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Panorama: Über allem kreisen die Geier

TEGUCIGALPA .Miramesi ist nicht mehr.

TEGUCIGALPA .Miramesi ist nicht mehr.Dort wo einst 400 Häuser standen, strömt nun eine braune Brühe."Der Fluß hat sie mitgenommen", seufzt Raul Reyes und kann beim Blick über Schutt und Geröll die Tränen kaum unterdrücken.Denn der Rio Choluteca, ein sonst zahmes Rinnsal, verwandelte sich vor einer Woche in ein reißendes Wildwasser.

"Wir konnten unsere Haut retten, aber das ist auch schon alles", erzählt der 27jährige, der nicht nur obdach-, sondern gleich auch noch arbeitslos wurde.Denn die Fabrik, für die er als Verkäufer arbeitet, wurde ebenfalls ein Opfer von Hurrikan Mitch.Der Wirbelsturm, der Ende Oktober Zentralamerika heimsuchte, hat durch die honduranische Hauptstadt Tegucigalpa eine Schneise der Zerstörung geschlagen.Tagelange Regenfälle rissen Brücken, Straßen und Gebäude weg.Sie schwemmten den Boden von den Steilhängen und füllten die Häuser mit Schlamm.Und sie lehrten die Hauptstädter das Grauen.

"Dios mio, dios mio", klagt Carmesina Perez, eine füllige Marketenderin, die am siebten Tag nach der Katastrophe verzweifelt nach ihren Verwandten sucht.Doch keiner kann ihr in dem Viertel sagen, wo die Familie abgeblieben ist.In einer Notunterkunft? Bei anderen Familienmitgliedern? Vielleicht gar in einem der Massengräber, die in der Not ausgehoben wurden.Wieviele Opfer landesweit noch unter Schutt und Schlamm begraben liegen, weiß keiner.

Wie betäubt versuchen die Einwohner eine Woche nach Mitch mit der Katastrophe fertigzuwerden.Tapfer geben Regierungsvertreter Losungen vom Aufbau eines "neuen Landes" aus.Hilfe kommt aus der ganzen Welt.Aus Deutschland, der Schweiz, aus Japan, den USA und aus anderen lateinamerikanischen Ländern.Millionenkredite werden ohne großes Federlesen genehmigt.

Die internationale Gemeinschaft ist der einzige Rettungsanker für ein Land, das bereits vor Mitch zu den ärmsten Lateinamerikas zählte."Wir haben noch für zwei Tage Essen", meint Marina Zeledona, deren Sohn Jose zehn Tage vor Mitch das Licht der Welt erblickte."Hineingeboren in das Elend", murmelt die Frau, die trotz alledem ein Lächeln zustande bringt.

Stoisch, fatalistisch, gottergeben - so erträgt Honduras Bevölkerung die Naturkatastrophe.Da ist der Taxifahrer, der mitreißende Merengue-Musik spielt, während er sein Gefährt durch die Schlammstraßen kurvt.Der Angestellte, der den Verlust seiner Mutter mit einem knappen Satz kommentiert."Se la llevo el rio" - der Fluß hat sie weggetragen.Oder der Bürgermeister von Morolica, der über 100 Kilometer zu Fuß durch die windgepeitschte Nacht lief, um Behörden mitzuteilen, daß von einst 228 Gebäuden seines kleinen Ortes nur eines stehenblieb: die Kirche.

"Dieses arme Land ist nun noch ärmer", fürchtet Pfarrer German Kalix, der Direktor der Caritas in Honduras.Die Caritas, das Hilfswerk der katholischen Kirche, stieg zu den ersten Adressaten bei der Soforthilfe auf.Denn nicht nur verfügt die Kirche mit ihren sieben Diözösen über ein enggeknüpftes Netzwerk im gesamten Land.Mißtrauen gegenüber staatlichen Institutionen läßt viele Spender Zuflucht bei den Gottesdienern suchen.Selbst die Regierung von Carlos Flores trug dem Rechnung und bestimmte, daß die Kirche für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig sei.

Die Menschen waren vorgewarnt, behauptet die Regierung eisern.Doch viele wollten aus Angst vor Plünderung ihre Häuser nicht verlassen.Mit ein Grund war auch, daß Mitchs unberechenbarer Kurs die Häuptstädter und viele Menschen im Landesinneren völlig unvorbereitet traf.

Doch einer der Hauptgründe für die große Tragödie ist ein anderer.Es ist die schlichte Tatsache, daß die Menschen "dort leben müssen, wo sie leben", so Wolfgang Stiebens.Nämlich in sogenannten Risikozonen, an Hängen, entlang von Flußbetten, auf Land, das so wertlos ist, daß es niemand anderer will."Etwas anderes können sie sich einfach nicht leisten", meint der Leiter eines Projekts zur Katastrophenvorsorge der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ).

Doch anders als im benachbarten Nicaragua, wo Präsident Arnoldo Aleman ausgebuht und mit Schimpfworten bombardiert wurde, halten sich die meisten Honduraner bislang mit Kritik an ihrer Regierung zurück."Wenn die aktuelle Krise aber keine profunden Veränderungen mit sich bringt", urteilt der politische Analyst Manuel Torres Calderon, "kann es zu einer Periode der Instabilität und der internen Spannungen kommen."

"Schuld? Hier hat keiner Schuld", sagt Dona Cruz."Mitch hat mein Leben ruiniert, aber es mir nicht genommen.Gracias a Dios", sagt sie und schickt schnell einen dankbaren Blick zum Himmel, wo die Geier kreisen.

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