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© dpa

Unglück in Nachterstedt: Risse im Schuppen

Plötzlich haben es alle schon vorher gwusst. Auch die Bewohner von Nachterstedt sollen schon vor Jahren Bodensenkungen bemerkt haben. Am Donnerstag wurde die Unbewohnbarkeit der betroffenen Siedlung festgestellt.

Hat es vor dem Unglück von Nachterstedt Hinweise auf die Katastrophe gegeben? Am sechsten Tag nach dem Erdrutsch an einem Tagebausee, der drei Menschen das Leben gekostet hat, sorgen widersprüchliche Berichte über mögliche Vorwarnungen für Verwirrung. Demnach sollen Bewohner der betroffenen Siedlung schon vor Jahren auf Risse in Gebäuden hingewiesen haben. Medienberichten zufolge stellte ein Mann Risse in seinem Schuppen fest. In der Zeugenvernehmung nach dem Unglück habe der Mann der Polizei aber gesagt, er habe die Risse selbst verfüllt und es trotz erneuter Senkungen dabei belassen. „Der Mann hat dem keine weitere Bedeutung zugemessen und auch nicht die Behörden informiert“, sagte Oberstaatsanwältin Silvia Niemann. Andere Anwohner, die befragt worden seien, hätten keine derartigen Beobachtungen gemacht.

Uwe Steinhuber, Sprecher der Lausitzer-Mitteldeutschen Bergbauverwaltung (LMBV) sagte dazu, „lokale Sackungen“ seien vor allem in Bereichen möglich, die mit lockeren Sanden aufgeschüttet worden seien. Dies könne mit alten Stollen im Untergrund zusammenhängen. Schlüsse über die Stabilität oder Instabilität des gesamten Gebiets ließen sich daraus jedoch nicht zwingend ziehen.

Landrat Ulrich Gerstner hob derweil den regionalen Katastrophenalarm auf. „Wir haben alle Notfallmaßnahmen abgearbeitet“, begründete er den Schritt. Die Verantwortung der Koordinierung der Hilfsmaßnahmen trägt wieder die Kommune Nachterstedt. An der Vollsperrung des Concordia-Sees ändert dies nichts. „Für die Öffentlichkeit sind die Randbereiche und der See weiterhin gesperrt, sagte der Magdeburger Innenstaatssekretär Rüdiger Erben.

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff kündigte für Montag ein Treffen der drei Bergamtspräsidenten aus Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt in Halle an. Bei dieser Runde sollen die weiteren Handlungsbereiche abgesteckt werden, so Haseloff. Es gehe darum, die Gefahrenbereiche in allen drei Ländern einzuschränken. Er räumte allerdings ein, dass es schwer sei, weitere Schritte zu vereinbaren, so lange man die Ursache für das Unglück nicht kenne. Nach Aussage des Ministers hat es in den vergangenen Tagen eine „große Solidarisierung der Wissenschaft“ gegeben, um den „wissenschaftlichen Standard“ im Bergwesen voranzubringen.

LMBV-Chef Mahmut Kuyumucu kündigte an, „wir werden alles unternehmen, um das Unglück so schnell wie möglich aufzuklären“. Dabei werde die LMBV für größte Transparenz sorgen. Am Donnerstag stellte sie zunächst die Unbewohnbarkeit der betroffenen Siedlung fest. „Alle Betroffenen werden von uns umfassend entschädigt“, sagte der LMBV-Chef. Nur so könne den Evakuierten wieder ein normaler Lebenslauf ermöglicht werden. Eine Höhe der möglichen Schadensersatzansprüche wollte Kuyumucu nicht nennen. „Das ist noch zu früh.

Eine gezielte Abtragung der Halde wird laut LMBV in Betracht gezogen. Allerdings werde dies erst nach dem Ende der Ermittlungen der Unglückursache erfolgen. Nach Einschätzung von Experten können sich die Untersuchungen bis zu einem Jahr hinziehen. Zahlreiche Unterlagen müssen gesichtet werden, die es über das jahrhundertelang vom Bergbau geprägte Gebiet gibt.

Die evakuierte Siedlung, von der am Samstag zwei Häuser von riesigen Erdmassen in den Concordia-See gerissen wurden, liegt auf einer Abbauhalde, die schon im 19. Jahrhundert aufgeschüttet wurde. Der Tagebau nebenan, der zurzeit geflutet wird, war bis 1991 in Betrieb. Laut Kuyumucu ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu „Böschungsversagen“ gekommen. Allerdings sei dies immer dort geschehen, „wo man es vorhergesehen hat, während der Sanierung“. In Nachterstedt habe man „nie damit gerechnet“.

Der Kieler Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky hatte gemeint, das Unglück sei vorhersehbar gewesen. Er verweise seit Jahren darauf, dass die bisherigen Risikobewertungen in Bergbauregionen ungenügend sei. Dem hatten andere Fachleute widersprochen. LMBV-Sprecher Steinhuber sprach gegenüber dem Tagesspiegel „vom üblichen Fingerhakeln nach einem solchen Unglück“. Plötzlich hätten es alle schon vorher gewusst.

Mathias Kasuptke[Nachterstedt]

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