zum Hauptinhalt
299288_0_e9bb7999.jpg

© dpa

Überschwemmungen: „Allah steh uns bei – der große Regen kommt erst noch“

Nach der Sintflut räumt Istanbul auf. Während für das Wochenende bereits die nächsten Unwetter angekündigt werden, beginnt auch der Streit um die Ursachen der Katastrophe.

Istanbul - Turgut Zengin hat Glück gehabt, er hat überlebt. Der türkische Lastwagenfahrer war am Mittwochmorgen auf einem Parkplatz von der Istanbuler Katastrophenflut überrascht und aus dem Führerhaus seines Trucks gespült worden. Die anschwellenden Wassermassen pressten Zengin gegen einen Wall aus Treibgut, ein schwerer Container klemmte seine Beine fest, und so stand er fast eine halbe Stunde lang im hüfthohen, tosenden Wasser und schrie verzweifelt um Hilfe, doch die Helfer kamen nicht an ihn heran. Acht von Zengins Fahrerkollegen ertranken. Er selbst wurde schließlich durch die sonst so zerstörerische Kraft des Wassers gerettet: Der reißende Strom rückte den Container ein Stück beiseite und gab seine Beine frei.

Aufräumarbeiten und erste Ermittlungen

Zengins Schicksal wurde am Donnerstag in der türkischen Presse als „wundersame Rettung“ gefeiert, an einem Tag, an dem es sonst nicht viel zu feiern gab. Die Zahl der Todesopfer stieg auf 32, mindestens acht Menschen wurden noch vermisst. Die Justiz leitete Untersuchungen wegen der Todesfälle und wegen der Plünderungen ein, die nach der Flut eingesetzt hatten. Für einen weißen Transporter interessierte sich die Staatsanwaltschaft ganz besonders. In dem Fahrzeug waren sieben Arbeiterinnen einer Textilfabrik ertrunken, als sie auf dem Weg zur Arbeit vom steigenden Wasser überrascht wurden. Drei Frauen im Vorderteil des Wagens konnten sich befreien, doch für ihre Kolleginnen im hinteren Wagenteil gab es keine Rettung, denn dort gibt es weder Tür noch Fenster: Der Kleinbus ist für den Gütertransport gedacht, nicht für die Personenbeförderung. Vertreter der Firma wurden am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt.

Mit Baggern, Kränen und anderem schweren Gerät kämpften sich Bergungstrupps unterdessen durch die von der Flut verwüsteten Gebiete im Istanbuler Westen. Die vierspurige Autobahn nördlich des Atatürk-Flughafens, die sich nach der Sintflut in einen reißenden Strom verwandelt hatte, wurde am Donnerstagmittag wieder für den Verkehr geöffnet.

Streit um die Ursachen der Katastrophe

Wie dauerhaft diese Rückkehr zur Normalität sein wird, weiß niemand. Gouverneur Muammer Güler warnte die Istanbuler bereits, am Freitag und am Wochenende werde es in der Zwölf-Millionen-Stadt erneut schwere Wolkenbrüche geben. „Allah steh uns bei“, sagte er. Schon in der Nacht zum Donnerstag sorgten einige schwere Schauer dafür, das etliche Häuser unter Wasser gesetzt und Straßen gesperrt wurden. Ein achtstöckiges Wohnhaus musste geräumt werden.

Die Gründe für die „Jahrhundert-Katastrophe“, wie Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Flut nannte, sind umstritten. Die Behörden verweisen auf die Rekordmenge an Niederschlägen. Doch die Presse warf Erdogan eine persönliche Mitschuld vor. Als Istanbuler Oberbürgermeister habe er nach einer ähnlichen Überschwemmung in derselben Gegend 1996 nichts unternommen, um Missstände abzustellen.

Eine offiziell genehmigte Todesfalle

Das Flutungsgebiet nördlich des Atatürk-Flughafens erstreckt sich entlang des kleinen Flüsschens Ayamama, doch der Flußlauf ist zwischen Straßen und Fabrikgebäuden eingequetscht. Kein Wunder, dass es hier eine Katastrophe gab, sagte Oppositionschef Deniz Baykal bei einer Ortsbesichtigung: Der Lastwagen-Parkplatz, auf dem Turgut Zengin um sein Leben kämpfte, liegt direkt neben einem Wasserlauf – und war doch von den Behörden abgesegnet worden: eine offiziell genehmigte Todesfalle, denn auf dem Parkplatz war das Wasser am Mittwoch innerhalb von wenigen Minuten fünf Meter hoch gestiegen. Nicht die Natur mit ihren schweren Regenfällen sei schuld, sagte Baykal. Hier lägen schwere Fehler der Behörden vor.

Die Regierung, mit Erdogan an der Spitze, gelobte Besserung. „Wir müssen alle Gebäude in den Flussbetten abreißen. Und mit dem Ayamama-Tal fangen wir an“, sagte der Ministerpräsident. Wie er das in einem dicht bebauten Industriegebiet anstellen will, behielt Erdogan für sich. Auch nach der Überschwemmung von 1996 habe Erdogan Verbesserungen versprochen, erinnerte die Zeitung „Milliyet“ ihre Leser: „Hätte er damals Wort gehalten, wäre diese Katastrophe vielleicht nicht geschehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false