1875 rebellierten die Mineure, sie wollten mehr Geld und mehr Sicherheit. Die Tunnel-Gesellschaft trommelte eine Miliz zusammen. Die Bewaffneten richteten ein Blutbad an. Das Massaker stoppte den Bau nur kurz, 1882 fauchte die erste Lokomotive durch den Tunnel, die umliegenden Dörfer profitierten: Die Bahn brachte Menschen, Güter und Geschäfte.

Auch heute klingelt rund um den neuen Tunnel die Kasse: Sedrun erhält jedes Jahr drei bis vier Millionen Franken Steuern von Tunnelbetreibern und Arbeitern. Hotels der Region beherbergen die Mineure: „Klar, da fällt für die Gastronomie einiges ab“, sagt Frédéric Füssenich, Chef des Tourismusverbandes. Gibt es Probleme mit den Männern aus dem Tunnel, schließlich sind auch viele Fremde unter den Arbeitern? „Nein“, sagt Füssenich. „Die haben ihr eigenes Leben da unten.“

Einer blieb sogar für immer: Ein Schachtbohrer aus Südafrika fand am Gotthard die Frau fürs Leben.

www.alptransit.ch

Jan Dirk Herbermann[Sedrun]

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