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Panorama: Über die Piste hinausgerast

Nach dem schwersten Flugzeugunglück seit 14 Jahren rätselt Indien über die Ursachen

Es nieselt angeblich leicht, als die Maschine der indischen Fluglinie Air India Express am Samstag gegen sechs Uhr morgens in der südindischen Stadt Mangalore zur Landung ansetzt. Der Flug IX 812 kommt aus Dubai. 166 Menschen sind an Bord, darunter vier Babys, 19 Kinder und 42 Frauen. Die Sicht ist mit sechs Kilometern normal, eine Routinelandung, so scheint es – bis die Maschine den Boden berührt. Plötzlich habe er einen dumpfen Schlag gehört, erzählt Umer Farooq. „Dann geriet die Maschine außer Kontrolle, schoss über die Landebahn hinaus, schlitterte an Bäumen vorbei und die Kabine war sofort mit Rauch gefüllt.“

Binnen Minuten verwandelt sich die Boing 737-800 in eine Flammenhölle. 159 Menschen sterben, viele verbrennen oder ersticken qualvoll. Über Stunden brennt die Maschine, die in eine bewaldete Schlucht gerast und in zwei Teile zerbrochen ist, vor sich hin. Weil der Rauch so dicht und das Gelände hügelig ist, kommen die Löschfahrzeuge nur schwer an das Wrack heran.

Bis zum Abend werden 146 Leichen geborgen. Fast alle Passagiere waren Inder, die in den Golfstaaten arbeiteten und die Heimat besuchen wollten. Von 60 Toten ist am frühen Morgen in den Fernsehsendern zunächst die Rede, doch dann steigt die Todeszahl Stunde um Stunde immer höher. Es ist das schlimmste Flugzeugunglück seit 14 Jahren auf dem Subkontinent. Nur acht Passagiere können aus dem Flammeninferno fliehen. Farooq gehört zu ihnen, er kam mit Verbrennungen im Gesicht, an Beinen und Armen davon. Die Maschine sei außer Kontrolle geraten, als sie den Boden berührte, und sei auf irgendwas geprallt, erzählt KP Manikutty, ein anderer Überlebender. „Dann ist sie in der Mitte zerbrochen und hat Feuer gefangen. Ich bin aus dem Riss gesprungen.“

Nur Stunden nach der Tragödie rätselte das geschockte Land am Samstag, was die Bruchlandung verursachte: War es ein Pilotenfehler, ein geplatzter Reifen oder die schwierigen Bedingungen auf der 1,7 Kilometer langen, brandneuen Landebahn? Gesichert scheint, dass der Pilot keinen Notruf abgab, also alles sehr schnell ging. Die Flugbedingungen in Mangalore gelten als schwierig, weil der Airport am Rande der Stadt auf einem Hügel liegt. „Landungen in Mangalore sind immer eine beängstigende Erfahrung“, meinte ein Journalist, der regelmäßig dort hinfliegt. Einige Medien berichteten, das Flugzeug sei gegen einen Radarturm geprallt.

Der Überlebende Farooq meinte dagegen, er habe vor dem Crash ein Geräusch gehört, als ob ein Reifen geplatzt sei. Dies wies Luftverkehrsminister Praful Patel zurück. Die gerade zwei Jahre alte Boeing habe keinen Defekt aufgewiesen, erklärte Patel. Die Landebahn sei trocken gewesen. Auch die Piloten hätten mit 10 000 Flugstunden über reichlich Erfahrung verfügt und Mangalore gekannt. Nun werde zunächst der Flugschreiber ausgewertet.

Doch Patels Äußerungen legten indirekt nahe, dass der ausländische Pilot Zlatko Glusica vielleicht den Landepunkt verpasste und – möglicherweise beim erneuten Durchstarten – die Kontrolle über die Maschine verlor. Unter Berufung auf ungenannte Quellen streuten indische Fernsehsender, man vermute einen Pilotenfehler. Der Brite serbischer Herkunft habe sich bei der Landung verschätzt.

Die Vereinigung Indischer Piloten kritisierte dagegen, die Behörden machten es sich zu leicht, das Unglück einfach dem toten Piloten anzulasten. Indien habe mangelhafte Sicherheitsstandards. Der Gründungspräsident der Vereinigung, der Pilot MR Wadia, sagte, immer wieder habe es in den vergangenen Jahren Unfälle und Beinahe-Crashs gegeben. „Indien hat eine der höchsten Raten von Flugunfällen in der Welt. Aber bis heute haben wir traurigerweise keine Experten und keine unabhängige Behörde für Flugsicherung“, kritisierte Wadia. Seit Jahren wächst der Flugverkehr in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht fast jedes Jahr zweistellig, die Airlines liefern sich erbitterte Preiskämpfe, die Kapazitäten halten kaum mit. Auch der Billigableger Air India Express der Staatslinie Air India steht unter massivem Kostendruck, allerdings hat er bisher eine gute Sicherheitsbilanz.

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