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Panorama: Über alle Ufer

Das schlimmste Hochwasser seit hundert Jahren schnitt in Österreich ganze Dörfer von der Außenwelt ab

Von Ulrich Glauber, Wien

Ein Jahrhundertregen hat im Nordosten Österreichs und im angrenzenden Tschechien Bäche in reißende Ströme verwandelt. In der Nacht zum Donnerstag wurden ganze Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten, tausende Eingeschlossene mussten mit Hubschraubern und Booten von den Dächern ihrer Häuser gerettet werden. Ein deutscher Tourist in Österreich wird bereits seit Mittwochmorgen vermisst. Der 36-Jährige aus Nordrhein-Westfalen ist nach Behördenangaben möglicherweise in die Hochwasser führende Saalach gestürzt. Es wurde weiter nach ihm gesucht.

Dramatisch war die Situation am Donnerstag in den unmittelbar südlich der tschechischen Grenze gelegenen Bundesländern Österreichs. Als der niederösterreichische Landesvater Erwin Pröll sich am frühen Morgen nach Ausrufung des Katastrophenalarms im Waldviertel ein Bild von der Lage machte, sagte er sichtlich betroffen: „Es ist fassungslos, was wir hier erleben.“ Der Versprecher des Landeshauptmanns (Regierungschefs) mag an der dramatischen Situation gelegen haben: Das Flüsschen Kamp – normalerweise einen Meter tief – schwoll zu einer Sturzflut von sechs Metern Höhe an. Im engen Tal der Ausflugsregion 100 Kilometer nordwestlich von Wien, mit seiner Bebauung bis dicht ans Ufer, zerstörte die reißende Strömung Häuser, unterspülte Straßen und riss Brückenpfeiler weg.

„Die Dämme halten, obwohl wir bei der Durchflussmenge fast vier Fünftel der Auslegung erreicht haben“, beruhigte ein Experte des zuständigen Landwirtschaftsministeriums in Wien Besorgnisse wegen der drei Stauseen im Kamptal, in denen sich Tonnen von Treibholz angesammelt hatten. Vom nahen Weinstädtchen Langenlois aus wurden noch am Donnerstagmittag Menschen aus der Umgebung gerettet, die während der Nacht in Panik über das blitzartige Ansteigen der Fluten auf die Dächer ihrer Häuser oder auf Bäume geklettert waren. In Krems standen auch am Donnerstag noch Teile der Altstadt unter Wasser. In Oberösterreich, wo in 40 Stunden zwei Drittel der üblichen Niederschlagsmenge eines Jahres gefallen war, entspannte sich die Lage im Laufe des Donnerstags nur leicht. Allerdings waren auch im Mühlviertel nördlich der Donau noch einige Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten. Dort harrten am Nachmittag Hochwasser-Opfer in ihren eingeschlossenen Häusern aus. Die Bevölkerung in den Überschwemmungsgebieten wurde aufgefordert, das Trinkwasser abzukochen, da dessen Quellen verunreinigt sein könnten.

Bis zum Mittag wurden bereits etwa 1000 Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht. Mehr als 5000 Feuerwehrleute und andere Rettungskräfte waren im Einsatz. „So etwas habe ich mein Lebtag nicht gesehen“, war der häufigste Kommentar auch bei älteren Bewohnern in den Hochwasserregionen. Experten sprachen von den schlimmsten Überschwemmungen seit einem Jahrhundert. In den österreichischen Medien wird angesichts des Rekordregens die Frage diskutiert, ob ein Zusammenhang mit dem Klimawandel existiert. „Jedes Jahr haben wir so etwas nicht zu erwarten“, sagte die Wiener Wisssenschaftlerin Helga Krompp-Kolb im Österreichischen Rundfunk. „Aber diese Wetterlage könnte infolge des Klimawandels öfter auftreten.“

In Rumänien starben zwei Menschen durch das Hochwasser, darunter ein achtjähriger Junge, der in einen Abwasserkanal fiel und ertrank. In Tschechien kam in der Nacht zum Donnerstag eine 21-jährige Studentin ums Leben. Ein durch die Wassermassen entwurzelter Baum war auf die Hütte gefallen, in der die Leiterin eines Ferienlagers übernachtete.

Einige Stadtteile der Stadt Ceske Budejovice (Budweis) mit 100 000 Einwohnern mussten evakuiert werden, weil das Hochwasser des Flüsschens Malse zum Teil bis zum ersten Stock der Häuser gestiegen war. Der regionale Sender des Tschechischen Rundfunks war zur Einstellung des Betriebs gezwungen, weil der Keller des Funkhauses in Budweis überschwemmt war. Zudem musste in Ceske Budejovice wie im nahe gelegenen Moldau-Städtchen Cesky Krumlov (Krumau) wegen der Überschwemmungen der Strom abgestellt werden. „Wir sind nachts von Lautsprecherwagen mit der Durchsage geweckt worden, wir sollten für alle Fälle das Notwendigste einpacken“, berichtete ein tschechischstämmiger Rentner, der auf Verwandtenbesuch nach Budweis gekommen war. Der 77-Jährige konnte sein Auto in der Nacht noch auf einem höher gelegenen Parkplatz in Sicherheit bringen, bevor das Haus seiner Gastgeber völlig vom Wasser eingeschlossen wurde.

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